Eigentlich sollte das 2017 eingeführte Listenverfahren bei der LWB dabei helfen, dass Migranten in Leipzig schneller zu einer bezahlbaren und angemessenen Wohnung kommen und auf dem Wohnungsmarkt nicht diskriminiert werden. Doch das gute Anliegen ist völlig schiefgegangen. In der Ratsversammlung am 15. März wurde die Reißleine gezogen.

Mohamed Okasha stellte für den Migrantenbeirat den Antrag vor, das Listenverfahren abzuschaffen und einen Runden Tisch zu initiieren, der wirkliche Lösungen für die Wohnungsprobleme für die von Transferleistungen abhängigen Migranten suchen soll.

Denn was einst gut gemeint war, funktioniert so nicht. Der Antrag des Migrantenbeirates formulierte es so: „Die LWB praktiziert bei der Wohnungsvergabe für Migrant/-innen das sogenannte Listenverfahren.

Alle Personen nichtdeutscher Herkunft mit einem Aufenthalt von länger als ein Jahr, die von Transferleistungen leben (ALGII oder Grundsicherung nach SGB XII), für die also das Jobcenter oder das Sozialamt die Miete übernimmt, dürfen zur Anmietung inserierte Wohnungen der LWB nicht besichtigen, sondern werden auf eine Liste gesetzt. Dort bleibt der Name für sechs Monate und rechtzeitig vor Ablauf der sechs Monate muss die Meldung für die Liste erneut erfolgen.

Die LWB sagt, dass sie ‚geeignete Wohnungen‘, bevor sie öffentlich zur Vermietung ausgeschrieben werden, den Menschen auf der Liste anbietet und erst, wenn diese sie nicht wollen – oder wenn die Wohnung aus Sicht der LWB nicht zur Vermietung an Migrant/-innen geeignet ist, wird sie öffentlich zur Vermietung angeboten.“

Listenverfahren sorgt für Diskriminierung

Aber das funktioniert so nicht. Denn die Vermittlungsquote ist denkbar schlecht, wie Grünen-Stadtrat Tobias Peter feststellt: Von 600 Anträgen auf der Liste wurden jährlich gerade einmal 60 vermittelt. Die Wartezeit für die Antragsteller liegt zwischen dreieinhalb bis zu sechs Monaten.

Statt Integration und Inklusion ergebe das Verfahren tatsächlich eine weitere Diskriminierung, wie Linke-Stadträtin Juliane Nagel sagte.

Und aus der Sicht des Migrantenbeirats ist es sogar ein deutlicher Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz:

„Diese Praxis benachteiligt Migrant/-innen (wegen der Herkunft), denn Deutsche, die ebenso in der gleichen finanziellen Situation sind (Transferleistungen ALGII oder Grundsicherung nach SGB XII), werden nicht auf die Liste gesetzt, sondern diese können sich, im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten, frei auf dem Wohnungsmarkt bewegen. Sie können sich, wenn sie sich für eine Wohnung interessieren, einen Besichtigungstermin vereinbaren. Das ist für Migrant/-innen mit Sozialgeldbezug nicht möglich. Hier liegt ganz klar eine Ungleichbehandlung vor. Personen in der gleichen finanziellen Situation werden ausschließlich aufgrund ihrer (ethnischen) Herkunft unterschiedlich behandelt, das wirkt sich benachteiligend für Migrant/-innen aus.“

Und das bestätige ja auch der Verwaltungstandpunkt aus dem Dezernat Stadtentwicklung und Bau, konnte Mohamed Okasha feststellen.

In diesem Verwaltungsstandpunkt kann man lesen:

„Das sog. Listenverfahren wurde seit seiner Einführung im Jahr 2017 mehrmals modifiziert und angepasst. Heutzutage wird es von der LWB genutzt für die Wohnungsvergabe an Asylberechtigte mit KdU-Bezug und einem Aufenthaltsstatus von mindestens einem Jahr. Zum Zeitpunkt der Einführung des Verfahrens wurde die Liste noch für alle Asylberechtigten, die bei der LWB eine Wohnung anfragten, genutzt.

Das Listenverfahren wurde jedoch nie – wie der Antrag es vermuten lässt – für weitere Gruppen von MigrantInnen genutzt. Neben dem Ziel der Korruptionsvermeidung ermöglicht das Listenverfahren aus Sicht der LWB, dass AsylbewerberInnen einen bevorzugten Zugang zu einer Wohnung erhalten: Die LWB hat im Jahr durchschnittlich 48.000 Anfragen von MietinteressentInnen, davon werden mit ca. 3.300 InteressentInnen Mietverträge abgeschlossen.“

Direkte Konkurrenz – so oder so

Doch die Ergebnisse dieses Verfahrens sind letztlich das Gegenteil:

„Beim Listenverfahren für AsylbewerberInnen gibt es jährlich ca. 600 Interessenten. Etwa 60 Mietverträge können pro Jahr über dieses Verfahren abgeschlossen werden. Hierbei wirkt sich vermittlungshemmend aus, dass von Asylbewerber/-innen überwiegend 1- und 4-Raum-Wohnungen und größer nachgefragt werden, für die insgesamt eine große Nachfrage herrscht, die jedoch auf dem Leipziger Wohnungsmarkt nur unterdurchschnittlich vorhanden und frei sind.

