"Parteifunktionäre springen nicht über ihren Schatten". Ein bemerkenswerter Satz, den man von der CDU Sachsen, zu der schließlich die Leipziger Parteikollegen gehören, selten hörte in den vergangenen Jahren. Vom Tun ganz zu schweigen, die Reihen blieben stets geschlossen, wenn die politische Konkurrenz auf sichtbare Schieflagen hinwies. Nun ist er heraus, der Satz, stammt von der Leipziger CDU und läutet das ein, was man mit etwas Phantasie einen "zugespitzten Wahlkampf" um das Leipziger Oberbürgermeisteramt nennen könnte. Wenn er denn nicht so plump daherkäme.

Wer nach der Mitteilung der anderen OBM-Kandidaten, welche mit Ausnahme von René Hobusch heute alle ihre Fortsetzung des Wahlkampfes eher auf sich bezogen verkündeten, fliegen von Seiten der CDU jetzt die ersten schweren Brocken. Eine Melange aus 89er-Verklärung, “Restkandidatenschelte” und dem Märchen, Horst Wawrzynski wäre ein wirklich freier Kandidat.

Wie verwirrend das Spiel um das Wort “freier Kandidat” bei dieser OBM-Wahl ist, zeigt die skurile Idee seitens des CDU-Wahlkampfmachers Andreas Nowak, andere Kandidaten könnten für eine Abwahl Burkhard Jungs die Kandidaturen zugunsten von Horst Wawrzynski niederlegen. Das Wort “frei” ist im mittlerweile fortgesetzten Wahlkampf vielleicht dem Bewerber Dirk Feiertag zuzusprechen, wobei auch er mit den Piraten, dem Neuen Forum und der Freien Wählervereinigung, wenn auch kleinere, so doch ebenfalls Unterstützer hinter sich weiß. Das Wort Neues Forum dürfte so manchem noch als die Institution geläufig sein, als es 89/90 nach Aufbruch roch und in einer Wiedervereinigung und einem Erdrutschsieg für die CDU endete.

Horst Wawrzynski jedoch ist so wenig frei von CDU, dass nicht nur seine maßgeblichen Themensetzungen Ordnung, Sicherheit und Sauberkeit danach riechen. Mit der heutigen Meldung aus dem Wahlkampfteam von Horst Wawrzynski, welche von Parteikollegen auf der grünen, roten und tiefroten Seite spricht, gerieren sich CDU-Mitglieder als so eine Art “Neues Forum” und freie Widerstandsgruppe in einem. Und vergessen erneut beim Frontalangriff, wer seit langer Zeit immer die Finanzdezernenten der Stadt Leipzig gestellt hat. Daher wohl auch das Wort “Zuspitzung” – man zeigt auf die Spitze und überspringt gedanklich den Aufstieg.

Und so heißt es heute: “Grüne, FDP und der Einzelbewerber Feiertag haben sich gegen eine gemeinsame Allianz für Leipzig zur Ablösung des Oberbürgermeisters entschieden.” Und CDU-Vorsitzender Detlef Schubert fügt an: “Es ist bedauerlich, dass die Parteifunktionäre der anderen OBM-Bewerber nicht über ihren Schatten springen können. Dabei hätte es besonders mit Grünen und beim Einzel-Bewerber durchaus inhaltliche Schnittmengen gegeben.”
Da kommt der Fachmann ins Grübeln und der Laie soll sich fragen, ob Dirk Feiertag etwa mit Horst Wawrzynski wirkliche Schnittmengen hat. Persönlich vielleicht – aber politisch? Seltsam auch, dass ein CDU-Funktionär sich so massiv in der Pressemitteilung eines vorgeblich freien Kandidaten äußert. Auch dies ein Unterschied zu Feiertag, bei dem die eher kleinteilige Unterstützung im Hintergrund behilflich ist und man auf dem Wahlzettel nicht einmal nachlesen konnte, wer hinter ihm steht.

