Für FreikäuferEs klang schon seltsam, als die „Mitteldeutsche Zeitung“ in Halle am 8. März 2016 meldete: „Saale-Elster-Kanal Baurecht seit über 80 Jahren?“ und die „Leipziger Volkszeitung“ am 11. Mai 2016 nachzog „Saale-Elster-Kanal erlebt Comeback – Alte Papiere von 1934 befeuern neue Pläne“. Zwei Artikel, die zeigen, wie auch zwei alte Regionalzeitungen klassische Fakenews produzieren.

Am Anfang standen sechs vergilbte Seiten Papier, die im Stadtarchiv von Leuna ausgegraben wurden. Und die jetzt wie eine Sensation verkauft wurden. Die LVZ schrieb damals: „Genährt wird die neu entflammte Euphorie von sechs vergilbten, maschinell beschriebenen Papierseiten, die vom 29. November 1934 datiert sind. In dem zufällig aufgefundenen Dokument wird vom Regierungspräsidium Merseburg das Planfeststellungsverfahren für den ‚Saaledurchstich‘ bei Leuna genehmigt, der den 1933 auf sächsischer Seite begonnenen Bau des Saale-Elster-Kanals komplettieren sollte. Bis heute ist der 7,8 Kilometer lange ‚Saaledurchstich‘ ungebaut; nur bei Wüsteneutzsch wurde eine Schleusenanlage in Rudimenten gefertigt. Auf sächsischer Seite wurden dagegen bis zum kriegsbedingten Baustopp im Jahr 1943 elf Kilometer fertiggestellt und geflutet. Paddler können seitdem von Leipzig weit in Richtung Sachsen-Anhalt fahren – doch bei Günthersdorf ist Schluss.“

Doch die Meldung ist falsch, auch wenn die „Mitteldeutsche Zeitung“ (MZ) die parteilose Bürgermeisterin von Leuna, Dietlind Hagenau, mit den Worten zitiert: „Also ich sehe es so, dass wir für den Weiterbau des Saale-Elster-Kanals noch immer Baurecht haben. Das würde das weitere Verfahren natürlich erheblich erleichtern.“

Das „weitere Verfahren“ ist der Weiterbau des Elster-Saale-Kanals als touristisches Wasserprojekt mit Schiffshebewerk für rund 100 Millionen Euro.

Ob ein Baurecht von 1934 dafür überhaupt noch anwendbar wäre, darf bezweifelt werden.

Aber es gibt gar keins.

Das, was augenscheinlich im Rathaus von Leuna niemand getan hatte, nachdem man „zufällig“ über die Baugenehmigung gestolpert war, und was ganz unübersehbar auch MZ und LVZ versäumten, das haben jetzt andere nachgeholt: Sie haben das Papier gelesen und versucht herauszubekommen, worum es tatsächlich geht.

Und eindeutig geht es nicht um eine Baugenehmigung für das 7,8 Kilometer lange Reststück des Elster-Saale-Kanals, das noch fehlt.

Am 22. Oktober meldete als erster der unabhängige Blog „Leuna kritisch“: „Irrtum vom Amt: Saale und Saale-Elster-Kanal verwechselt“. Der Arbeitskreis Hallesche Auenwälder zu Halle (Saale) e.V. zog nach und veröffentlichte den Vorgang genauso akribisch auf seiner Homepage. Denn die Detektivarbeit war Teamarbeit.

Akribisch wird auf beiden Seiten nachgeforscht, worum es bei dieser Baugenehmigung für einen „Saaledurchstich in der Gemeinde Leuna“ geht. Was schon in der Formulierung zeigt, dass die Zeitungsmeldungen zum Elster-Saale-Kanal Quatsch waren. Leuna lag auch damals auf der westlichen Seite der Saale, hatte mit dem geplanten Kanal nichts zu tun. Tatsächlich ging es um eine Flussbegradigung, die Beseitigung eines Mäanders.

