Es wird das leiseste Silvester, das Leipzig seit Jahrzehnten erlebt hat. Ein Silvester, wie es sich die Grünen-Fraktion im Leipziger Stadtrat im Frühjahr nicht einmal zu träumen gewagt hatte, als sie einen Antrag einreichte, die Leipziger Böllerei einzuschränken. In veränderter Form und mit deutlich formuliertem Missbehagen der Verwaltung, wurde der Antrag dann als Prüfantrag im Juli beschlossen. Aber der Ökolöwe findet das Ansinnen nach wie vor richtig.

Auch wenn nun ja tatsächlich ein Silvester/Neujahr mit deutlich weniger Geknalle kommt, nachdem die Bundesregierung den Verkauf von Feuerwerk komplett untersagt hat. Natürlich vor allem, um die eh schon mit Corona-Patienten überlasteten Krankenhäuser nicht noch durch die üblichen Silvester-Verwundeten zu beschweren.

Aber das kann nicht das letzte Wort sein.

„Ein generelles Böllerverbot ist schon längst überfällig und die Liste der Gründe lang“, zählt jetzt der Leipziger Ökolöwe vor. „Zerplatzte Trommelfelle, Augenverletzungen, traumatisierte Hunde und Katzen, Sachschäden, riesige Müllberge. Und an keinem anderen Tag im Jahr ist die Feinstaubbelastung so hoch wie an Silvester! Zum Jahreswechsel werden allein in Deutschland zwischen 100 bis 137 Millionen Euro in die Luft gejagt.“

Die Grünen setzten sich in ihrem Antrag für ein „vollständiges Abbrennverbot von Feuerwerkskörpern in Wohngebieten, öffentlichen Park- und Grünanlagen sowie Natur- und Landschaftsschutzgebieten“ ein, was das Leipziger Ordnungsdezernat rechtlich nicht für umsetzbar hält: „Dies ist jedoch – mit Ausnahme des Landschaftsschutzgebietes ,Leipziger Auwald‘ – nicht umsetzbar, da es hierfür an einer Rechtsgrundlage mangelt. Gleiches gilt für die willkürliche Beschränkung des Abbrennens von Feuerwerkskörpern auf geeignete Plätze und Straßen.“

Das ist so wie mit der Selbstverpflichtung bei Lebensmittelkonzernen oder Autoproduzenten: schöne Worte, es hält sich nur keiner dran und es ändert sich nichts. Und weil alle es machen, wird weitergeknallt – meist bis in die frühen Morgenstunden. Ein Leipzig, das ohne Dauergeknall in das Neue Jahr kommt, hat noch kein jetzt Lebender erlebt. Deswegen wird das „Corona-Silvester“ eine echte Premiere.

Und der 1. Januar wird erstmals so saubere Luft haben, wie noch kein Neujahrstag seit Menschengedenken.

Logisch, dass sich der Ökolöwe wünscht, dass es auch künftig nie wieder so wird wie letztes Jahr und vorletztes Jahr und vorvorletztes …

„In der Nacht vom 31. Dezember auf den 1. Januar steigt der Feinstaubanteil explosionsartig an“, schildert der Umweltverband die eigentlich sehr staubige Tradition vergangener Unvernunft. „Rund 2.050 Tonnen an Feinstaub werden jedes Jahr allein durch das Abbrennen von Feuerwerkskörpern in Deutschland frei. 75 Prozent davon werden allein in der Silvesternacht produziert, zeigt das Umweltbundesamt in seiner neuen Studie. Das entspricht zirka einem Prozent der insgesamt freigesetzten Feinstaubmenge in Deutschland.“

Die schädlichen Folgen der Silvesterböllerei in der Auflistung des Ökolöwen:

– In Großstädten kann die Konzentration an PM10 (Feinstaub mit einem Partikeldurchmesser von ≤ 10 µm) in der ersten Stunde des neuen Jahrs über 1.000 µg/m³ liegen. Zum Vergleich: Die EU-Kommission hat für PM10 einen verbindlichen Grenzwert von 50 μg/m³ für alle Mitgliedsstaaten festgelegt. Als Tagesmittelwert darf dieser nicht öfter als an 35 Tagen im Jahr überschritten werden. Am ersten Tag des neuen Jahres ist folglich bereits einer der erlaubten Tage mit Grenzwertüberschreitung aufgebraucht.