Bei Abschaffung des Listenverfahrens stehen die Asylberwerber/-innen in direkter Konkurrenz mit anderen unterschiedlichsten Zielgruppen mit Marktzugangsschwierigkeiten, die die LWB nach ihren Möglichkeiten mit Wohnraum versorgt. Nach Ansicht der LWB wäre die Chance für AsylbewerberInnen auf eine LWB-Wohnung über das normale Verfahren geringer als über die gesonderte Liste.“

Was natürlich den Fokus auf die Tatsache legt, dass Leipzig nun seit Jahren unter einem engen Wohnungsmarkt leidet. Nicht für alle Einkommensgruppen. Denn für Gutverdienende wird weiterhin mehr als genug gebaut. Der Mangel besteht bei den preiswerten Wohnungen für die einkommensschwächeren Bevölkerungsgruppen, wo sich die arbeitssuchenden und geringentlohnten Migranten in direkter Konkurrenz sehen mit den einheimischen Geringverdienern und Transferbeziehern. Die jährlich neu gebauten Sozialwohnungen reichen nicht ansatzweise aus, den Bedarf in diesen preisgünstigen Segmenten und gerade bei den heiß begehrten Single- und Familienwohnungen zu decken.

Der verwaltete Mangel

Diesen Mangel behebt das Listenverfahren der LWB nun leider auch nicht.

„Andererseits wird das Listenverfahren durch die betroffenen wohnungssuchenden Asylbewerber/-innen als nachteilig empfunden, da sie bei der Wohnungssuche nicht auf den ‚normalen‘ Wohnungsbestand der LWB zugreifen können. Auch die Vergabe der Wohnungen nach dem Listenverfahren wird als Benachteiligung empfunden. Wenn es ein Wohnungsangebot der LWB nach dem Listenverfahren gibt, kann der/die Mietinteressent/-in nach Schilderungen keinen Besichtigungstermin vereinbaren und wahrnehmen.

Der/die Mietinteressent/-in muss die angebotene Wohnung nehmen oder sein/ihr Anspruch verfällt und es ist eine erneute Registrierung auf der Liste mit neuen Wartezeiten notwendig. Darüber hinaus muss halbjährlich das Anmietungsinteresse gegenüber der LWB neu kommuniziert werden, da der/die Betroffene sonst von der Liste gestrichen wird“, formuliert das Baudezernat.

So funktioniert das einfach nicht. Es sorgt für Frustration und verhindert vor allem, dass die Antragsteller ihr Wohnungsproblem schnell und unbürokratisch gelöst bekommen. Weshalb dann auch die Verwaltung schon vorschlug, „das Listenverfahren der LWB abzuschaffen und bis zum Ende des III. Quartals 2022 ein alternatives Berichtswesen“ zu entwickeln. Dass es ein wirklich sinnvolles wohnungspolitisches Integrationsprogramm braucht, betonte auch Tobias Peter.

Denn natürlich leiden auch die einheimischen Transferbezieher und Schlechtverdiener unter der Schieflage des Leipziger Wohnungsmarktes. Weshalb sich ja die Konkurrenz um die bezahlbaren Wohnungen oft auch in Diskriminierung und Anfeindungen entlädt. Wer nicht in so einer Lebenslage landet, kennt diese Probleme nicht und kann da gut die Nase rümpfen über „Problemviertel“ und Rassismus.

Aber beide haben ihre Ursachen nun einmal in realen sozialen Konflikten und fehlenden Ressourcen. Und es gab genug Aussagen einer blinden Stadtverwaltung, die öffentlich immer wieder betonte, es gebe keinen angespannten Wohnungsmarkt in Leipzig. Für Gutverdiener gibt es den auch nicht. Für die prekär Lebenden und Beschäftigten ganz unten aber ist er Realität. Höchste Zeit, dass das auch Verwaltungsebene wirklich verstanden wird.

Auf Bitte von Mohamed Okasha wurde dann auch der 1. Januar 2023 als Zeitpunkt für die Abschaffung des Listenverfahrens aus der Verwaltungsvorlage genommen und dort die sofortige Abschaffung schriftlich vermerkt.

Die Ratsversammlung stimmte dieser Vorlage dann mehrheitlich – mit einigen wenigen Gegenstimmen – zu.

Die Debatte vom 15. März 2022 im Stadtrat

Video: Livestream der Stadt Leipzig

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