Udo Bilkenroth nimmt auf „Leuna kritisch“ das sechsseitige Papier Stück für Stück auseinander, ordnet die Rolle der Fähre ein, die es damals noch zwischen Leuna und dem Göhlitzscher Holz gab, und warum sich das Wasserspiegelgefälle bei diesem Durchstich erhöhte – was ja für einen Kanal ziemlich unsinnig ist. Es ging ja auch nicht um einen Kanal, sondern um die Saale.

 

LVZ und MZ zm "sensationellen" Fund. Screenshots:L-IZ
LVZ und MZ zum „sensationellen“ Fund. Screenshots:L-IZ

Bilkenroth endet mit dem freundlichen Hinweis: „Kann aus dem Planfeststellungsbeschluss ein Baurecht für den Saale-Elster-Kanal abgeleitet werden? Nein, nicht einmal mit viel Phantasie. Vielleicht sollte man (frau) noch mal ins Archiv gehen. Wer weiß, was sich noch alles anfindet. Aber Vorsicht: Irrtum vorbehalten!“

Der AHA, der das Studium des alten Papiers gleich als Gruppenarbeit organisiert hatte, spitzt noch etwas weiter zu: „Der AHA fordert nun die Bürgermeisterin der Stadt Leuna auf, nicht nur den aus der Nazizeit stammenden Planfeststellungsbeschluss vom 29.11.1934 zu prüfen, sondern alle diesbezüglichen Dokumente und Absichten. Abgesehen davon, dass es sehr umstritten sein sollte, ein Nazidokument zugrunde zu legen, gilt es klar festzustellen, dass er auch räumlich nichts mit einem Saale-Elster-Kanal zu tun hat.“

Immerhin orakelte ja die LVZ im Mai 2016 kräftig drauflos: “Den alten Papierseiten wird jetzt große Bedeutung beigemessen. Die Leunaer Bürgermeisterin Dietlind Hagenau (parteilos) hat öffentlich erklärt, dass aus ihrer Sicht immer noch Baurecht für den Kanal bestehe. Ob das wirklich so ist, versuchen die Anhalter jetzt im Wasser- und Schifffahrtsamt (WSA) Magdeburg zu klären. Denn die gefundenen Unterlagen sind nicht komplett – im WSA müssten alle Originale liegen. Die Antwort der Behörde steht noch aus.“

Die Unterlagen sind aber komplett. Der Saaledurchstich wurde ausgeführt. Es fehlte nichts.

Außer der kritische Blick auf die Dokumente, unvoreingenommen. Augenscheinlich war man schon in Leuna so auf das Stichwort „Elster-Saale-Kanal“ fixiert, dass man für den eigentlichen Inhalt des Dokuments regelrecht blind war. Der Kanal wurde ja tatsächlich erwähnt. Seit 1933 ließ OBM Carl Goerdeler den Kanal ja von Leipziger Seite aus als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme bauen. Was heute vom Kanal existiert, ist alles bis 1938 entstanden – dann wurden die Arbeiter abgezogen und zum Bau des Westwalls eingesetzt.

Das Stichwort „Elster-Saale-Kanal“ hatte die Gemeinde Kreypau (am östlichen Ufer der Saale gelegen) durch eine Stellungnahme ins Spiel gebracht: „Der Gemeindeschulze von Creypau erklärte: ‚Wir befürchten eine Erhöhung und einen langsameren Abfluss des rückgestauten Hochwassers und zwar durch den Bau des Dammes des Elster-Saalekanals.“

Aber eindeutig heißt es in dem Dokument, dass der Einspruch zurückgewiesen wurde, weil er schlicht nicht in das behandelte Verfahren gehörte: „Die Regelung dieses Anspruches gehört daher nicht in dieses Verfahren, sondern in das Ausbauverfahren des Elster-Saale-Kanals.“

Aber es ist ein sehr typischer Fall: Ein Stichwort genügt, und schon verlieren einige Leute die kritische Distanz zu dem, was sie lesen, die Phantasie geht mit ihnen durch und sie erfinden eine Geschichte, die reineweg ins Reich der Märchen gehört.

Die neue LZ Nr. 48 ist da: Zwischen Weiterso, Mut zum Wolf und der Frage nach der Zukunft der Demokratie

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