Die Corona-Lockdowns haben für einige Leipziger/-innen auch das Thema Gewalt wieder gegenwärtiger gemacht. Und die Frage: Wo findet man Hilfe, wenn man Opfer von Gewalt wird? Gerade dann, wenn es auch noch ein sexueller Übergriff war? Warum bewirbt Leipzig da nicht stärker die Gewaltschutzambulanz, fragt sich das Jugendparlament.

„Ich war wie benebelt. Ich hatte furchtbare Schmerzen, konnte kaum noch laufen, ich wusste nicht wohin mit mir und wollte einfach nur noch nach Hause“, zitieren die jungen Parlamentarier aus einem Bericht zur Gewalterfahrung

Sie können sich sehr gut vorstellen, wie das ist, wenn man nach sexueller Gewalterfahrung hilflos dasteht: „Sexuelle Gewalt vor allem gegen Frauen und Nicht-Binäre Personen ist ein ernsthaftes und schwerwiegendes Problem in unserer Gesellschaft. Zu diesem Schluss kommt bereits 2004 eine (repräsentative) Studie im Auftrag des BMFSFJ, wonach jede siebte Frau bereits sexuelle Gewalt erlebt hat. Umgerechnet auf Leipzig ergibt das mindestens 34.000 potentielle weibliche Opfer“, schreibt das Jugendparlament in seinem Antrag, der die bessere Sichtbarkeit der Gewaltschutzambulanz zum Inhalt hat.

„Die Stadtverwaltung wird beauftragt, bis zum Ende des II. Quartals 2021 ein Konzept vorzulegen, welches eine stärkere Wahrnehmung der Gewaltschutzambulanz und ihrer Arbeit und Angebote in der Öffentlichkeit zum Zweck hat. Ferner soll geprüft werden, ob die Einrichtung von weiteren Aufnahme- und Therapiestellen für Betroffene im übrigen Stadtgebiet sinnvoll ist“, formuliert das Jugendparlament das Anliegen.

Denn aus Sicht der jungen Parlamentarier ist es „nicht zu leugnen, dass es Strukturen geben muss, die Opfer in der von ihnen benötigten Art und Weise auffangen.“

Die Gewaltschutzambulanz beschreibt ihre Arbeit selbst so: „In der Gewaltopferambulanz werden im Rahmen einer ärztlichen Untersuchung Befunde erhoben, die auf die vorangegangene Gewalteinwirkung zurückzuführen sind (zum Beispiel Hämatome, Schürfwunden, Schmerzen) und forensisch sicher dokumentiert.

Die Dokumentation erfolgt schriftlich und/oder fotografisch bzw. als Skizze. Im begleitenden Gespräch mit der Ärztin werden die genauen Umstände der Gewalteinwirkung/Misshandlung erfragt und ebenfalls dokumentiert. Auf diese Weise kann später zu jedem Zeitpunkt ein ,gerichtsfestes‘ rechtsmedizinisches Gutachten über die Verletzungen erstellt werden. […]

Ferner wird die anonyme bzw. anzeigenunabhängige Spurensicherung angeboten, die besonders für Menschen, denen sexualisierte Gewalt widerfahren ist, von Bedeutung sein kann. Die Spuren z. B. einer Vergewaltigung (Spuren auf der Haut, Wäschestücke, ggf. Blut- oder Urinproben, Abstriche) werden sichergestellt und professionell verwahrt.

Betroffene können nach der Spurensicherung entscheiden, ob sie eine Anzeige erstatten wollen oder nicht. Alle Daten werden vertraulich behandelt und ausschließlich mit ausdrücklicher Zustimmung (schriftliche Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht) der Betroffenen verwendet.“

Und das Jugendparlament zitiert auch die Autorin Katja Grieger: „Akteurinnen und Akteure im Gesundheitswesen waren schon immer wichtige Schlüsselpersonen im Umgang mit Gewaltbetroffenen. In der aktuellen Situation kommt ihnen eine noch höhere Bedeutung zu, da viele andere Einrichtungen nur reduziert erreichbar, Besuche bei Ärztinnen und Ärzten jedoch auch während Kontaktbeschränkungen möglich sind.

Sie können für Betroffene wichtige erste Ansprechpersonen sein, wenn es um die Unterstützung bei Gewalt geht. Leider ist durch die Krise eine wichtige Versorgungsdebatte in den Hintergrund getreten. Es gibt nach wie vor nicht flächendeckend Angebote der Akutversorgung und vertraulichen Spurensicherung nach sexualisierter Gewalt. Vergewaltigte Frauen finden nicht in allen Regionen adäquate medizinische und befundsichernde schnelle Hilfe […].“

Gerade erst hat ja der Stadtrat die Einrichtung eines vierten Frauenhauses beschlossen, das zumindest Frauen die Möglichkeit bietet, gewalttätigen häuslichen Konflikten zu entkommen.

Aber sexuelle Gewalt passiert nicht nur im häuslichen Umfeld. Und da dabei auch die Seele zutiefst verletzt wird, suchen die Betroffenen meist nicht zuerst die nächste Polizeidienststelle auf, sondern brauchen einen Anlaufpunkt, wo sie zumindest ärztliche Betreuung und entsprechendes Verständnis finden. So gesehen ist die Gewaltambulanz ein unersetzliches Angebot.

Ob und wie die Stadt hier unterstützend tätig werden kann, wird als erstes im Fachausschuss Soziales, Gesundheit und Vielfalt des Stadtrats beraten.

Leipzig bekommt ein neues Frauenschutzhaus mit Clearingstelle

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