Am Montag, 26. November, veröffentlichte Barbara Höll, Kandidatin der Linkspartei für die Leipziger OBM-Wahl, ihr Wahlprogramm. Darin widmet sie ein paar Seiten dem Leipziger Grundproblem: der Wirtschaft. Die Spielräume einer Stadt sind immer nur so groß wie die Tragkraft der Wirtschaft. Viele Leipziger Wirtschaftsprobleme sind hausgemacht. Andere sind das Ergebnis eines Denkens, das nicht nur in Leipzig gepflegt wird, eines Denkens, das Marktfähigkeit immer wieder nur über den Preis definiert.

Zehntausende Arbeitsplätze sind in Leipzig in den letzten Jahren entstanden, weil sie hoch subventioniert wurden und auch noch weiter werden. Zwar sank die Arbeitslosigkeit – aber viele der so “Beglückten” verschwanden nicht aus der Bedürftigkeit. Die L-IZ hat mehrfach darüber geschrieben.

“Hier hat die fatale Niedriglohnpolitik des Freistaates Sachsen besonders drastische Auswirkungen. 18.660 Menschen mussten im Oktober 2012 ergänzende Leistungen beantragen, obwohl sie, teilweise in Vollzeit, einer Erwerbsarbeit nachgegangen sind. Das durchschnittliche monatliche Nettoeinkommen der Leipziger Bevölkerung liegt aktuell bei 1.066 Euro (Männer 1.162 Euro und Frauen 964 Euro) und ist damit deutlich unter dem sächsischen und weit unter dem bundesweiten Durchschnitt”, schreibt Barbara Höll in ihrem Wahlprogramm. “Genau 27.883 Menschen waren im Oktober 2012 offiziell als arbeitslos registriert, noch immer hat Leipzig damit die höchste Arbeitslosenquote Sachsens. Es ist ein trauriger Skandal, dass jedes dritte Kind in Leipzig in Armut aufwächst!”

Man kann das Wort Skandal auch weglassen und nur auf die Zahlen schauen. Und die bedeuten – mittlerweile nicht mehr nur in Leipzig – dass die Kosten einer solchen Wirtschaftspolitik direkt und ungefedert im Sozialetat der Stadt aufschlagen. Die Kostenblöcke wachsen dort seit Jahr und Tag und wurden erst recht nicht durch die Einführung von “Hartz IV” im Jahr 2005 gebremst.

“Eine Generation nach dem wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Umbruch muss die Einkommensentwicklung endlich auch stärker an den Leistungszuwachs der Wirtschaft angepasst werden”, fordert Höll. “Der weitere Abbau der Arbeitslosigkeit in Leipzig und der Aufbau gerecht entlohnter Beschäftigungsverhältnisse in der privaten Wirtschaft wird die Kommunalpolitik auf absehbare Zeit prägen. Im Dialog mit führenden Wirtschaftsvertretern werde ich als Oberbürgermeisterin diese existenziellen Fragen der weiteren Entwicklung an die Spitze der Tagesordnung setzen und eine Bilanz der Einlösung von Arbeitsplatzzusagen einfordern, vor allem wenn bei Unternehmensansiedlungen öffentliche Fördermittel geflossen sind.”

Womit sie einen zentralen Punkt dessen anspricht, was in Leipzig noch lange nicht so läuft, wie es laufen sollte: Das Interagieren aller Partner. Jeder macht sein Ding, die Mehrzahl mehr schlecht als recht. Auch Barbara Höll schätzt ein Beteiligungsprogramm wie “Leipzig weiter denken” als positives Beispiel ein. Eines, das auch den Leipzigern signalisiert, dass ihre Beteiligung gewünscht ist.
“Die Zeit der Leuchtturmpolitik in Form von Großansiedlungen ist vorbei”, heißt es in ihrem Wahlprogramm dazu unter Wirtschaftspolitik. “Jetzt ist Kärrnerarbeit bei der regionalen Wirtschaft gefragt. Leipzig ist die Lokomotive für Mitteldeutschland. Für diese Rolle muss die Region mehr als bisher gewonnen und mitgenommen werden. Dafür sind die Kräfte im Standortmarketing zu bündeln, vieles läuft bisher hier zu unkoordiniert.”

Koordination heißt oft gar nicht, dass irgendwo ein gut bezahlter Beamter nun alles organisieren muss. Das ginge ganz bestimmt schief. Aber Teilhabe organisieren heißt auch: faire Bedingungen für alle zu schaffen. Bei der Beschaffung, bei den Auftragsvergaben der Stadt, bei der Unterstützung durch Gründungs- und Finanzhilfen.

