„Krimi am Holzberg“ titelte MDR Sachsen Radio am 7. August. Zwei Tage zuvor hatte sich Ministerpräsident Michael Kretschmer persönlich eingeschaltet. Nun gibt es tatsächlich erste wirkliche Fortschritte bei der Rettung des „Natur-und Kletterparadieses Holzberg“ im Landkreis Leipzig. Das Allerwichtigste: Seit den Morgenstunden des 7. August steht am Holzberg endlich die Wasserpumpe still.

Das permanente Abpumpen über einen Zeitraum von mindestens 18 Monaten hinweg hatte zu einer Absenkung des Wasserspiegels um mehr als einen Meter geführt. Dadurch sind fast zwei Drittel der für den natürlichen Lebensraum im Holzberg existenziell notwendigen Flachwasserzone vorsätzlich trockengelegt worden, zieht die Bürgerinitiative Böhlitz Bilanz für den rücksichtslosen Versuch der Firma KAFRIL, das über 20 Jahre entstandene wertvolle Wasserbiotop trockenzulegen und die Grundlage zu schaffen, den einstigen Steinbruch mit Schutt zu verfüllen.

Ringsum vertrocknen im Landschaftsschutzgebiet „Hohburger Berge“ gerade tausende Bäume. Eine große Zahl von flachen Laichgewässern war schon zu Beginn des Frühjahrs ohne Wasser. Die Amphibienbestände brechen in unserer Region dramatisch ein, da es unter dem Einfluss des Klimawandels immer weniger Feuchtgebiete und geeignete Laichplätze gibt, geht die Bürgerinitiative auf das Drama ein, das sich nach dem Trockenjahr 2018 und dem trockenen Frühjahr sowieso in Westsachsen abspielt.

Doch gleichzeitig versucht man, am Holzberg eine überregional bedeutende drei Hektar große Flachwasserzone trockenzulegen.

Die zuständige Naturschutzbehörde des Landkreises Leipzig hat dem über Monate hinweg tatenlos zugesehen und obendrein das frevelhafte Treiben der dafür verantwortlichen Tiefbaufirma KAFRIL vor den politischen Gremien des Landes Sachsen, bis hin zum Landtag und zum Ministerium für Umwelt und Landwirtschaft, gerechtfertigt, kritisiert die Bürgerinitiative die seltsame Rolle der unteren Naturschutzbehörde.

Noch im Juni tischte die Behörde dem sächsischen Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft auf, dass das „ständige Abpumpen eine Voraussetzung für den Fortbestand des Biotops sei und dass „derzeit kein Umweltschaden im Sinne von § 2 Nummer 1 Umweltschadengesetz“ entstanden sei. Der Landesvorsitzende des NABU, Bernd Heinitz, und die Bürgerinitiative Böhlitz hatten seit März 2019 immer wieder gefordert, das Trockenlegen der Biotope im Holzberg zu unterbinden und gegenüber dem Eigentümer die Einstellung des permanenten Abpumpens durchzusetzen.

Die Bürgerinitiative Böhlitz hat den Leiter der Naturschutzbehörde des Landkreises Leipzig, Dr. Lutz Bergmann, mehrfach auf seine Pflichten bei der Durchsetzung des Bundesnaturschutzgesetzes verwiesen. Im §44 Abs. 3 heißt es dort: Es ist verboten Fortpflanzungs-und Ruhestätten der wildlebenden und besonders geschützten Arten aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören.

Das Naturparadies am Holzberg bei Böhlitz vor dem Abpumpen. Foto: BI Böhlitz
Das Naturparadies am Holzberg bei Böhlitz vor dem Abpumpen. Foto: BI Böhlitz

Eine von mehreren ausweichenden und ablehnenden Antworten lautete am 26. März: „Ihrer Forderung, den Eigentümer des Holzberges mit einer Verfügung das Abpumpen des Wassers aus der Hohlform des Holzberges ab 01.04.2019 zu untersagen, werde ich gegenwärtig nicht nachkommen.“

Dabei sei Dr. Bergmann der außerordentliche Wert des natürlichen Lebensraums im Böhlitzer Holzberg seit langem bekannt, kritisiert die Bürgerinitiative.

