Es hat ein bisschen gedauert, aber irgendwann hat man sich auch durch die 400 Seiten "Touristische Potenzialanalyse und Betrachtung der Grobvarianten der Trassen des Projektes Anbindung des Elster-Saale-Kanals an die Saale für das Gebiet der sächsischen und sachsen-anhaltinischen Kommunen und Landkreise" gewühlt - 2011 erstellt und 2013 Grundlage jener Leipziger Ratsvorlage, die eine Zustimmung des Stadtrates für den 106 Millionen Euro teuren Ausbau des Kanals abholen will.

Die Grünen haben, nachdem das Thema nun auch endlich öffentlich diskutiert wird, für Mittwoch, 22. Mai, um 18 Uhr eingeladen in das Vereinshaus des Wasserstadt Leipzig e. V. in Plagwitz (Industriestraße 72). Die Ersteller der “Potenzialanalyse” sind mit dabei. Und werden sicher auch versuchen zu erklären, dass ihre Analyse so und nicht anders ausgehen musste.

Das ganze Paket besteht aus zwei großen Textteilen und mehreren Karten. Der zweite Textteil, der so etwas wie der Versuch einer Analyse ist, ist ebenfalls mit Karten und Bildern gespickt. Aber wer sich durchwühlt, merkt bald: Es gibt zwar viele Träume, aber eigentlich kein Potenzial. Das soll durch das Kanalprojekt erst erzeugt werden. Die Fakten für Leipzig: “Wie die obigen Zahlen bereits verdeutlichen, ist der motorisierte Bootstourismus kaum entwickelt. Lediglich 70 Boote mit Motorantrieb, davon 12 private, sind in Leipzig und den Seen im Südraum gemeldet.”

So steht es in der “Potenzialanalyse”, die der Grüne Ring Leipzig auf seiner Website zu Nachlesen zur Verfügung stellt.

Wozu dann also ein Kanal für große Motorboote? Wozu dann die ganzen nautischen Gutachten zum Leipziger Gewässerknoten? – Die “Analyse” gibt die Antwort. Und zwar deutlich: Man will den Motorbootverkehr drastisch erhöhen. Das Ganze ist wie ein Kartenhaus aufgebaut: Unter Annahme, dass ein durchgängig befahrbarer Kanal die Bootstouristen nach Leipzig lockt, wird auch der Bootstourismus auf der Saale attraktiver. Aber nur, wenn der durch Untiefen erschwerte Übergang von der Saale zur Elbe ermöglicht wird. Dann könnten auch Fahrgastschiffe aus Dresden, Hamburg, Berlin vielleicht umsteuern – saaleaufwärts nach Leipzig.

Aber auch auf der Elbe herrscht nicht wirklich Motorbootgetümmel. Denn die Elbe hat ja auch gerade in der warmen Jahreszeit immer wieder Probleme mit Niedrigwasserständen. Was Kapitäne aus Hamburg und Berlin jetzt schon davon abhält, auf die Elbe zu fahren. Klartext aus der “Potenzialanalyse”: “Nach Angaben des WSA Magdeburg gibt es auf Elbe und Saale (keine Differenzierung) 584 zugelassene Sportboote. Dabei liegt ein deutliches Übergewicht auf der Saale. Für den Bereich Merseburg liegen die Schätzungen zwischen 100 und 150 Booten. Hinzu kommen geschätzte ca. 50 Gastboote pro Jahr, die über die Elbe auf die Saale fahren oder ihr Boot dorthin trailern.”

Kleines Zwischenfazit für die Saale: Seit 2003 hat “die Zahl der Schleusungen kontinuierlich abgenommen”. Für die Büros, die jetzt die “Potenzialanalyse” erstellt haben, heißt das in einem recht flotten Zirkelschluss: “Dies bedeutet auf der anderen Seite, dass es nicht gelungen ist, den Gewässerbereich im Kerngebiet in den letzten Jahren wassertouristisch zu entwickeln.” Man hat in Halle Millionen für den Motorboottourismus ausgegeben (unter anderem 30 Millionen für einen Stadthafen) – und kommt nicht weiter.

