Zumindest das hat der Deal zwischen der EU und der Türkei und das Gewirr immer neuer Absperrzäune auf der Balkanroute gebracht: Im Jahr 2016 ging die Zahl der Flüchtlinge, die nach Sachsen kamen, deutlich zurück. Ein Großteil der aus dem Boden gestampften Unterkünfte steht leer. Jetzt unterstützt auch die Linke den Vorschlag der SPD, die leerstehenden Unterkünfte zum Beispiel als Kitas zu nutzen.

Nach einer Meldung der LVZ will die Stadt Leipzig bezüglich des Unterbringungskonzeptes für Asylsuchende augenscheinlich Veränderungen vornehmen. Im Moment stünden in Leipzig 63,5 Prozent der Kapazitäten zur Unterbringung von Asylsuchenden leer und seien „für den Notfall“ reserviert. Der Bau von verschiedenen Unterkünften werde vorerst nicht wie geplant umgesetzt. Als Grund gibt Sozialamtleiterin Martina Kador-Probst sinkende Zuweisungszahlen an. In den Jahren 2015 und 2016 hätten die Kapazitäten schnell erhöht werden müssen.

Was dann die SPD-Fraktion im Leipziger Stadtrat am 28. Juni dazu anregte, über eine andere Nutzung der Gebäude nachzudenken. Durch den Rückgang der Zahl der Asylsuchenden ab dem Jahr 2016 stehen nun ungenutzte Raumkapazitäten zur Verfügung, die für andere Zwecke reaktiviert werden sollten.

„Für eine Kita von der Planung bis zur Fertigstellung braucht es mehr als zwei Jahre. In der jetzigen Wachstumsphase Leipzigs ist das zu lange“, stellt dazu Christopher Zenker, Vorsitzender der SPD-Fraktion, fest. „Deswegen haben wir bereits beschleunigte Bauverfahren wie Systembauweise gefordert. Darüber hinaus gibt es durch die neue Flüchtlingssituation freie Kapazitäten in erheblichem Umfang in ehemaligen Flüchtlingsunterkünften. Wir begrüßen es deshalb, dass die Stadtverwaltung die kleine Unterkunft in der Helenenstraße, auf dem AGRA-Gelände, die nicht mehr für die Unterbringung von Asylsuchenden genutzt wird, als Kita-Interim nutzen möchte. Darüber hinaus sollte die Stadtverwaltung jedoch prüfen, ob das auch an anderen Standorten möglich ist. Schließlich handelt es sich bei einigen nicht mehr genutzten Flüchtlingsunterkünften um ehemalige Kitas. Denkbar wäre auch, dass Räume bzw. Objekte an Tagespflegepersonen vermietet werden, die bisher keine geeigneten Räume gefunden haben. Wichtig ist, dass die Maßnahmen kurzfristig greifen, um schnell Plätze zu schaffen.“

Die Platzkapazitäten der Leipziger Kindertagesstätten reichen momentan nicht aus, um allen Familien mit Kindern einen Platz zur Verfügung zu stellen, die einen Kitaplatz brauchen. Die Stadt geht derzeit von einem Fehlbedarf an Kitaplätzen von zirka 1.700 Plätzen bis Ende 2018 aus. Durch verschiedene Maßnahmen sollen jetzt zeitnah zusätzliche Plätze geschaffen werden. Für die SPD-Fraktion ist die Nutzung von früheren Flüchtlingsunterkünften eine sinnvolle Ergänzung.

„Darüber hinaus muss auch geprüft werden, welche weiteren Zwischennutzungen möglich sind, um Überkapazitäten abzubauen. Anzustreben wäre zum Beispiel eine Mischnutzung von Objekten als Flüchtlingsunterkunft und Studenten- bzw. Ausbildungswohnheim“, sagt Zenker. „Städte wie Mannheim oder Freiburg haben hiermit bereits gute Erfahrungen gemacht. Ebenso wäre eine Teilnutzung für Wohnungslose möglich. Auch eine Vermietung als Bandproberäume wäre denkbar. Grundsätzlich muss das Ziel sein, die vorhandenen freien Kapazitäten zu aktivieren, um vorhandenen Bedarf in der Stadt zu decken und Kosten zu senken bzw. einen Refinanzierungsbeitrag zu erwirtschaften.“

Aber es gibt da noch ein anderes Problem, stellt Juliane Nagel, Stadträtin der Linksfraktion, fest: „Fünf Jahre sind vergangenen, seit das Konzept ‚Wohnen für Berechtigte nach Asylbewerberleistungsgesetz‘ nach heftigen Debatten vom Leipziger Stadtrat beschlossen wurde. Das Konzept war Ergebnis gesellschaftlicher Diskussionen um eine bessere Unterbringung von Geflüchteten. Nicht mehr Massenunterkünfte am Stadtrand, sondern die Ermöglichung einer integrativen Unterbringung im Stadtgebiet und selbstbestimmten Wohnens waren dafür die Maßgabe.“

Doch das Konzept sei mittlerweile nur noch geduldiges Papier: Die Sammelunterkunft in der Torgauer Straße ist nicht, wie ursprünglich geplant, geschlossen worden, sondern wurde für zirka 7 Millionen Euro saniert, obwohl eines der sanierten Häuser in Zukunft leerstehen soll. Insgesamt hält die Stadt 17 Objekte vor, die jeweils mehr als 60 Personen beherbergen, davon 13 für mehr als 150 Personen. Drei weitere Großobjekte sollen in den kommenden zwei Jahren ans Netz gehen.

„Zudem erhöht sich die Verweildauer in den Gemeinschaftsunterkünften stetig, über 50 Prozent der BewohnerInnen leben dort zwischen ein bis zwei Jahren“, kritisiert die Linke-Stadträtin. „Hinzu kommt, dass über 1.000 Geflüchtete, deren Asylantrag bereits positiv beschieden wurde, derzeit noch in den Gemeinschaftsunterkünften leben, obwohl sie inzwischen in die Verantwortung des Jobcenters übergangen sind und in Wohnungen ziehen dürfen bzw. sogar müssten.“

Nur sind passende Wohnungen in Leipzig mittlerweile rar geworden. Der dafür notwendige soziale Wohnungsbau wurde über Jahre vertrödelt. Die Zeit, da für große Zugänge von Geflüchteten nach Leipzig schnelle Lösungen nötig waren, ist vorbei, ein Umsteuern längst überfällig.

„Die zentralen Pfeiler des Unterbringungskonzeptes – die kleinteilige Unterbringung und selbstbestimmtes, dezentrales Wohnen – müssen wieder Leitlinien des Handelns werden“, fordert Juliane Nagel. „Statt Massenunterbringung muss das Wohnen in eigenen Wohnungen auch in der Realität wieder in den Mittelpunkt rücken. Dazu bedarf es massiver Anstrengungen, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen einerseits und gegen Diskriminierungsmechanismen auf dem Wohnungsmarkt vorzugehen andererseits. Denn genau hier liegen die Haupthemmnisse für den Übergang von Geflüchteten in eigene Wohnungen.“

Aus ihrer Sicht wäre es fatal, wenn aufgrund von Vertragsbindungen für Massenunterkünfte der vom Stadtrat mit dem Unterbringungskonzept beauftragte Ansatz unter die Räder kommen würde. Auch deshalb wolle die Linke den Vorschlag der SPD unterstützen, die Umnutzung von Asylunterkünften für andere soziale Zwecke zu prüfen und, so geeignet, auch zu realisieren.

Die Linksfraktion fordere zudem, das Unterbringungskonzept für Geflüchtete unter Einbeziehung von zivilgesellschaftlichen und flüchtlingspolitischen Initiativen zu überarbeiten. Juliane Nagel: „Die Grundintention des Konzeptes muss reformuliert und aktuelle Problemlagen – wie mangelnder Wohnraum und Diskriminierungsmechanismen auf dem Wohnungsmarkt – angegangen werden.“

Augenblicklich hält Leipzig Kapazitäten für 4.500 Menschen in Flüchtlingsunterkünften bereit. Da weitere Kapazitäten noch im Aufbau sind, sollen bis Frühjahr 2018 über 5.000 Plätze zur Verfügung stehen. Erst ab Herbst 2019 ist wieder ein Rückgang geplant.

Mit den drei Erstaufnahmeeinrichtungen des Freistaats sieht es nicht anders aus: Belegt ist nur noch die Einrichtung in der Max-Liebermann-Straße 36. Aber von den dortigen 700 Plätzen waren im Juni nur noch 173 belegt. Die beiden Erstaufnahmeeinrichtungen in der Landsberger Straße 133 (700 Plätze) und der Braunstraße 3 bis 5 (600 Plätze) befinden sich beide schon im Stand-by-modus.

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