Mit Datum 26.10.2018 hatte das Büro für Umweltforschung und Landschaftsplanung Dr. Martin Seils nach achtmonatiger intensiver Beobachtungstätigkeit und vielfältigen wissenschaftlichen Untersuchungen ein Artenschutzgutachten vorgelegt. Dort ist zu lesen: „Der Holzberg bietet mit seiner Strukturvielfalt und seinem vielfältigen Mosaik unterschiedlichster Biotope auf kleinem Raum für viele Arten einen Hotspot in der Region.“

Diese vielfältige Biotopstruktur des ehemaligen Steinbruchs im zur Gemeinde Thallwitz gehörenden Ort Böhlitz hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten eine unglaubliche Artenvielfalt hervorgebracht. Der Holzberg ist ein wahrer Glücksfall für den Artenschutz, denn entgegen dem allgemeinen Trend gelang es hier aufgrund der idealen Bedingungen vielen Arten, sich neu anzusiedeln und ihre Populationen zu festigen.

Auf einer Fläche, die nicht einmal 10 Hektar groß ist, wurden durch die wissenschaftlichen Untersuchungen im vergangenen Jahr 47 Vogelarten, sagenhafte 10 Fledermausarten, 5 Amphibienarten, 5 Reptilienarten und über 20 Tagfalterarten nachgewiesen. Hinzu kommen bedeutende Vorkommen an Wildbienen und anderen Insektenarten, deren große Vielfalt aus Zeitgründen bisher noch nicht erforscht werden konnte. Erst vor wenigen Tagen konnte ein Team des NABU Sachsen hier gleich mehrere Exemplare des äußerst seltenen Segelfalters nachweisen.

Der Holzberg bildet somit einen der bedeutendsten Hotspots der Biodiversität in der Region Leipzig. Mehrere der im und vom Holzberg lebenden Vogelarten sind laut Europäischer Vogelschutzrichtlinie streng geschützt. Auch vier der nachgewiesenen Amphibienarten und drei Reptilienarten sind nach Europäischem Naturschutzrecht streng geschützt. Bei Fledermäusen trifft dieser besondere Schutzstatus ohnehin generell auf alle Arten zu.

Mit dem Vorliegen des Artenschutzgutachtens im Oktober 2018 hätte den Verantwortlichen in der Naturschutzbehörde des Landkreises Leipzig sofort klar sein müssen, dass das Vorhaben, um dessen Genehmigung es eigentlich ging und zu dessen Prüfung dieses Gutachten überhaupt erst erstellt worden war, schlicht und einfach keinesfalls genehmigungsfähig ist, benennt die Bürgerinitiative die Versäumnisse der Umweltschutzbehörde.

Das Tiefbauunternehmen KAFRIL hatte das Gelände Ende 2017 gekauft und verfolgt den Plan, das Naturparadies mit einer 30 Meter dicken Schicht aus Erdaushub und Bauschutt zuzuschütten – ein Vorhaben, das vollkommen aus der Zeit gefallen zu sein scheint und das gleichzeitig ein anschauliches Beispiel für das Versagen unternehmerischer Selbstkontrolle darstellt.

Zur Verwirklichung der Pläne müsste das Europäische Naturschutzrecht ausgehebelt werden. Zu diesem Zweck soll eine bergrechtliche Genehmigung aus dem Jahr 1997 durchgesetzt werden, also aus einer Zeit, zu der sich die in der Region einmaligen Biotopstrukturen in der heutigen Form noch gar nicht entwickelt hatten und die Naturschutzgesetzgebung noch eine völlig andere war. Dabei findet im Holzberg schon seit 1977 kein wirklicher Bergbau im Sinne des Abbaus von Rohstoffen mehr statt. Es geht lediglich noch um die profitable Nachnutzung des ehemaligen Bergbaugeländes.

Der Sächsische Ministerpräsident, Michael Kretschmer (CDU) , hatte sich unter diesen Gesichtspunkten vor einigen Tagen am Rande einer Podiumsdiskussion der LVZ ausdrücklich für den Erhalt dieses wertvollen natürlichen Lebensraumes ausgesprochen und angeregt, einen Mediator in die Lösung des Konflikts einzuschalten, um einen anderen geeigneten Ort zur Unterbringung der Abfallprodukte der Firma KAFRIL zu finden.