Die Rettung, die die Akteure also sehen: Noch mehr Geld ausgeben.Die Zugänglichmachung der Saale von der Elbe her würde geschätzte 500 Millionen Euro kosten. Und beim Elster-Saale-Kanal für 106 Millionen (eigentlich 151 Millionen) würde es nicht bleiben. Auch das steht in der “Analyse”. Wirklich attraktiv würde das Ganze erst, wenn auch die Weiterfahrt zum Cospudener See möglich wird, was ja bekanntlich durch den Gewässerknoten Leipzig und den Floßgraben jetzt gar nicht möglich ist. Deswegen taucht der irritierende Kanalbau vom Elsterflutbett zum Cospudener See in der Karte auf: die “Nordwestpassage”. Als “Vision”, wie es die Autoren des Ganzen nennen. Ohne Kostennote. Sind es weitere 20 oder 50 Millionen Euro, die das kosten würde, um “motorisierten Segelbooten” die Weiterfahrt zum Cospudener See (und damit auch zum Zwenkauer See) zu ermöglichen? – Immerhin braucht das auch wieder eine Schleuse, die den Mindesthöhenunterschied von 3 Metern überwindet.

Und es braucht so etwas wie eine “Schiffbarkeitserklärung” für den Leipziger Gewässerknoten. Denn derzeit gilt noch: “Ein individueller motorisierter Bootsverkehr ist durch die rechtliche Regelung ausgeschlossen und damit auch die Verbindung zu den Gewässern südlich von Leipzig.”

Da darf man schon fragen: Warum werden dann nautische Gutachten erstellt und Visionen einer “Nordwestpassage” gemalt?

Dasselbe Spiel wird aktuell mit dem seit 2011 gefluteten Geiseltalsee, wenige Kilometer südwestlich von Merseburg, gespielt. Da kommt man derzeit auch nicht mit dem Motorboot hin. “Nach Realisierung der angestrebten Planungen wird der See ein weiteres touristisches Zentrum mit dem Schwerpunkt Urlaub am Wasser/Wassertourismus in der Saale-Unstrut-Region darstellen. Mit dem derzeitigen Entwicklungsstand ist der See aber nur bedingt vermarktungsfähig”, behaupten die Analysten einfach mal. Woher haben sie diese Weisheit? Von den Tourismusverbänden, die sie abtelefoniert haben? – Nur zur Erinnerung: 2011, als die “Potenzialanalyse” erstellt wurde, wurde der Geiseltalsee gerade fertiggestellt. Die Vermarktung begann gerade erst.

Und natürlich hat der Geiseltalsee dasselbe Potenzial für motorlosen Wassersport wie die Seen im Leipziger Südraum, die schon fleißig von den Einwohnern der Region zur Erholung genutzt werden. Übrigens alles Bergbaufolgeseen: Alle Investitionen, die sie derzeit attraktiv machen, sind durch Bergbaufolgemaßnahmen zustande gekommen. Nicht damit Tourismus entsteht – das ist nicht der Sinn dieser Gelder – sondern damit wieder nutzbare Landschaften entstehen. Und zwar zuallererst für die einheimische Bevölkerung, die denn auch in der “Potenzialanalyse” das Hauptpotenzial der Nutzer ausmacht.

Aber von diesem Stand geht die “Analyse” nicht aus. Sie geht davon aus, dass diese Landschaft Tourismus generieren soll. Doch selbst die Saale existiert als touristische Destination nicht: “Mit Blick auf eine überregionale Vermarktung liegt ein zentrales Hemmnis in der fehlenden Wahrnehmung der Unteren Saale als Wassersportrevier nach innen und außen. Bislang gibt es kaum eine koordinierte und abgestimmte Zusammenarbeit für die gesamte Untere Saale. So verwundert es nicht, dass die Saale als Revier für Motorboote auf dem Markt faktisch nicht präsent ist. (…) Ein motorisierter Bootstourismus findet touristisch, wenn überhaupt, nur in einem sehr geringen Umfang statt.”

Einfach noch mal zur Klarheit: Da drüben am westlichen Ende des potenziellen Elster-Saale-Kanals wartet keine Bootsflotte darauf, endlich ins Leipziger Gewässersystem einfahren zu können. Sie existiert nicht – nicht in Halle, nicht in Magdeburg, nicht in Hamburg und nicht in Berlin. Das ganze Flusssystem ist zu labil, die Investitionskosten auch nur zur Beseitigung der wesentlichen Fehlstücke belaufen sich auf mindestens 600 Millionen Euro – wahrscheinlich noch mehr. Denn wenn die Boote in der Marina am Lindenauer Hafen sind, kommen sie erst mal nicht weiter.

Teil 2 der Analyse der Analyse lesen Sie gleich an dieser Stelle.

Die “Touristische Potenzialanalyse” findet man unter Punkt 6 auf der Download-Seite des Grünen Rings Leipzig: www.gruenerring-leipzig.de/index.php/downloads

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