Die Leipziger kennen diese Eiertänze nur zur Genüge. Wenn es um ihre Gesundheit und den Umweltschutz geht, laufen staatliche Instanzen, Kontrollgremien und Gerichte zur Höchstform auf, um zu beweisen, dass diese niemals berührt, gefährdet oder gar in Mitleidenschaft gezogen werden. Eins der größten Trauerspiele feiert seinen 10. Geburtstag: der Eiertanz um die Startbahn Süd auf dem Flughafen Leipzig/Halle. Der begann nämlich schon 2004.

Und die Klagen der betroffenen Anwohner und der Umweltverbände werden seit 2007, seit sich so langsam herausstellte, welche Versprechen und Verheißungen alle nicht gehalten wurden, zwischen einer tatenunwilligen Fluglärmkommission, Landes- und Kommunalbehörden und diversen Gerichten hin und her gespielt wie Pingpongbälle. Jedes Mal scheint sich der letztlich sprechende Richter in den berühmten Igel zu verwandeln, der hoheitsvoll verkündet: Hase, du läufst umsonst. Du kommst zu spät.

Am Donnerstag, 19. Dezember, ist wieder so ein Termin – diesmal vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, das ab 10 Uhr tagt zur Sache “Grüne Liga Sachsen e.V. – RA Wolfram Günther, Leipzig – ./. Bundesrepublik Deutschland – RA Redeker, Sellner und Dahs, Berlin”.

“Der Kläger, ein in Sachsen anerkannter Naturschutzverein, wendet sich gegen Flugverfahren (‘Flugrouten’) zur sog. kurzen Südabkurvung für den Flughafen Leipzig/Halle, die ohne seine Beteiligung festgesetzt worden sind und u.a. über das Vogelschutzgebiet ‘Leipziger Auwald’ und das Landschaftsschutzgebiet ‘Leipziger Auwald’ führen. Das Oberverwaltungsgericht Bautzen hat die Klage mangels Klagebefugnis des Klägers als unzulässig abgewiesen. Weil im Verfahren zur Festlegung von Flugverfahren weder eine Umweltverträglichkeitsprüfung noch eine FFH (Fauna-Flora-Habitat)-Verträglichkeitsprüfung durchgeführt werden müsse, mache der Kläger zu Unrecht die Verletzung eines Beteiligungsrechts geltend. Im Revisionsverfahren wird zu klären sein, ob die Rechtsauffassung der Vorinstanz zutrifft.”

Etwas deutlicher formuliert: Erst wurde durch die im Planverfahren für die Start- und Landebahn Süd angegebenen Flugverläufe das Leipziger Stadtgebiet und der Leipziger Auwald als Schutzgebiet weiträumig umflogen, deshalb wurde im Planverfahren auf die Beteiligung der Umweltverbände verzichtet.

Doch zum Start der neuen Landebahn führte die Deutsche Flugsicherung (DFS) zur Überraschung nicht nur zahlreicher Bewohner des Leipziger Stadtgebietes – besonders derer in Grünau und Böhlitz-Ehrenberg – neue Flugrouten und die mittlerweile legendäre “kurze Südabkurvung” ein, was insbesondere in der Nacht dafür sorgte, dass Tausende bislang nicht Betroffene in ihren Betten standen. Dabei wurde logischerweise auch das geschützte Gebiet Leipziger Auwald überflogen – und wird es bis heute. Wer will, mag sich ein gemütliches Stündchen an der Neuen Luppe machen und zuhören, wie die schweren Klipper sich nähern und über den Wald dröhnen.

Einschränkung: Gemütlich ist es dort in den nächsten Wochen schon gar nicht, denn das Leipziger Amt für Stadtgrün und Gewässer hat die angrenzende Burgaue für privaten Holzeinschlag freigegeben, um dort so etwas wie die Fiktion einer Mittelwaldbewirtschaftung herzustellen. Mit dramatischen Folgen für das Biotop. Man arbeitet im Himmel (die Flieger) und auf Erden (mit Sägen) irgendwie Hand in Hand, um das Wertvollste zu zerstören, was Leipzig an Landschaftsschutzgebieten hat.

Die Leipziger Aktivisten gegen den zunehmenden nächtlichen Fluglärm sind sich zumindest recht sicher, dass sie im Planverfahren für die neue Start- und Landebahn geneppt wurden nach Strich und Faden. Daran erinnert Matthias Zimmermann, Pressesprecher der Bürgerinitiativen “Gegen die neue Flugroute” und “Gegen Flug- und Bodenlärm”. In seinem neuen Lärmreport für den November 2013 geht er auf das Thema ein: “Im Planfeststellungsverfahren zum Bau der Start- und Landebahn Süd am Flughafen Leipzig Halle wird gesagt, über den Leipziger Auenwald führt keine Flugroute – ‘Leipzig wird umflogen’. Folgerichtig entfallen somit Einspruchs- und Klagemöglichkeiten eventuell Betroffener. 2007 wurde dann, selbstverständlich ohne Information von Umweltverbänden, der Stadt Leipzig und Betroffenen, die sogenannte kurze Südabkurvung in Betrieb genommen. Seitdem wird ca. 2.000 m nach dem Start das FFH- und SPA-Gebiet mit teilweise unter 1.000 m Flughöhe überflogen.”Das war 2004, dem Jahr, als Einsprüche in das Planverfahren hätten möglich sein können. Nur wenn da nichts steht, wogegen Einspruch erhoben werden kann? Auch der EU wurde zugesagt: Der Norden von Leipzig (Auenwald) wird nicht überflogen.

