Was war das eigentlich, was die "Präventionsexperten" aus elf deutschen Großstädten, die in dieser Woche in Wiesbaden zusammenkamen, eigentlich getrieben haben? Es muss etwas Seltsames gewesen sein, wenn das teilnehmende Leipziger Ordnungsamt im Nachhinein meldet: "Alkoholkonsum im öffentlichen Raum bleibt wichtiges Thema". Aber gleichzeitig feststellt, dass es überhaupt keine Verschärfung des Problems in Leipzig gibt.

Der Wortlaut in der Pressemitteilung des Dezernats Umwelt, Ordnung, Sport dazu: “Wie bisher auch, bleibt der Alkoholkonsum im öffentlichen Raum für die Stadt Leipzig ein wichtiges Thema. Dies betrifft einerseits den Gesundheitsschutz und die Suchtprävention im Allgemeinen und andererseits den Konsum von Alkohol durch Kinder und Jugendliche im Speziellen. Des weiteren stößt der Alkoholkonsum im öffentlichen Raum nicht selten auch auf Kritik der Bevölkerung, soweit er mit Lärmbelästigung, Vandalismus oder sonstigen Ordnungsstörungen verbunden ist.”

Dass es diese seltsame “Kritik aus der Bevölkerung” seit Jahren gibt, wäre nicht erwähnenswert, wenn dahinter auch wirklich eine zunehmende Problematik stünde. Steht sie aber nicht. Auch nicht in Wiesbaden. Die selbsternannten Präventionsexperten, die im Tagesgeschäft einfache Ordnungsamtsleiter sind, dazu in ihrer “Wiesbadener Erklärung”, die sie just zu Halloween am 31. Oktober verabschiedeten: “Einig waren sich die Vertreter darin, dass das Phänomen des sogenannten Komatrinkens bei Jugendlichen nicht weiter zugenommen habe. Gleichwohl gäbe es bei dem Abgabeverbot von Alkohol an Jugendliche durch den Handel, wie beispielsweise Supermärkte, Kioske und Getränkemärkte, weiterhin große Defizite.” Es gibt also augenscheinlich eher kein Konsum- als ein Abgabeproblem.

Und eigentlich kann – trotz des vollmundigen Warntons – auch das Leipziger Ordnungsamt keine neuen Handlungszwänge erkennen.

“Mit Blick auf die Arbeitssitzung des Städtenetzwerkes Kriminalprävention wird für die Stadt Leipzig aktuell kein neuer gesetzgeberischer Regelungsbedarf gesehen, um den Verkauf alkoholischer Getränke weiter zu reglementieren”, sagt Helmut Loris, Leiter des Ordnungsamtes. “Insbesondere mit dem Jugendschutzgesetz, dem Sächsischen Ladenöffnungsgesetz sowie der Polizeiverordnung über öffentliche Sicherheit und Ordnung in der Stadt Leipzig sind bereits jetzt ausreichende Rahmenbedingungen gegeben, um den Alkoholverkauf an Kinder und Jugendliche sowie damit einhergehende Begleiterscheinungen zu verhindern oder zu unterbinden. Diese Rahmenbedingungen erfordern auch die verantwortungsvolle Mitwirkung des Gewerbes und Einzelhandels. Verstöße wird das Ordnungsamt der Stadt Leipzig auch weiterhin mit Nachdruck verfolgen.”

Wobei in Leipzig der Schwerpunkt eben nicht auf Verfolgung liegt (das ist sowieso Sache der Polizei), sondern auf Prävention. Und so teilt das Ordnungsdezernat selbst mit: Die Strategie der Stadt Leipzig zur Alkoholprävention wurde zuletzt im Sommer 2013 honoriert. Leipzig gewann den ersten Preis im bundesweiten Wettbewerb “Vorbildliche Strategien kommunaler Suchtprävention” für kreisfreie Städte. Ausgezeichnet wurde hierbei das Projekt “Von der Straße ins Leben – Aufsuchende Hilfen für alkoholkranke Menschen im öffentlichen Raum”.

