Es gibt einiges in Leipzig, was nicht zusammenpasst. Was oft gar nicht mal am Unwillen der Stadtverwaltung liegt, sondern an der Weltfremdheit von Behörden und Gesetzgebern. Die waren dann am 20. Januar unsichtbar auch anwesend, als in der Ratsversammlung eine scheinbar staubtrockene Vorlage mit dem Titel „Satzung über die Erhebung von Verwaltungskosten in weisungsfreien Angelegenheiten (Verwaltungskostensatzung)“ aufgerufen wurde. Natürlich hat eine Verwaltung auch Kosten.

Und die muss sie – so will es der sächsische Gesetzgeber – auch über Gebühren auf ihre Bürger umlegen. Das heißt: Für jeden Verwaltungsakt wird eine Gebühr fällig, die dann in den Haushalt fließt. Kostendeckungsgebot nennt sich das. Und Finanzbürgermeister Torsten Bonew deutete in einer kurzen Wortmeldung auch an, wer ihm dann immer Ärger macht, wenn der Stadtrat meint, bei Kosten müssten auch soziale Notlagen berücksichtigt werden: die Landesdirektion Sachsen.Die ihre Kontrollfunktion darüber, dass sich Sachsens Kommunen nicht sinnlos verschulden, sehr weit auslegt. Geradezu vormundschaftlich. Man erinnere sich nur an das Gezerre um den Doppelhaushalt 2021/2022, zu dem die Landesdirektion gleich wieder einen langen Ermahnungskatalog mitschickte, wie die Stadt Leipzig bitteschön auch in Zeiten der Corona-Pandemie darauf zu achten habe, mit den mit Auflagen bewilligten Geldern so zu wirtschaften, dass es zu keiner übermäßigen Geldausgabe kommt.

Da hat Leipzig zwar ein professionell ausgestattetes Finanzdezernat, das von einem sehr strengen Finanzbürgermeister geführt wird – und trotzdem bekommt er mit jedem zur Genehmigung eingereichten Haushalt eine Strafpredigt aus der Landesdirektion, die zumindest vermuten lässt, dass die Stadt Leipzig verschwenderisch und unsachgemäß mit Geld umgeht.

Anpassung der Verwaltungsgebühren nach 18 Jahren

Dass die Stadt nach 18 Jahren ihre Verwaltungskostensatzung anpassen muss, das war freilich in der Ratsversammlung am 20. Januar gar nicht strittig. Denn zwischendurch sind alle möglichen Kosten ja tatsächlich gestiegen und die Verwaltungsmitarbeiter/-innen haben etliche Tarifrunden hinter sich, in denen sich ihre Gehälter erhöhten. Da muss auch das Kostengefüge bei den Verwaltungsgebühren steigen.

Was für die meisten Bürger der Stadt kein Problem ist, weil sie spätestens seit 2011 ähnliche Zuwächse bei den Einkommen hatten.

Nur für eine Klientel gilt das nicht – nämlich alle Haushalte mit Einkommen an oder unter der Armutsgefährdungsgrenze.

Und das sind mehr, als sie in der Statistik der Arbeitsagentur Leipzig ausgewiesen werden. Das machte die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) Region Leipzig-Halle-Dessau erst am Dienstag, 25. Januar, wieder deutlich, als sie auf das nach wie vor akute Problem der Leipziger Aufstocker hinwies: „Wenn der Job zum Leben nicht reicht: In Leipzig sind aktuell 7.758 Menschen auf Sozialleistungen angewiesen – obwohl sie eine Arbeit haben. Damit ist jeder fünfte erwerbsfähige Hartz-IV-Bezieher in der Stadt ein ‚Aufstocker‘ (19 Prozent). Das teilt die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) unter Berufung auf eine Statistik der Bundesagentur für Arbeit mit.“

Zu den Aufstockern kommen noch all jene hinzu, die keine Aufstockung in „Hartz IV“ beantragen, sondern versuchen, mit ihren niedrigen Einkommen trotzdem über die Runden zu kommen. Allein 27 Prozent der Leipziger/-innen haben ein monatliches Nettoeinkommen unter 1.000 Euro. Das sind rund 137.000 erwachsene Leipziger/-innen. Die aber aus den hohen Sphären sächsischer Verwaltungskunst meist nicht wahrgenommen werden, genauso wenig wie ihr Probleme. Zu denen inzwischen auch der fast leergefegte soziale Wohnungsmarkt gehört.

