Am 22. September ist mal wieder Bundestagswahl. Oder endlich wieder, werden auch manche Leipziger sagen. Es ist die aller vier Jahre stattfindende kleine Gelegenheit, ein wenig an der deutschen Politik zu ändern, vielleicht eine kleine Richtungsänderung anzustoßen. Oder solche auch zu verhindern. Auch diese Wähler gibt es ja - die sich mit dem Bestehenden ganz wohl fühlen und gar keine Veränderung wollen.

Und in der Bundespolitik werden diese Verhältnisse noch deutlicher als bei allen anderen Wahlen. Sie finden auch deutlich mehr Resonanz als alle anderen Urnengänge. 66 Prozent der Leipziger Wahlberechtigten gingen 2009 zur Bundestagswahl auch wählen. Dreiviertel machten ihr Kreuz in der Erst- und Zweitstimme jeweils bei derselben Partei. Wählten also nicht nur die Partei, die sie im Bundestag sehen wollten, sondern auch den zugehörigen Direktkandidaten. Was seinerzeit den beiden Kandidaten der CDU, Bettina Kudla im Norden und Thomas Feist im Süden, die jeweiligen Direktmandate verschaffte.

Über die Landeslisten ihrer Parteien kamen dann noch Daniele Kolbe und Wolfgang Tiefensee (beide SPD), Monika Lazar (Bündnis 90/Die Grünen) und Barbara Höll (Die Linke) in den Bundestag. Alle Sechs sind auch 2013 als Direktkandidaten für ihre Parteien aufgestellt. Doch ein Selbstläufer muss es für die beiden Inhaber der Direktmandate nicht werden. Darauf deutet ein Online-Angebot hin, dass das Nachrichtenmagazin Spiegel seit dem 29. Juli bietet: die Wahlwette. Wie bei einer richtigen Bundestagswahl können die Besucher dieses Angebotes ihre Stimmen abgeben für Parteien (Zweitstimme) und die Direktkandidaten in ihren Wahlkreisen (Erststimme).

Natürlich braucht auch so ein Maschinchen genug Futter. Wenn es (noch) nicht genug Nutzer gibt, die mitmachen, entstehen auch noch keine repräsentativen Ergebnisse. Folgerichtig ist der größte Teil der Deutschlandkarte noch grau. “Leider bisher keine Prognose möglich”, steht dann da zu lesen. Was mehrere Gründe haben kann. Unter anderem könnte es sein, dass Spiegel Online in diesen Regionen eher selten bis nie angeklickt wird. Was logisch ist: Die politisch aktiveren Bürger wohnen in den Großstädten.

So dass Leipzig nach zwei Wochen durchaus schon ein prognostizierbares Ergebnis hat. Das zumindest verrät, dass es spannend werden könnte. Denn nur kurzzeitig war Bettina Kudla, die Inhaberin des Direktmandats im Wahlkreis Leipzig I (Norden) als wahrscheinliche Gewinnerin des Wahlkreises zu sehen, seit ein paar Tagen wurde sie aber von der Kandidatin der Linken, Barbara Höll, abgelöst. Erinnerung an 2009: Damals gewann Bettina Kudla mit 42.704 Stimmen (33,3 Prozent) das Direktmandat – Barbara Höll wurde mit 34.015 Stimmen (26,6 Prozent) Zweite. Was im Rennen um ein Direktmandat natürlich nichts nützt. Aber die Wahlwette auf SPON (die übrigens mit Abgeordnetenwatch gemeinsam erstellt wurde) deutet darauf hin, dass das Rennen um die Leipziger Direktmandate 2013 noch deutlich knapper ausfallen könnte. Daniela Kolbe (SPD) wurde seinerzeit mit 23.070 Stimmen Dritte in diesem Wahlbezirk.

Im Süden errang Thomas Feist (CDU) damals mit 41.101 Stimmen (28,8 Prozent) das Direktmandat. Damals wurde hier Mike Nagler, der für die Linke antrat, mit 36.117 Stimmen (25,3 Prozent) Zweiter, Wolfgang Tiefensee (SPD) mit 32.841 Stimmen (23 Prozent) Dritter.

In der SPON-Wahlwette liegt Wolfgang Tiefensee in diesem Wahlkreis augenblicklich vorn. Ob das auch am 22. September so sein wird, weiß natürlich niemand. Vom 27. bis 31. August werden in Leipzig erst die Wahlunterlagen verschickt. Viele Wähler sind augenblicklich noch im Urlaub. Und niemand weiß, welche politischen Themen im September noch einmal hochkochen und möglicherweise die ein oder andere Wahlentscheidung beeinflussen. Bislang perlen ja die Skandale der letzten Monate an den drei Regierungsparteien CDU, CSU und FDP ab wie Wasser – die Debatte um die Fehlinvestitionen der Bundeswehr genauso wie die um diverse Spionage-Systeme wie Prism, Tempora und weitere. Und die Verwicklung der deutschen Geheimdienste, um nur zwei Beispiele zu nennen. Finanzkrise? Nicht ausgestanden. Energiewende? Nicht bewältigt.
Nur 25 Prozent der Leipziger splitten erfahrungsgemäß ihre Erst- und Zweitstimmen bei der Bundestagswahl. Die meisten wohl eher aus taktischen Gründen – die Zweitstimme bekommt die Partei, die man bevorzugt. Die Erststimme bekommt dann ein Kandidat, der höhere Chancen hat, das Direktmandat zu bekommen. Denn – siehe oben – im Grunde sind es drei Parteien, die sich in Leipzig derzeit wirklich Chancen auf eines der Direktmandate ausrechnen können: CDU, SPD und Linke. Es scheint auch noch ein anderes Moment mitzuschwingen. Aber das können Statistiker natürlich nicht herausrechnen.