Den wesentlich brisanteren Teil der “Wiesbadener Erklärung” die am 31. Oktober im Namen des Städtenetzwerkes Kriminalprävention veröffentlicht wurde, ließ das Dezernat lieber gleich weg. Denn sie beinhaltet zum einen eben eher keine neuen Empfehlungen im Umgang mit dem Alkoholkonsum durch Jugendliche. Dafür einen geharnischten Teil zu etwas, was die “Präventionsexperten” ohne Anführungszeichen “Armutszuwanderung” nennen. Wie schnell die Diagnose “Armutszuwanderung” zu einer Kriminalisierung der ausgemachten Zuwanderungsgruppen wird, kann jeder in der Erklärung nachlesen.
“Anlässlich der diesjährigen Arbeitssitzung des Städtenetzwerkes Kriminalprävention in Wiesbaden haben sich die Präventionsexperten aus elf Großstädten in Deutschland mit aktuellen Problemlagen in den Städten auseinandergesetzt; sie fordern eine Reduzierung der Verkaufszeiten von Alkohol und kommunale Handlungsstrategien im Hinblick auf Armutszuwanderung.

Einig waren sich die Vertreter darin, dass das Phänomen des sogenannten Komatrinkens bei Jugendlichen nicht weiter zugenommen habe. Gleichwohl gäbe es bei dem Abgabeverbot von Alkohol an Jugendliche durch den Handel, wie beispielsweise Supermärkte, Kioske und Getränkemärkte, weiterhin große Defizite. Hier hat sich nach Meinung der Präventionsvertreter die Durchführung von Testkäufen mit Jugendlichen in der Praxis zur Einhaltung des Jugendschutzgesetzes bewährt. Besonders auffällig sei die Problemlage des Alkoholkonsums durch Jugendliche dort, wo aufgrund der verlängerten Öffnungszeiten von Supermärkten bis spät in die Nacht jederzeit Alkohol erworben werden kann. Hier müssten, soweit noch nicht geschehen, die Landesgesetzgeber wie in Bayern oder Baden-Württemberg Regelungen treffen, die den freien Verkauf von Alkohol rund um die Uhr einschränkten. Wichtig sei auch, dass die Weitergabe von Alkoholika innerhalb einer Clique durch Volljährige an minderjährige Freunde, wie im Jugendschutzgesetz vorgesehen, mit Bußgeldern geahndet werde.

Zunehmende Sorge bereitet einigen Städten die massive Zunahme der Armutszuwanderung in Deutschland. Durch die Aufnahme der Länder Rumänien und Bulgarien 2007 in die Europäische Union und der damit verbundenen Freizügigkeitsregelungen, sei ein vermehrter Zuzug von Armutsflüchtlingen festzustellen. Angesichts der zu erwartenden Zuspitzung der Zuwanderung im nächsten Jahr sei es geboten, frühzeitig Antworten auf die vielfältigen Probleme zu finden.

Aus Sicht des Städtenetzwerkes muss ämterübergreifend zusammengearbeitet werden; gemeinsam müssten Probleme analysiert und Lösungsstrategien erarbeitet werden. Einige Städte haben schon Arbeitsgruppen eingerichtet, die Handlungskonzepte erarbeiten.

“Wir als Städte dürfen nicht in einen Wettlauf der Verdrängung eintreten, sondern müssen lokal Hilfs- und Integrationskonzepte für die Bereiche Bildung, Gesundheit und Wohnen erarbeiten. Dazu gehören auch gezielte Strafverfolgungsmaßnahmen und Regelungen, um der oft einhergehenden Kriminalität entgegenzutreten, aber auch den Schleuserbanden das Handwerk zu legen. Das gilt ebenso für Armutsprofiteure, die rechtswidrig die Notlagen der Zuwanderer ausnutzen”, betont der Wiesbadener Präventionsexperte Wolfgang Weinheimer im Namen des Städtenetzwerkes Kriminalprävention.”

www.kriminalpraevention.de/arbeitsschwerpunkte/staedtenetzwerk/21-ansprechpartner-staedte.html

Ein “Spiegel Online”-Interview mit EU-Sozialkommissar László Andor zum Thema:
www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/zuwanderer-aus-rumaenien-und-bulgarien-eu-kommissar-andor-im-interview-a-925830.html

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