Dass die politische Mathematik hingegen noch weiter verrutschen kann, zeigt sich am nächsten Satz von Detlef Schubert: “Dass die Linken den OBM gar nicht ablösen wollen, haben sie vor 7 Jahren schon gezeigt, als sie die Wahl des Amtsinhabers zum Preis von zwei Bürgermeisterposten ermöglichten”. Interessant hier wohl, dass der CDU-Vorsitzende von der Linken ernsthaft einen Rückzug zugunsten eines offensichtlichen CDU-Kandidaten erwartet hätte. Und umgekehrt betrachtet – hätte Barbara Höll die Kandidatur abgebrochen, hätte der Satz wohl gelautet – Höll hilft Jung – da die Wählerwanderung von der Linken zu Horst Wawrzynski noch utopischer ist, als von Feiertag zu ihm.

Und während diese frei-rote Glaskugel in der Wahrsagerstube nun endgültig aus ist und auch die CDU weiterhin für ihren Kandidaten allein kämpfen muss, scheint sie sich vorgeblich zumindest den Rückzug des grünen Bewerbers Felix Ekardt zu ihren Gunsten erhofft zu haben. Auch hierin unter angeblicher Verkennung der Gesamtlage in Sachsen, wo in Dresden wohl einige grüne Landespolitiker mächtig ins Schwitzen gerieten, käme dieser Kuhhandel auch nur in Sichtweite. Während also bis hier in der heutigen Pressemitteilung noch kein Wort vom Kandidaten selbst gefallen ist, Schubert in Richtung der Grünen: “Offenbar haben vor allem die Grünen einige Wahrnehmungsstörungen. Wer zwischen unserem Angebot und dem des Amtsinhabers keinen Unterschied sieht, will nicht erkennen, dass Horst Wawrzynski eine klare Alternative für einen neuen Politikstil bietet.”
Und somit stünden auch die Grünen für den CDU-Parteikollegen wenig vertrauenswürdig da, weil Felix Ekardt lieber weiter in der politischen Debatte bleibt, statt gegen Jung und für Wawrzynski aus dem Rennen zu gehen. Auch hier ist die Wählerwanderung in Richtung Jung, vielleicht nach links und zu Dirk Feiertag relativ vorhersehbarer, als zum CDU-Mann. Und der Anstieg der Nichtwähler im Rückzugsfall schwer zu vermuten.

Bis hier alles noch Parteijargon der CDU, vom Kandidaten immer noch kein Statement dabei. Stattdessen noch ein Brocken von Detlef Schubert in Richtung Amtsinhaber: “Der SPD-Amtsinhaber steht für Skandale, Filz, Entscheidungsschwäche und Weglächeln der Probleme. Horst Wawrzynski ist ein Verwaltungsprofi, der Verantwortung für seine Mitarbeiter übernimmt, in keinerlei Skandale und Filz verwickelt ist, keine alten Parteirechnungen zu bezahlen hat und auch dahin geht, wo es weh tut. Er kümmert sich um die tatsächlichen Probleme in Leipzig und nicht um teure Prestigeobjekte. Wenn die Grünen jetzt behaupten, sie stünden für einen ehrlichen Politikanfang, dann ist das wenig glaubwürdig. Sie machen sich vielmehr zum Steigbügelhalter für das alte System Jung”, so Schubert.

Wenn man das Schweigen zu den NSU-Vorgängen durch den einstigen Chemnitzer Polizeichef Horst Wawrzynski vor dem aktuellen Untersuchungsausschuss in Dresden einfach weglässt, kann man das Wort skandalfrei benutzen. Vielleicht hat er hier sogar Verantwortung für seine Mitarbeiter übernommen – den Ausschuss selbst hat er angesichts ausgiebiger Erinnerungslücken ratlos zurückgelassen.