Und das könnte durchaus die Frage sein, warum überhaupt Direktkandidaten in einer Bundestagswahl gewählt werden: Was sind das für Personen, die da auf dem Wahlzettel stehen? Wofür stehen sie persönlich und wieviel Eigensinn kann man von ihnen in einem Parlament mit 620 Abgeordneten (derzeit plus 22 Überhang-Abgeordnete) erwarten?

Auch dazu hat “Spiegel Online” schon vor Jahren ein elektronisches Angebot geschaffen: den “Bundestagsradar”, auf dem die wichtigsten Entscheidungen des Bundestages im Abstimmungsverhalten der einzelnen Abgeordneten abrufbar sind. Wer will, kann sich seine sechs Leipziger Bundestagsabgeordneten herauspicken und bekommt so natürlich auch ein Bild von ihrem Wirken und ihren Haltungen.

Die Liste aller Abstimmungen reicht dort bis zum Dezember 2009 zurück. Aber um die nun wieder auszuwerten, braucht man natürlich wieder eine eigene Mannschaft.

Deswegen haben wir uns nur die letzten verzeichneten fünf Abstimmungen angeschaut. Und – was nicht überrascht: Die Leipziger Abgeordneten stimmen in der Regel mit ihrer Fraktion. Was den Leipziger natürlich trotzdem jedes Mal verblüffen darf. Denn bei einigen Entscheidungen ist es natürlich nicht wirklich nachvollziehbar. Wie bei dem viel diskutierten “Betreuungsgeld”, das am 9. November 2012 abgestimmt wurde und schon damals nicht das versprach, was sich seine Erfinderin von ihm erhoffte. Trotzdem stimmten die Abgeordneten von CDU, CSU und FDP dafür – auch Bettina Kudla und Dr. Thomas Feist. Die anderen Leipziger Abgeordneten stimmten dagegen, wohl wissend, dass Kita-Betreuungsplätze für die Leipziger Eltern viel wichtiger und realistischer sind.

Am 14. Dezember 2012 stand der Einsatz von deutschen “Patriots” an der türkisch-syrischen Grenze zur Debatte. Ein Einsatz, dem NATO-Bündnispartner Türkei helfen sollte, das Übergreifen des syrischen Bürgerkrieges zu verhindern. Dr. Thomas Feist (CDU), Wolfgang Tiefensee und Daniela Kolbe (beide SPD) stimmten dafür. Monika Lazar (Grüne) und Dr. Barbara Höll (Linke) stimmten dagegen. Bettina Kudla war an diesem Tag nicht im Parlament. Aus Lazars und Hölls Sicht ein konsequentes “Nein”. Wenn man wirklich Frieden will, helfen solche Entsendungen in der Regel wenig bis nichts.

Am 1. März war das sogenannte “Leistungsschutzrecht” Thema, mit dem deutsche Großverleger sich irgendwie gegen die Zugriffe der großen Suchmaschinen wappnen wollten. Am 1. August ist es ja bekanntlich in Kraft getreten und augenscheinlich hat keiner dieser Verlage das Leistungsschutzrecht tatsächlich in Anspruch genommen, weil jeder die Suchmaschinen braucht als Traffic-Bringer. Im Fazit ein eigentlich überflüssiges Gesetz. Logischerweise stimmten Monika Lazar, Wolfgang Tiefensee, Daniela Kolbe und Dr. Barbara Höll dagegen. Die beiden CDU-Abgeordneten Bettina Kudla und Dr. Thomas Feist stimmten dafür.

Am 18. April dann wurde über einen Gesetzesvorstoß der Opposition zur gesetzlichen Frauenquote abgestimmt, etwas, was die skandinavischen Länder schon seit Jahrzehnten haben. Die Oppositionsparteien hofften – nachdem durchaus auch CDU- und FDP-Abgeordnete über das Thema mitdiskutiert hatten – auf Abweichler in der Regierungskoalition. Doch nur eine FDP-Kandidatin hatte den Mumm dazu. Der Rest stimmte geschlossen gegen den Antrag der Opposition – auch Bettina Kudla und Dr. Thomas Feist. Die Leipziger Abgeordneten von SPD, Linken und Grünen stimmten logischerweise dafür.

Am peinlichsten ging dann am 27. Juni die Abstimmung über den rot-grünen Antrag über schärfere Regeln zur Abgeordnetenbestechung aus. Eigentlich etwas Selbstverständliches, dass sich Volksvertreter von niemandem bestechen lassen und sich von Interessengruppen nicht käuflich machen. Der Antrag sah bis zu fünf Jahre Freiheitsentzug für Abgeordnete vor, die sich für materielle oder finanzielle Gegenleistungen in ihrem Verhalten beeinflussen lassen. Dr. Barbara Höll (Die Linke) enthielt sich hier genau wie die Linke-Fraktion insgesamt. Dr. Thomas Feist und Bettina Kudla stimmen mit der CDU-Fraktion geschlossen gegen den Antrag.

Der Leipziger Wähler kann also recht genau nachvollziehen, wofür seine Kandidaten stehen.

Vielleicht beeinflusst es ja auch die Entscheidungen über die Direktkandidaten am 22. September.

“Spiegel Online” zur “Wahlwette”:
www.spiegel.de/politik/deutschland/tipp-zur-bundestagswahl-mit-der-spiegel-online-wahlwette-a-913015.html

Zum “Bundestagsradar” von “Spiegel Online”:
www.spiegel.de/flash/flash-22868.html

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