Oder wie Linke-Stadträtin Beate Ehms am 20. Januar formulierte: „Den Antrag stellen die Leute ja nicht aus Spaß, sondern weil sie ein geringes Einkommen haben.“

Wie gerecht sind Gebühren für einen Wohnberechtigungsschein?

Da ging es um den Wohnberechtigungsschein (WBS), den die Stadt ausstellt, damit Leipziger/-innen mit prekärem Einkommen überhaupt ein Anrecht auf eine sozial geförderte Wohnung haben. Da mag Verwaltungsbürgermeister Ulrich Hörning recht haben, wenn er darauf hinweist, dass die Ausstellung des WBS rechnerisch 22 Euro kostet. Aber diese Summe ist weder im „Hartz IV“-Satz enthalten, noch haben die anderen Antragstellenden dieses Geld übrig, wo sie doch selbst längst – meist verzweifelt – auf der Suche sind nach einer bezahlbaren Wohnung.

„Die kostenfreie Erteilung eines Wohnberechtigungsscheins ist die einzige konsequent soziale Lösung“, erklärt Marianne Küng-Vildebrand, Sprecherin für Wirtschaft und Beschäftigung der Linksfraktion. „Menschen stellen einen entsprechenden Antrag ja nicht aus Freude an der Sache, sondern weil sie ein geringes Einkommen haben und Unterstützung benötigen.“

Dass die Anzahl der Antragssteller/-innen in den letzten Jahren erheblich angestiegen ist, zählt nicht als Argument für eine Kostenerhebung, betont Beate Ehms, für die Linksfraktion Mitglied im Ausschuss Allgemeine Verwaltung: „Wenn die Nachfrage aufgrund von zunehmender Armut steigt, dann ‚steuert‘ eine um 100 Prozent erhöhte Verwaltungskostenpauschale nicht etwa die Einkommensentwicklung oder den mietpreisgünstigen Wohnraum aus, sondern behindert Personen daran, ihren berechtigten Anspruch geltend zu machen.“

In ihrer Rede im Stadtrat nannte sie auch Zahlen: Allein 2021 stellten 1.882 Leipziger/-innen einen Antrag auf einen Wohnberechtigungsschein, 600 mehr als noch 2020. 749 davon – so Beate Ehms – hatten keinen Bezug zu SGB II („Hartz IV“) oder SGB XII.

Eine Entwicklung, die im Verwaltungsdezernat durchaus wahrgenommen wurde, weshalb der Kreis der Antragsteller schon durch die Verwaltung deutlich erweitert wurde auf alle „Leipzig Pass“-Inhaber, wie Hörning betonte. Was aber die Verwaltung noch nicht dazu brachte, beim Preis wirklich einzulenken. Bislang kostete die Antragstellung 5 Euro. In der Vorlage sprach sich das Dezernat dann wie eine aus ihrer Sicht moderate Erhöhung auf 10 Euro aus.

Aber was bei einem Einkommen von 3.000 Euro im Monat „moderat“ aussieht, greift bei Einkommen unter 1.000 Euro direkt in den Lebensunterhalt ein. Logisch, dass sich darum dann eine Debatte entspann und sich einige Stadträte auch gegen die ins Spiel gebrachte Kostendeckungsverpflichtung aussprachen. Selbst Ulrich Hörning betonte, dass eine soziale Zwangslage sehr wohl ein ausreichender Grund ist – auch in Sachsen – Verwaltungsgebühren zu mindern.