Ein wenig ratlos kann man auch sein, wenn man nach all den Hinweisen und Taktikansagen der ihn umgebenden Parteifunktionäre, dann die ersten Worte des Kandidaten selbst in der Mitteilung vorfindet. Wobei auch er auf einmal von sich in der Wir-Form schreibt: “Es gibt einen Unterschied zwischen den Parteifunktionären und den Wählerinnen und Wählern”, so OBM-Kandidat Horst Wawrzynski. “Es ist klar, dass unser Angebot, eine bessere Politik für Leipzig zu machen an die Leipzigerinnen und Leipziger geht, insbesondere auch an diejenigen, die zum 1. Wahlgang am vergangenen Sonntag einen der anderen Bewerber gewählt haben. Dieses Angebot steht.”

Ein Angebot, was erkennbar keines war, möchte man dran schreiben, aber wenigstens kommt der Kandidat mal zu Wort. Und im Folgenden die eigene Wahlansage als Substrat: “Ich werde intensiv um jene Stimmen werben, die einen Neuanfang für Leipzig wollen. Wir müssen weg von Skandalen um herrenlose Häuser, Gammel-Schulen, fehlende Kitaplätze, Verkehrschaos und Selbstbedienungsmentalitäten gieriger Kommunalmanager und hin zu einer ordentlichen, professionell und rechtssicher geführten Verwaltung, Verantwortung vor dem Bürger, Prioritäten auf sanierte Schulen und Turnhallen, zukunftsfeste Verkehrskonzepte und eine Förderung von klein- und mittelständischen Unternehmen, die diesen Namen auch verdient”.
Seine Antworten und Vorschläge zu den Fragegebieten “Straßenverkehr”, “ÖPNV-Finanzierung”, “Stadtentwicklung & Bau”, “Ausbau des Straßenbahnnetzes”, “Radverkehr” und noch einiges mehr fehlen dazu leider bis heute im OBM-Wahlforum der L-IZ. Und so bleibt auch dies eine mehr oder minder berechtigte Aufzählung der Fehlstellen städtischen Handelns ohne Alternativideen im Detail. Leider hat der Kandidat aktuell die mit Abstand wenigsten Fragen aus etwa einhundert der Leipziger hier beantwortet. Da kann sich der aktuelle Amtsinhaber Burkhard Jung heute wohl erneut zurücklehnen, denn in echte Erklärungsnöte bringt man einen ebenfalls nicht sehr auskunftsfreudigen Oberbürgermeister einer Billiglohnhochburg wie Leipzig damit noch nicht.

Mehr zum Thema:

Wahlzettel zur Leipziger OBM-Wahl: Warum bei Wawrzynski nicht “parteilos” steht und bei Feiertag nicht “unabhängig”
Mancher Wähler war bei der …

Leipzigs OB-Wahl am 27. Januar 2013: Ein deutlicher Sieg für Burkhard Jung und ein zweiter Wahlgang
Dem Leipziger OB-Wahlkampf 2013 …

OB-Wahl in Leipzig: Der Wahlabend im Ticker
Natürlich ist um 18 Uhr noch alles offen …

Sachsen und der “NSU”: Auch der damalige Polizeipräsident von Chemnitz, Horst Wawrzynski, erinnert sich an nichts
Den meisten Leipzigern ist es gar nicht …

OBM-Kandidat Horst Wawrzynski antwortet auf Leserfragen
Antworten des OBM-Kandidaten zu Leipziger Themen auf L-IZ.de …

Das sieht CDU-Sprecher und Wahlkampfmanager Andreas Nowak naturgemäß anders. “Bei der SPD steigen unterdessen offenbar die Zweifel, ob der zweite Wahlgang zu gewinnen ist.” Und in Richtung Dirk Panter (SPD), der sich zumindest mit der Bezeichnung der CDU-Kooperationsbemühungen mit anderen Kandidaten als “Nationale Front” ebenfalls wenig ruhmvoll bekleckert hatte, ergeht der Hinweis Nowaks: “Dirk Panter muss es ja wissen. Als ich im Herbst 1989 mit meinen Kumpels um den Ring demonstrierte, war der Herr Panter noch im tiefen Westen, in Baden-Württemberg, in Freiheit und Sicherheit. Für seinen Geburtsort kann niemand etwas. Und in Leipzig und Sachsen sind alle willkommen, die in unserer Stadt und unserem Land ihr Glück suchen. Aber dieser Vergleich war echt daneben, vor allem für jemanden, der sein gesamtes Leben unter dem rechtlichen Schutz des Grundgesetzes verbringen durfte.”