„Das ist vor allem auch ein klares Bekenntnis zur Bewahrung der Biodiversität im Freistaat, denn der Holzberg ist diesbezüglich eben nicht nur besagter Hotspot, sondern er ist auch längst zu einem Präzedenzfall geworden“, so die Bürgerinitiative.

Notwendig geworden ist dieses Eingreifen „von ganz oben“ durch das Versagen der eigentlich für den Arten- und Biotopschutz im Landkreis zuständigen unteren Naturschutzbehörde (UNB). „Dabei versagt diese Behörde augenscheinlich nicht generell, sondern ausschließlich auf dem Gebiet ihrer originären Aufgabe – dem des namensstiftenden Naturschutzes“, formuliert die Bürgerinitiative ihr Unverständnis für das Handeln des Umweltamtes.

Segelfalter. Foto: Michael Volpert
Segelfalter. Foto: Michael Volpert

Von anderer Seite hörte man dagegen Lob: Laut Zeitungsbericht vom 6. August fühlt sich der KAFRIL-Chef vom Landkreis unterstützt.

„Als einzige Behörde des Landkreises hat die UNB etwas mit der Genehmigung der Pläne der Firma KAFRIL zu tun. Folglich kann nur diese Behörde gemeint sein, wenn der Unternehmer sich vom Landkreis bei seinen Plänen unterstützt sieht. Das würde dann auch erklären, weshalb das Artenschutzgutachten des Büros Dr. Seils vom 26.10.2018 mehr als ein halbes Jahr lang vor der Öffentlichkeit verborgen unter Verschluss gehalten wurde“, so die Bürgerinitiative.

„Denn obwohl dieses Artenschutzgutachten vom Unternehmen KAFRIL beauftragt worden war, weil dies der Gesetzgeber aus gutem Grund zwingend vorschreibt, stellt es im Ergebnis der Untersuchungen ein einziges Plädoyer für den Erhalt der Lebensräume im Holzberg dar. Neben dem Nachweis einer Vielzahl von streng geschützten Arten gibt dieses Gutachten vor allem auch Auskunft über die Auswirkungen der geplanten Verfüllungen.“

Am 6. Mai schrieb die Bürgerinitiative an Landrat Henry Graichen: „Die Lebensräume streng geschützter und bedrohter Arten sollen offensichtlich durch permanentes Abpumpen auf kaltem Wege zerstört werden. Die Untere Naturschutzbehörde hat Kenntnis davon und unternimmt nichts. Hinzu kommt die unendliche Geschichte um das Artenschutzgutachten, das aus unerklärlichen Gründen nicht seinen Weg auf den Tisch von Dr. Bergmann findet. Wenn dieses Artenschutzgutachten solide ist, dann kann es nur zu dem Schluss kommen, dass eine Verfüllung des Holzbergs unverantwortlich ist. Möglicherweise ist das ja der Grund, weshalb es niemand zu sehen bekommt.“

Am 14. Mai gab es daraufhin ein Gespräch beim Landrat, in dessen Verlauf das Artenschutzgutachten mit den begleitenden Worten, es sei zwischen umfangreichem Kartenmaterial unbemerkt in die Naturschutzbehörde gelangt, ausgehändigt wurde. Bis zu diesem Tag hatten weder die Öffentlichkeit, noch die Ministerien des Freistaats oder der Sächsische Landtag Zugang zum Inhalt des Artenschutzgutachtens.