Müssen auch die Armen zur Kostendeckung beitragen?

Nur dass in diesem Fall nicht nur die Linken der Meinung waren, dass es beim WBS nur logisch ist, diese Gebühren für die Antragsteller komplett zu erlassen. Die Grünen-Fraktion hatte – in einem ganzen Antragspaket – auch diesen Punkt formuliert:

„Wohnberechtigungsscheine werden nur von Menschen mit geringen Einkommen beantragt. Selbst im Falle einer Versagung haben diese Antragsteller/-innen nur ein geringes, wenn auch offenbar über der ALG2-Grenze liegendes Einkommen. Auch Menschen mit Wohngeldberechtigung waren bislang nicht von der Gebührenbefreiung umfasst. Uns erscheint der Verwaltungsaufwand zur Prüfung einer Gebührenbefreiung in jedem Einzelfall größer, als eine generelle Gebührenfreiheit festzusetzen. Abgesehen davon käme die generelle Befreiung Menschen mit niedrigen Einkommen entgegen.“

Die soziale Frage wurde dann auch bei den drastisch angehobenen Kopiergebühren der Verwaltung diskutiert. Aber außerhalb der Wohnungsfrage ist die Ratsversammlung im Grunde zweigeteilt. Sämtliche anderen Antragspunkte aus dem Änderungsantrag der Grünen wurden praktisch von der Hälfte der anwesenden Stadträt/-innen abgelehnt – manchmal knapp, manchmal mit Gleichstand. Aber auch das ist eine Ablehnung.

Aber die Argumente von Linken und Grünen zum Wohnberechtigungsschein teilte die Stadtratsmehrheit. Da das Anliegen der Linken im Antragspunkt der Grünen enthalten war, wurde nur dieser abgestimmt und bekam mit 42:19 Stimmen eine deutliche Mehrheit.

Welche Wirkung haben Kosten für Hundemarken?

Abgelehnt wurde damit übrigens auch ein Anliegen der Grünen, die (Neu-)Ausstellung von Hundemarken von den Gebühren her deutlich abzusenken: „Es ist in unser aller Interesse, wenn Hunde registriert werden. Hundehalter/-innen, die dies ordnungsgemäß machen, sollten im Falle eines Verlustes der Hundemarke nicht mit zu hohen Gebühren belegt werden. Stattdessen sollte vielmehr das Ziel sein, bislang unregistrierte Hunde einer ordnungsgemäßen Registrierung durch ihre Halter/-innen zuzuführen.“

Hier argumentierte Grünen-Stadtrat Martin Biederstedt mit dem Einnahme-Argument – denn wenn die Ausstellung einer neuen Hundemarke preiswerter ist, würden mehr Hundehalter ihren Hund auch anmelden und damit Hundesteuer zahlen.

Aber in diesem Fall hatte wohl Finanzbürgermeister Torsten Bonew recht, der auf Erfahrungen aus der Vergangenheit verwies, als die damals noch biligeren neu ausgestellten Hundemarken regelrecht auf einem Zweitmarkt gehandelt wurden. Zumindest vermutet er das. Einen Einfluss auf die Anmeldung der Hunde hatte die niedrige Gebühr aber wohl nicht. Sodass zumindest zu vermuten steht, dass die Erhöhung der Kosten für den „Ersatz einer abhandengekommenen Hunderegistriermarke“ auf 20 Euro erst einmal nichts an den Anmeldungen und an den Einnahmen durch die Hundesteuer ändert.

Die gesamte Verwaltungsvorlage zu den neuen Verwaltungsgebühren bekam dann 43:6 Stimmen. Die meisten Grünen enthielten sich.

Dafür freuten sich vor allem die Linken, dass die Sache mit dem Wohnberechtigungsschein eine so deutliche Mehrheit in der Ratsversammlung gefunden hat.

Die Debatte vom 20. Januar 2022 im Stadtrat

Video: Livestream der Stadt Leipzig

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