2007 mit Inbetriebnahme der neuen Startbahn ist alles anders: Die kurze Südabkurvung wird ohne die Stadt zu informieren in Betrieb genommen. Kurzzeitig untersagt dann der damalige Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) die kurze Südabkurvung. Aber auch das hielt nicht lange an. Ab 2009 zogen die Flüge über die kurze Südabkurvung deutlich an und erreichten im November 2013 mit 1.982 Flügen über die Route einen neuen Höhepunkt.

Am 19. Dezember verhandelt nun das Bundesverwaltungsgericht zur kurzen Südabkurvung und der nicht erfolgten Umweltverträglichkeitsprüfung. “Wir sehen darin einen Verstoß gegen Europäisches Recht, die Grüne Liga hat entsprechend geklagt”, betont Matthias Zimmermann. “Man darf gespannt sein, welche rechtlichen Wertungen in Deutschland zwischen Umwelt, Mensch und Nachhaltigkeit einerseits und fragwürdigen wirtschaftlichen Interessen andererseits im Kontext Europäischen Rechts erfolgen.”

Und die spannende Frage ist tatsächlich: Darf Umweltschutz durch falsche Versprechungen tatsächlich einfach ausgehebelt werden? – Die DFS hat sich mehrfach damit herausgeredet, dass sie die Routen erst nach Fertigstellung der neuen Startbahn definieren konnte. Wenn das so ist, hätte die Möglichkeit solcher Routen ja im Planfeststellungsverfahren vorkommen müssen.

Die Umweltverbände betrachten die nächtliche Fliegerei über den Auenwald wie den Bau einer Autobahn quer durchs Naturschutzgebiet. Denn nicht nur der Lärm ist derselbe – auch der Luftschadstoffausstoß der großen Frachtflieger entspricht dem einer voll belegten Autobahn.

Der Ökolöwe legte schon 2008 Klage gegen die sogenannte “kurze Südabkurvung” ein. Diese nicht zahlenmäßig begrenzte Fluglinie war im offiziellen Planungsverfahren zum Flughafenausbau nicht enthalten und ist dann nachträglich plötzlich geändert worden. Sie führt aktuell ohne Umweltprüfung über das EU-Vogelschutzgebiet “Leipziger Auwald ” und beeinträchtigt dort Lebensräume von Europäischer Bedeutung.

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Infolge der veralteten deutschen Rechtslage sind bisher auch gravierende Flugroutenänderungen im Rahmen des Deutschen Rechts nicht gerichtlich überprüfbar. Dazu Holger Seidemann, Vorstand des anerkannten Naturschutzvereins: “Wir hoffen, mit unserer Klage dem Schutzgebiet “Leipziger Auwald” und allen deutschen Flughafenanwohnern zu helfen. Nachträgliche Veränderungen von Flugrouten müssen natürlich auf ihre Umweltverträglichkeit und mögliche Gesundheitsrisiken für Anwohner geprüft werden. Gewinnen wir vor Gericht, profitiert davon auch der Mensch!”

In der Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht wird die Entscheidung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichtes in Bautzen angegriffen, das dem Ökolöwen aus verfahrensrechtlichen Gründen den Zugang zu den Gerichten verweigerte und die nähere gerichtliche Überprüfung von Flugroutenänderungen ablehnte. Die Anwälte des Ökolöwen berufen sich in ihrem Vortrag auf höherrangiges europäisches Recht, wie die Aarhus-Konvention und das Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung, die auf deutscher Ebene noch nicht korrekt umgesetzt wurden.

“Geänderte Flugrouten verschieben die negativen Umweltauswirkungen in vollkommen neue Gebiete. Es ist ungerecht, dass es bisher an deutschen Flughäfen weder für den Naturschutz noch für die betroffenen Anwohner Abwehrrechte bei Flugroutenänderungen gibt.”

“Mit der bisherigen Unterdrückung der europäischen Umweltgesetze unterläuft Deutschland planmäßig die Umwelt-Standards der EU. Auf Kosten der Anwohner und der Natur werden unlautere Wettbewerbsvorteile gegenüber den korrekten EU-Staaten zurechtgetrickst”, meint Seidemann.

Man darf gespannt sein, wie die Bundesverwaltungsrichter das Recht der Menschen auf unversehrte Gesundheit und Natur für unverletzlich erachten.

www.fluglaermleipzig.de

Der Termin im Bundesverwaltungsgericht: www.bverwg.de

Der Fluglärmreport November als PDF zum download.

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