Ob solche Vergleiche dem in Bayern geborenen Kandidaten Wawrzynski helfen werden noch Stimmen aufzusammeln, dürfte zumindest fraglich sein – die eigentlichen Wegbereiter der Ringlauferei stehen eher auf Seiten von Dirk Feiertag und nennen sich bis heute “Neues Forum”. Denn wer in den 90ern die politische Machtoption wichtiger fand, trat rasch in die sächsische CDU ein und hatte ebenso flott mit dem Neuen Forum nichts zu tun.

Und so entsteht munter das nächste schiefe Bild: “Ganz offensichtlich leiden sie bei der SPD auch an Gedächtnisverlust – oder verdrängen die eigenen Taten. Wenn der Leipziger SPD-Chef Clobes jetzt postuliert, Gespräche unter Mitbewerbern ‘seien aus demokratischen Gesichtspunkten abzulehnen’, vergisst oder verdrängt er, was die sächsische SPD vor weniger als einem halben Jahr auf der anderen Seite des Kulkwitzer Sees veranstaltet hat. Nachdem im September 2012 bei der Bürgermeisterwahl in Markranstädt keiner der Kandidaten die nötige Mehrheit erreicht hat, haben sich alle Herausforderer zusammengetan und hinter Jens Spiske versammelt. Darunter war auch die SPD. Was die Sozialdemokraten in Markranstädt selbstverständlich gemacht haben, sollte in Leipzig nun undemokratisch sein. Also, das muss die SPD den Wählerinnen und Wählern in unserer Stadt mal erklären”, so Andreas Nowak am Ende einer Pressemitteilung voller CDU und wenig Horst.

Schief das Bild hier wohl deshalb, weil sich auch die Freien Wähler, welche Spiske beim Wahlkampf in Markranstädt am Ende im Verbund mit SPD und Linken ins Ziel trugen, und das sogenannte links-bürgerliche Spektrum, welches in Leipzig wohl eher die Mitte darstellen dürfte, in einer Sache im seit über 20 Jahren schwarz regierten Sachsen in den städtischen Gebieten einig zu sein scheinen. Demokratie kann tatsächlich auch bedeuten, einfach ab und zu das Bestehende abzuwählen und etwas Neues zu versuchen. Der Fokus scheint dabei jedoch auf der sachsenweit vorherrschenden CDU zu liegen. Da scheint die Gegnerschaft auch auf kommunaler Ebene zur SPD wenig ausgeprägt und so manchem aus breiterer Perspektive heraus eher unsinnig.

Gut für den SPD-Amtsinhaber in Leipzig – schlecht für einen CDU-Herausforderer. Auch wenn dieser durch seinen Wahlkampfmanager eine Hoffnung formulieren lässt: “Offensichtlich geht bei den Sozialdemokraten die Angst um, die 60 Prozent der Wähler, die am vergangenen Sonntag gegen den Amtsinhaber gestimmt haben, könnten den amtierenden Oberbürgermeister am 17. Februar tatsächlich abwählen”, so Andreas Nowak.

Was zu einer anderen Hoffnungsformulierung führt: Die weiterhin beteiligten Kandidaten haben in der Abdeckung des nahezu vollständig versammelten Parteienspektrums nun nochmals die Möglichkeit, klare Pläne und Ziele darüber vorzulegen, was sie in Leipzig verändern möchten. Einige haben damit bereits begonnen, andere arbeiten sich lieber an der Wahl- und Parteitaktik des Gegenübers ab. Ob dass jedoch die 60 Prozent Nichtwähler in Leipzig wirklich interessiert?

Zum OBM-Kandidaten-Forum auf L-IZ.de
www.l-iz.de/OBM-Wahl

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Michael Freitag über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar