Gehört das zusammen? Dieses Rumoren an jedem Montag auf dem Leipziger Augustusplatz, wenn immer mehr Leipziger ihren Unmut über eine Politik äußern, die immer weniger mit ihnen zu tun hat - und auf der anderen Seite jetzt diese Stellungnahme des Arbeitskreises der Leipziger Agenda 21, die zwar irgendwie nur Stellung nimmt - aber eigentlich mahnt: Leipzigs Stadtpolitik muss sich ändern. Und zwar ernsthaft.

Stellung genommen hat der Arbeitskreis zum “Arbeitsprogramm 2020”, das sich Burkhard Jung im März selbst gegeben hat. Nachhaltigkeit kommt auch drin vor – auf Seite 50 in zwei bescheidenen Punkten – einmal will Jung den “Agenda-Prozess in Leipzig auch zukünftig unterstützen”, weist das aber in den Verwaltungsbereich von Dezernat III. Das ist das Dezernat von Heiko Rosenthal (Die Linke) – Umwelt, Ordnung, Sport. Eine falsche Zuweisung. Nicht nur, weil Rosenthal gar nicht der Mann ist, der das Format hat für diese Aufgabe (einige Stichworte: Umweltzone, vermüllte Parks, Autorennen in der Innenstadt, Motorboote im Neuseenland, Floßgraben, Nahleauslasswerk, Abholzungen auf den Deichen, …). Sondern auch, weil Nachhhaltigkeit spätestens seit 2007, seit in Leipzig die “Leipzig Charta” unterzeichnet wurde, Chefsache sein sollte.

Wenn Politik nicht nachhaltig wird, untergräbt sie die Lebensgrundlagen künftiger Generationen. Und sie zerstört die Substanz der Stadt. Auch die moralische. Das war schon 2007 zu spüren. Doch wirklich nachhaltig geworden ist Leipzigs Stadtpolitik nicht. Noch regiert das alte Denken in “Interessengruppen”. So wie in Brüssel, wie in Berlin und in Dresden. Der Bürger staunt, welchen Einfluss einige wenige Konzerne und Lobbyvertreter haben, wie sie wie selbstverständlich mit am Tisch sitzen und am Ende, wenn es um die Abstimmung geht, ihre Wünsche schon berücksichtigt sehen, bevor auch nur die gewählten Vertreter die Vorlagen gelesen haben.

Der zweite Punkt, den OBM Burkhard Jung in seinem “Arbeitsprogramm” erwähnt, ist die “Nachhaltige Beschaffung”, um die sich die Dezernate I und VI kümmern sollen – das Verwaltungsdezernat und das Dezernat Stadtentwicklung und Bau.

In gewisser Weise begrüßen die Akteure der “Agenda 21” das Arbeitspapier sogar: “Die Struktur des Programms baut auf dem Zielsystem des Integrierten Stadtentwicklungskonzeptes auf. In den Diskussionen im Rahmen der Leipziger Agenda 21 wurde dazu vor allem eingebracht, dass das Prinzip der Nachhaltigkeit als Querschnittsanforderung den fachlichen Zielen immer mit zugrunde gelegt werden muss. Die wurde jetzt im Zielsystem entsprechend verankert.”

Aber verankern ist nicht formen. Selbst aus Sicht der Akteure, die nun seit 1997 daran arbeiten, dass Leipzigs Politik endlich nachhaltig wird, fehlt da etwas Entscheidendes.

“Die Vorlage des Handlungsprogramms hat der Koordinierungskreis nun zum Anlass genommen, anzumahnen, die Umsetzung des Nachhaltigkeitsprinzips auf der Ebene der Maßnahmen weiter zu konkretisieren”, meldet diese. Denn es ist schlicht nicht nachhaltig, nur einzelne “nachhaltige” Bausteine ins Programm aufzunehmen, wenn das Gesamtpaket nicht nachhaltig ist. Dazu braucht es Maßstäbe, an denen sich alles messen lassen muss, was in Leipzig entschieden wird.

Der Koordinierungskreis hat dazu eine Reihe von Querschnittsmaßnahmen angeregt, so z.B. die Zusammenstellung eines Sets von Kernindikatoren und ein darauf aufbauendes jährliches Monitoring. Da und dort gibt es ja Ansätze dazu. Etwa das erklärte Ziel, Leipzig bis zur Mitte des Jahrhunderts vollkommen unabhängig zu machen von fossilen Brennstoffen oder den Umbau des städtischen Verkehrssystems mit einem starken Übergewicht für alle umweltfreundlichen Verkehrsarten.

Dazu gibt es auch immer wieder Berichte. Aber tatsächlich kann kein einziger Leipziger nachvollziehen, ob die Stadt mit dem Programm voran gekommen ist. Und wie weit. Dazu sind die Berichte zu selten und zu punktuell. Und Vieles, was zu einer nachhaltig funktionierenden Stadt gehört, bleibt unbeleuchtet oder erlebt sogar negative Trends.

Was auch seine Gründe darin hat, dass schon simpelste Beschlüsse der Stadt nicht auf ihre Wirkung in Sachen Nachhaltigkeit betrachtet werden. Und so fordert der Koordinierungskreis eine “Nachhaltigkeitsprüfung für städtische Beschlüsse und Planungen”. Begründung: “Für relevante Planungen der Stadt und Beschlüsse des Stadtrates sollte ein Instrument zur Reflexion der Auswirkungen der Entscheidungen auf die nachhaltige Entwicklung der Stadt erarbeitet werden. Dies soll im Anspruch ermöglichen, Konflikte und Herausforderungen konkret aufzuzeigen und für die Abwägung aufzubereiten und gleichzeitig einfach genug sein, um in das Verwaltungshandeln integrierbar zu sein.”Womit ein wichtiges Thema angesprochen wird: Denken in den Kategorien der Nachhaltigkeit ist komplex. Es geht eben nicht nur um nachwachsende Wälder. So ein Denken muss man lernen. Und auch wenn Leipzigs Verwaltung da und dort “integriert” denkt und plant – das Große und Ganze ist immer noch Stückwerk.

Aber warum nur nicht? Sind denn Leipzigs Bürgermeister nicht wahnsinnig stolz darauf, wie integriert sie mittlerweile denken?

Pustekuchen.

Ein klein wenig taucht das im Vorschlag 5 der Agenda-Koordinierungsstelle auf: “Bildung für nachhaltige Entwicklung in allen Bildungseinrichtungen verankern”. – Man weiß zwar, dass Sozialbürgermeister Thomas Fabian (SPD) sehr wohl weiß, wie wichtig das Engagement der Stadt für frühkindliche Bildung ist. Aber man merkt nicht, dass es in Leipzig ein übergreifendes Netzwerk für eine nachhaltige Bildung gibt. Angedeutet im Erklärungstext: “Die Kompetenzentwicklung für die Gestaltung einer nachhaltigen Entwicklung ist im klassischen Bildungswesen bisher nicht ausreichend verankert. Die Stadt Leipzig sollte gemeinsam mit Einrichtungen und Initiativen darauf hinwirken, dass in allen Bildungseinrichtungen in Leipzig Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) ein Thema wird und in die alltägliche Bildungsarbeit in geeigneter Form integriert wird. Für die eigenen Einrichtungen (insbesondere Kitas und VHS) wird ein eigenes Konzept zur Verankerung von BNE erarbeitet und umgesetzt. Für andere Einrichtungen (Schulen, Hochschulen u.a.) unterstützt die Stadt Leipzig aktiv lokale Akteure, die dieses Anliegen verfolgen.”

Hier tauchen sie auf, diese “lokalen Akteure”, die zwangsläufig die natürlichen Partner einer Stadtverwaltung (und der Politik) sind, wenn es darum geht, eine Stadt fit zu machen. Denn Schulen und Hochschulen sind – leider – Einrichtungen in Landeshoheit und in den letzten fünf Jahren gebeutelt von einer Landespolitik, die das glatte Gegenteil von nachhaltig ist. Wie aber kann man dem Aushöhlen und Demontieren wichtiger Strukturen entgegen wirken, wo doch selbst der letzte Straßenfeger mitbekommen hat, dass Hochschule die Basis für eine funktionierende Forschungs-, Innovations- und Gründerlandschaft sind? Wer macht die Netzwerkarbeit im Land, sucht Verbündete, zwingt auch die Landespolitik zum Diskurs?

Der Zwang von oben ist für die Bürger jeden Tag aufs neue spürbar. Nur sie selber sitzen da mit Beteiligungsinstrumenten, die nicht greifen und schon gar keinen Druck erzeugen auf eine unwillige Politik.

Und wer nimmt die Bürger mit in diesem Prozess? – Da ist man schnell bei der Kommunikations- und Informationspolitik. Und beim Thema Transparenz. Und bei dem, was in Leipzig so gern “Dialog” genannt wird. In Ansätzen hat es die Stadt ausprobiert in den letzten Jahren – in Bürgerwerkstätten, Online-Dialogen, Beteiligungsprojekten. Da und dort frühzeitig in Projekten wie dem Umbau der “Karli” oder den Verkehrsproblemen in Probstheida, manchmal auch erst hinterher – wie im Diskussionsprozess “Charta Leipziger Neuseenland”, der so ausgehen wird, wie zu erwarten war: wie das Hornberger Schießen.

Auch die Förderpolitik der Stadt könnte nachhaltiger werden – durch “die Einforderung angemessener Aktivitäten zur Nachhaltigkeit durch Dritte im Zusammenhang mit der Vergabe von Fördermitteln durch die Stadt”, findet die Agenda-Koordinierungsstelle. “So könnte die Vergabe von Fördermitteln an die Voraussetzung der Vorlage eines Konzeptes oder Aktivitätenplans der zu fördernden Institution gebunden werden, die ihr Engagement für eine nachhaltige Entwicklung beschreibt – wobei der Aufwand hierzu in einem angemessenen Verhältnis zum Umfang der Förderung stehen muss. Relevante Bereiche dabei könnten beispielsweise Energieeinsparung, Beschaffung, Kreislaufwirtschaft und Einhaltung ethisch-sozialer Standards sein.”

Die Ideen werden in den Agenda-Gremien weiter konkretisiert werden. Es ist auch vorgesehen, dass durch die Leipziger Agenda 21 jährlich auf dieser Basis eine auf Nachhaltigkeitsaspekte fokussierte Entwicklungsbewertung veröffentlicht wird. Oder besser: wieder veröffentlicht wird, denn zuletzt getan hat das das Agenda-Büro im Jahr 2003.

Das Arbeitsprogramm von OBM Burkhard Jung “Leipzig 2020”: www.leipzig.de/buergerservice-und-verwaltung/stadtverwaltung/oberbuergermeister/arbeitsprogramm-leipzig-2020/

Die Stellungnahme des Koordinierungskreises: www.leipzigeragenda21.de/detail/leipzig_2020.asp

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