“Existenzgründer und junge Unternehmen, ob im Kreativ- und Dienstleistungsbereich oder in der Industrie, brauchen bessere Unterstützung durch die Stadtverwaltung, z. B. durch den Einsatz zielgenauerer Förderinstrumente”, benennt Höll ein Thema, das die Stadt bislang lieber outgesourct hat. “Um gerechte Löhne und fairen Wettbewerb zu gewährleisten, braucht Leipzig ein kommunales Vergaberecht, das Tariftreue und Mindestlohnregelungen garantiert sowie umweltschonende Beschaffung unterstützt, das die Gleichstellung der Geschlechter und von Menschen mit Beeinträchtigungen begünstigt sowie den Rechtsschutz für die Beschäftigten verbessert.”

Gute städtische Wirtschaftspolitik ist für sie auch der Schutz der kommunalen Unternehmen. An den Bürgerentscheid von 2008, bei dem sich eine deutliche Mehrheit der Abstimmenden gegen eine Teilprivatisierung der Stadtwerke aussprach, fühlt sie sich gebunden. Die LVV will sie stärken. Aber sie will auch etwas, was bislang partout nicht zu bekommen war: eine Veröffentlichung der Vorstandsbezüge.

Das gehört in einer Stadt wie Leipzig eigentlich zur Transparenz.

Es ist ja nicht der einzige Punkt, wo die Bürger, die den ganzen Bembel bezahlen, behandelt werden, als müssten sie nicht wirklich wissen, was mit ihrem Geld passiert.

Dabei ist zumindest für Höll die Kompetenz vieler Leipziger ein Schatz, den es zu heben gilt, wenn die Stadt wirklich nachhaltig auch wirtschaftlich funktionieren soll: “Als Oberbürgermeisterin werde ich anstreben, neue Strukturen für unmittelbare und mittelbare Bürgerbeteiligung zu schaffen. Kenntnisse und Vorschläge der Bevölkerung müssen künftig frühzeitiger mit dem Fachwissen und Handeln der Stadtverwaltung verknüpft werden. Hier ist in der jüngsten Vergangenheit viel Vertrauen verspielt worden, sei es bei wichtigen Bauvorhaben wie dem City-Tunnel oder der Windmühlenstraße, sei es bei der Ansiedlung von Supermärkten, der Umbenennung des Wilhelm-Leuschner-Platzes, bei der Verkehrsplanung und nicht zuletzt bei der Diskussion um das Einheits- und Freiheitsdenkmal, über dessen Errichtung durch einen Bürgerentscheid abgestimmt werden sollte.”

Womit sich so langsam ein Thema abzeichnet, das die nächsten sieben Jahre in Leipzig auf jeden Fall bestimmen wird: Wie transparent kann eine Stadtverwaltung arbeiten? Welche Entscheidungsprozesse und Grundsatzentscheidungen müssen auch öffentlich diskutiert werden? Und welche Kommunikationsstrukturen braucht man dazu?

“Bei Fragen gesamtstädtischen Interesses werde ich mich für Bürgerentscheide einsetzen, denn zentrale politische Entscheidungsprozesse brauchen Transparenz und bürgerschaftliche Mitwirkung. Dieses Herangehen setzt eine Stärkung des Informationsrechtes aller gewählten Gremien und aller Bürgerinnen und Bürger voraus”, schreibt Höll.

Und sie definiert auch, was sie für eine Stadt wie Leipzig als Nachhaltigkeit begreift: “Alle Entscheidungen der Stadt, ob investiv, finanziell, sozial, wirtschaftlich oder klimatechnisch, sind unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit – Ausgewogenheit zwischen den ökonomischen, ökologischen und sozialen Belangen – zu betrachten.”

Und umzusetzen. Was ganz gewiss zähe Arbeit ist. Denn aus der Forderung der europäischen Oberbürgermeister von 2007 im Zusammenhang mit der “Leipzig Charta”, den Städten mehr Kompetenzen und Handlungsspielräume einzuräumen, ist ja bekanntlich nichts geworden. Im Grunde ein weiterer Beweis dafür, dass reine Appelle an irgendwelche Verantwortlichen nichts nützen und nichts bringen.

In dem Dilemma wird jeder Leipziger OBM agieren. Die Arbeit mit der Leipziger Bürgerschaft wird sich zwangsläufig ändern müssen, wenn sie künftig Erfolg haben will.
Das Wahlprogramm zum Nachlesen als PDF zum download.Memo zur Leipzig Charta:
www.leipzig.de/imperia/md/content/01-2_medien_kommunikation_stadtbuero/news/so-eurocities-erkl__rung-deutsch.pdf

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