„Die UNB hatte es bis dahin schlicht unterschlagen“, kritisiert die Bürgerinitiative. „Erst die Bürgerinitiative hat das Gutachten veröffentlicht und allgemein zugänglich gemacht. Vor diesem Zeitpunkt hatte die Naturschutzbehörde eigene Einschätzungen zum Holzberg in Umlauf gebracht und zwar ausschließlich solche, die den Unternehmensinteressen der Fa. KAFRIL nützlich waren. Dieses manipulative Vorgehen wurde auch nach dem 14. Mai, also nach dem offiziellen Eingeständnis des Vorliegens des Artenschutzgutachtens, weiter fortgesetzt. Auf Fragen zum Verbleib des Gutachtens hatte Herr Dr. Bergmann immer wieder ausweichende Antworten gegeben – es sei noch nicht fertig – es seien noch Nachbesserungen erforderlich – es läge noch immer nicht vor.“

Am Morgen des 7. August ereignete sich nun das jüngste Kapitel dieser unglaublichen Geschichte. Der Leiter der unteren Naturschutzbehörde, Dr. Lutz Bergmann, tauchte genau zum selben Zeitpunkt im Holzberg auf, als dort eine Reporterin von MRD-Sachsenradio eine Rundfunkreportage mit dem Sprecher der Bürgerinitiative, Gunter Winkler, und Vertretern der Kletterszene aufnahm. Sein Besuch sei „auch wieder ein Zufall“, die Pumpe sei, „wie schon bei früheren Besuchen“ abgestellt gewesen, der niedrige Wasserstand sei auf die sommerlichen Temperaturen zurückzuführen, gab er allen Ernstes der Reporterin zu Protokoll.

„Ganz plötzlich wäscht man seine Hände in Unschuld und versucht der Öffentlichkeit weiszumachen, man habe das Abschalten der Pumpe schon vor längerer Zeit veranlasst und kontrolliere nun regelmäßig die Einhaltung der Anordnung“, kommentiert die Bürgerinitiative das seltsame Verhalten des Amtsleiters. „Schon am Vortag, dem 5. August, hatte die Behörde gegenüber der MDR-Fernsehredaktion behauptet, die Pumpe sei schon seit Wochen abgestellt.“

Ein Video, das die Bürgerinitiative in den Abendstunden des 5. August aufgenommen hat, beweist indes, dass am Abend dieses Tages noch immer unvermindert abgepumpt wurde. In den letzten 18 Monaten ist der Holzberg jeden Tag 24 Stunden lang abgepumpt worden, betont die Initiative. Mit verheerenden Folgen für die Natur. Der Wasserstand im Holzberg wird wieder steigen und die Flachwasserzone wird wieder ihre ursprüngliche Größe erreichen. Das kann Jahre dauern, aber es wird passieren.

„Nicht wieder hergestellt werden kann dagegen das Vertrauen der Bürgerschaft gegenüber einer Umweltbehörde, der es ganz offensichtlich nicht nur an Respekt gegenüber unserer natürlichen Umwelt, sondern auch an Respekt gegenüber einer selbstbewussten und fordernden Bürgerschaft mangelt“, fasst die Bürgerinitiative ihr Misstrauen in die zuständige Behörde zusammen. „Mit einem derart gestörten Verhältnis zur Wahrheit kann man eine solche wichtige Funktion keinen Tag länger ausüben. Die Bürgerinitiative Böhlitz hat deshalb das Sächsische Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft schriftlich darum gebeten, der Unteren Naturschutzbehörde des Landkreises Leipzig die Führung des Genehmigungsverfahrens zu entziehen und selbst die Federführung zu übernehmen. Jetzt schweigt die Pumpe im Holzberg. Gut für alle Lebewesen, die so dringend Wasser brauchen, denn Wasser ist Leben!“

Bürgerinitiative hofft jetzt auf Sachsens Ministerpräsidenten Michael Kretschmer

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Es gibt 2 Kommentare

Furchtbar. Zu viel Futter für Politikverdrossenheit.
Dienstaufsichtsbeschwerde?

Wieso müssen erst BI für die Chancen für Gerechtigkeit und gelebter Demokratie sorgen (siehe auch Fluglärm LEJ)?
Wieso gibt es keine funktionierenden Kontrollen?

Diese Selbstherrlichkeit der Ämter und dessen Nutzung für lobbygetriggerte Entscheidungen widert mich an.

Unglaublich. Das bleibt doch hoffentlich nicht unbestraft. Wenn die Verantwortlichen für diesen ganzen Lügenskandal im Amt bleiben fällt mir echt gar nichts mehr ein.

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