Man muss die seit 2014 vermehrten Anschläge auf Immobilienunternehmen und Baustellen in Leipzig nicht verstehen, auch wenn sie aus Sicht der Täter eine Logik haben mögen. So eine Art Einschüchterungslogik, mit der man eine Wohnungspolitik erzwingen will, die auf parlamentarischem Weg feststeckt. Oder zumindest heftig gebremst wird, weil gerade in Sachsen lange Zeit galt: Es gibt keine Wohnungsnot. Auch im Leipziger Stadtrat waren solche Töne zu hören. Und statistisch mag das stimmen. Mit Statistik kann man alles Mögliche beweisen.

Und natürlich stimmt es: In den ländlichen Regionen Sachsens stehen tausende Wohnungen leer.

Sie nutzen nur jenen nichts, die sie brauchen könnten, wenn sie zu heutigen Mini-Löhnen in einer Stadt wie Leipzig wohnen, Familien gründen wollen und auf jeden Euro achten müssen. Sie können zwar noch im direkten, gut mit ÖPNV erschlossenen Umland nach Wohnungen schauen. Aber da wird es beim aktuellen Zustand der ÖPNV-Netze schnell dünn, fressen die Kosten der Mobilität die Ersparnis wieder auf.

Tatsächlich sind auch tausende junge Leipziger darauf angewiesen, in der Stadt eine bezahlbare Wohnung zu finden. Und viele geraten sehr schnell in finanzielle Klemmen, wenn auch nur der durchschnittlich von der Stadt ermittelte Mietpreisanstieg auf sie umgelegt wird.

Ein Thema, das die Linksfraktion jetzt zum Thema einer Stadtratsanfrage gemacht hat. Denn der von der Stadt erstellte Mietpreisspiegel war schon immer umstritten. Und seit endlich klar ist, was die Staatsregierung als bezahlbaren Wohnraum für untere Einkommen definiert, ist der Widerspruch noch deutlicher.

Denn das sächsische Innenministerium fördert sozialen Wohnraum so, dass am Ende eine Quadratmetermiete von 6,50 Euro herauskommt. Das hat aber für 60 Prozent der Leipziger Haushalte nichts mit sozial oder finanzierbar zu tun.

Es liegt sogar deutlich über dem Durchschnitt der 2017 und 2018 ermittelten Grundmiete von 5,62 bzw. 5,88 Euro je Quadratmeter. Und auch die sind für viele Leipziger unerschwinglich. Erst recht für all jene, die im Bereich der Grundsicherung leben. Und das sind nicht nur die Empfänger/-innen von ALG II, denen die Stadt als Kosten der Unterkunft (KdU) 4,94 Euro je Quadratmeter gewährt.

Ein völlig veralteter Wert, wie Die Linke in ihrer Anfrage, die sie am 22. Januar im Stadtrat beantwortet haben möchte, feststellt.

„Die Angebotsmieten sind seit der letzten Erhebung der Daten für KdU-Richtwerte (Januar 2016) um mehr als 20 % gestiegen. Diese Daten sind in die Überarbeitung der Richtwerte vom April 2018 eingeflossen. Im Frühjahr 2018 wurden neue Daten für die Anpassung der KdU-Richtwerte erhoben. Bisher erfolgte jedoch keinerlei Information an den Stadtrat“, kritisiert die Fraktion.

„Auf Nachfrage der Linksfraktion vom Mai 2019 (VI-F-08023) führte Herr Prof. Dr. Fabian aus, dass die Anpassung der Eckwerte für die Kosten der Unterkunft und Heizung bis Oktober 2019 erfolgen könne.“

Was für die Linksfraktion dann in die Frage mündet: „Da diese Anpassung bis heute nicht vorliegt und es für Menschen im SGB II Bezug sehr schwer ist, eine Wohnung in Leipzig zu finden, fragen wir erneut nach: Wann werden die KdU-Richtwerte für ALG 2- Bezieher/-innen endlich an die Leipziger Mietpreisentwicklung angepasst?“

Schon 2018 hatten auch die Wohnungsgenossenschaften kritisiert, dass die Zielgrößen dessen, was die Landesregierung als Sozialer Wohnungsbau definiert, und die Leipziger KdU-Sätze überhaupt nicht zusammenpassen.

Was im Ergebnis dann heißt, dass nicht der geförderte Wohnungsbau zustande kommt, den eine Stadt wie Leipzig tatsächlich braucht. Man kann die Landkreise ruhig mit einbeziehen. Ein künstlich fixierter Zielwert, der nicht zu den Einkommensklassen, wie sie in Leipzig tatsächlich die Regel sind, passt, entspannt den Wohnungsmarkt nicht.

Von den viel zu geringen Fördergeldern für geförderten Wohnungsbau an sich ganz zu schweigen. Der Grund ist simpel – und entlarvend: Auch Sachsens Wohnungspolitik sieht „den Markt“ als wichtigstes Regulationselement, obwohl der Markt schlicht nicht funktioniert, wenn Baupreise schneller steigen als die niedrigen Einkommen, um die es die ganze Zeit geht.

Die Einkommen jener Menschen, die auch in Leipzig im Schnitt 45 Prozent ihrer Einkommen für die Miete hinlegen und eben nicht die vom Amt für Statistik und Wahlen für die Gesamtstadt errechneten 30 bis 32 Prozent, in denen auch viele Gutverdiener-Haushalte stecken, die vom niedrigen Mietniveau der Vergangenheit profitieren oder die so gut verdienen, dass auch teure Wohnungen nur 20 Prozent ihres Einkommens beanspruchen.

Durchschnitte verstellen die Sicht auf die Wirklichkeit und vor allem auf diejenigen, die wirklich unter den Marktverzerrungen leiden und dann lieber mit Familie in zu kleinen Wohnungen leben oder ganz auf Kinder verzichten.

Nur so als Folgerung: „Der Markt“ verachtet Kinder. Sie spielen in „seinen“ Renditeerwartungen keine Rolle.

Die Dimension „Familie“ müsste eigentlich die Politik bedenken und ermöglichen. Aber da tun sich nicht nur Stadtverwaltungen schwer. Vielleicht ist das Thema zu kompliziert oder einfach zu fremd. Entsprechend zäh waren ja die Verhandlungen der SPD als Juniorpartner der CDU, als sie 2016 überhaupt erst einmal eine Fördersumme für „sozialen“ Wohnungsbau aushandelten.

Mit einer viel zu geringen Summe, die nicht wirklich hilft, den Druck aus der schlechter verdienenden Stadtbevölkerung zu nehmen, die eher mit Lebensqualität und Kinderverzicht bezahlt, als zu rebellieren. Denn wer so existenziell ständig am Limit lebt, der rebelliert nicht. Der zündet auch keine Baukräne an. Der geht eher nicht mehr zur Wahl, wenn auf dem Wahlzettel keiner steht, der wirklich bereit ist, für die Lösung ihrer Probleme zu kämpfen.

 

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