– Auch Lärm, der von Böllern und Raketen ausgeht, ist ein ernstzunehmendes Problem. Nach Silvester werden HNO-Ärzte verstärkt von Patient/-nnen mit akutem Hörschaden aufgesucht. Silvesterknaller können in unmittelbarer Nähe bis zu 150 Dezibel (dB) erreichen. Das ist vergleichbar mit dem Start eines Düsenfliegers. Aber auch von Feuerwerkskörpern, die nur zischen, geht eine Lautstärke bis zu 120 dB aus – das ist so laut wie ein Presslufthammer.

Bereits 85 dB können bei dauerhafter Beschallung gehörschädigend sein. 120 Dezibel sind die Schmerzschwelle und ab 135 dB ist schon bei einmaliger Einwirkung mit ernsten Folgen zu rechnen. Lärm ist nicht nur für das menschliche Gehör schädlich. Die ungewohnte Knallerei ist ein großes Problem für Haus- und wildlebende Tiere.

Silvesterknaller produzieren viel Müll

– Etwa 60 bis 75 Prozent der Feuerwerkskörper bestehen aus Hüllen, Verpackungen und Konstruktionsteilen. Die restlichen 25 bis 40 Prozent sind pyrotechnische Sätze, die überwiegend aus Schwarzpulver bestehen. Am Neujahrsmorgen ähnelt die Stadt einer einzigen Müllhalde. Was das anschließende Aufräumen angeht, zählt das Verursacherprinzip: Jede/r ist für das Aufräumen des eigenen Mülls verantwortlich.

Und so fordert der Ökolöwe: „Ein Böllerverbot für Leipzig!“

Übrigens ist in allen Schutzgebieten das Abfeuern von Böllern und Raketen verboten, betont der Ökolöwe noch. Dazu zählen in Leipzig der Auwald, die Gewässerufer und auch der Clara-Zetkin- und Johanna-Park. In der Ratsversammlung im Juli 2020 wurde auf Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Stadtrat Thomas Kumbernuß zudem beschlossen, dass das Zünden von Feuerwerkskörpern in öffentlichen Parks untersagt ist. Einzige Ausnahme trotzdem noch: Die Silvesternacht. Weitergehende Einschränkungen soll die Verwaltung prüfen.

Erst Ende November 2020 hat sich Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung für ein Böllerverbot auf dem Augustusplatz ausgesprochen.

In einer Antwort auf eine Einwohneranfrage erläuterte das Ordnungsdezernat im Dezember noch einmal seine Sicht auf die Dinge, die vor allem in der Aussage münden: „Eine ganzheitliche Untersagung von (privaten) Silvesterfeuerwerken im Leipziger Stadtgebiet ist mangels Rechtsgrundlage nicht möglich. Weder das Sprengstoff-, das Immissionsschutz-, das Brandschutz- noch das Polizeirecht eröffnen die Möglichkeit, ein derartiges Verbot zu verhängen. Inwieweit die Stadt Leipzig im Rahmen einer Allgemeinverfügung das Abbrennen von Feuerwerken auf öffentlichen Plätzen einschränken kann, wird derzeit noch geprüft.“

„Hier ist noch mehr möglich!“, betont der Ökolöwe. „Wir Ökolöwen fordern ein jährliches Feuerwerksverbot für Leipzig an Silvester und rufen alle Leipziger/-innen auf, umweltfreundlicher und gesünder ins neue Jahr zu starten. Mit dem eingesparten Geld kann man sich oder anderen etwas Gutes tun, den lokalen Handel, die Leipziger Kulturbranche oder die Gastronomie unterstützen.“

Vielleicht braucht es wirklich erst ein stilleres Silvester, damit auch die so vom Böllern Begeisterten merken, dass das ein viel schönerer Einstieg in ein neues Jahr ist. Wirklich Sinn macht das Silvesterböllern im Zeitalter eines spürbaren Klimawandels schon lange nicht mehr. Ehrlich gesagt: Da gibt es gar nichts zu feiern. Da ist eher ein Innehalten angesagt und die Überlegung, was jeder selbst beitragen kann, damit wir das so sensible Klima, das unsere Zivilisation ermöglicht, noch retten können.

Der Stadtrat tagt: Feuerwerk soll reduziert werden – Verwaltung zweifelt Rechtmäßigkeit an + Video

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