Wochenend und - kein - Sonnenschein. Das beliebte Mittel, wenn man ein wenig Feuer legen möchte, ohne so richtig an Lösungen Interesse zu haben. Am Donnerstag klärt man den "regionalen Verteiler" mit dem Büroleiter ab. Am Freitag sendet man ein Statement an diese "Regionalen" und geht ins Wochenende. Der politische Mitbewerber vor Ort bekommt genug Zeit zum Schäumen und am Montag verbittet man sich die Schärfe der Vorwürfe und mahnt eine zielführende Debatte an. Politischer Alltag halt. Bettina Kudla (CDU) schweigt und nun schnappen die Grünen zu.

Ob man, wie es offenbar einfache Stadträte in Leipzig tun, von einer Bundestagsabgeordneten erwarten kann, dass sie oder ihre Büroleitung auf eine selbst angestoßene Diskussion im eigenen Wahlkreis auch am Wochenende reagiert, mag jeder Steuerzahler selbst entscheiden. Auf die Nachfragen zu den etwas nebulösen Einwänden Bettina Kudlas seitens der Leipziger Internet Zeitung und damit für die 180.000 vorrangig Leipziger Leser zur Erstaufnahmeeinrichtung ab Ende 2015 an der Max-Liebermann-Straße jedenfalls liegen noch keine Antworten vor.

Seit spätestens 11. Februar sind die Planungen des Freistaates Sachsen und die derzeitige Standortentscheidung in der Nähe der Olbricht-Kaserne am äußersten Zipfel von Gohlis-Nord bekannt. Am Donnerstag, dem 13. Februar, 11:47 Uhr hat Bettina Kudlas Büroleiter Stephan Schmidt den Verteiler “Regionale” zum Bestücken erhalten. So lässt es zumindest eine fehlgegangene Mail der Abgeordneten vermuten. Am Tag darauf geht die Meldung zur Erstaufnahmeeinrichtung an die “Regionalen” und die berichten gern. Es riecht nach Ärger: Die Linke reagiert bereits am gleichen Tag, die Grünen brauchen bis Sonntag-Mittag. Auf Rückfragen bei der Bundestagsabgeordneten folgen in dieser Zeit keine Antworten.

Und so haben die Grünen nur die Informationen, welche Bettina Kudla am Freitag in die Runde geworfen hat, bevor sie sich offenbar angesichts des Geschafften zurücklehnte.

“Fremdenfeindliche Äußerungen der CDU-Abgeordneten Kudla absolut indiskutabel” lautet die Reaktion der Grünen am Sonntag. Der Kreisverband Leipzig und die Stadtratsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen zeigen sich schockiert über die Ausführungen der Bundestagsabgeordneten Bettina Kudla zu der geplanten Erstaufnahmeunterkunft für Flüchtlinge in Gohlis.
Das ist genau die, wenn auch vielleicht berechtigte, Empörungskultur, welche die sächsische CDU so gern bei den politischen Mitbewerbern sieht. Weiter heißt es seitens der Grünen-Stadträtin Diana Ayeh: “Bettina Kudla bedient mit ihren Aussagen vor allem Eines: einen gefährlichen Alltagsrassismus, der alles vermeintlich `Fremde` und `Andere` prinzipiell ablehnt. Ob es sich um den Bau einer Moschee handelt oder um die geplante Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete im Leipziger Norden – stets wird mit einer ungeeigneten Sozialstruktur des Stadtteils argumentiert, die entweder `schwierig` oder `zu attraktiv` sei.”.

Im Folgenden jedoch irrt ihre Parteifreundin Carolin Waegner (Vorstandsmitglied und Sprecherin des Arbeitskreises ?Demokratie und Zivilcourage? der Grünen), in der gleichen Mitteilung offensichtlich: “Frau Kudla hat als Bundestagsabgeordnete die Pflicht, die Menschen vor Ort über die Notwendigkeit der geplanten Erstaufnahmeeinrichtung aufzuklären und für die Probleme und Nöte der Flüchtlinge zu sensibilisieren. Stattdessen unterstützt sie die rassistische und fremdenfeindliche Hetze.”

Die Pflicht hat die CDU-Abgeordnete nicht und die Aufklärungsarbeit machen meist eh die anderen, die Engagierten, die, welche dann in die Rolle der “Gutmenschen” gestellt werden. Sie ist nur ihrem Gewissen und ihren Wählern verpflichtet. Und ein bisschen auch dem restlichen Volk und dem Grundgesetz. “Offensichtlich hat Frau Kudla nicht verstanden, dass Asyl ein für alle Menschen geltendes Grundrecht ist”, so Carolin Waegner weiter. Doch, wird sie schon verstanden haben, aber hier hilft im facettenreichen Spiel der Ressentiments dann immer noch der Verweis auf die zu Unrecht Asyl beantragenden Flüchtlinge.
Für Waegner zeuge laut Pressemitteilung vor allem Kudlas Äußerung, Flüchtlinge sollten nicht in einem Stadtteil mit vielen Familien und Kindern untergebracht werden, von einer rassistischen Einstellung, die für eine Abgeordnete völlig indiskutabel sei.

Und spätestens da geht das Türchen auf hin zum anhaltenden Wahlerfolg der CDU – auch und gerade in Sachsen. Der Wähler sieht sich offenbar gut vertreten in seinen eigenen Grundhaltungen zum Fremden, Neuen, Ungewissen. Da ist der Bestandsschutz der rettende Anker, das ausgesprochene Vorurteil Ersatz für eigene Erfahrungen – die Burg wird angeblich bewacht, der Applaus hinter den Gardinen ist hörbar, der Wahlzettel kann wieder blind ausgefüllt werden.

Weshalb auch der nächste Vorwurf nun wieder von Grünen-Stadträtin Diana Ayeh – so richtig er auch sein mag – vor dieser Grundkonstellation irre geht: “Diese Form von Argumentation ist nicht nur widersinnig, sondern auch gefährlich. Frau Kudla nimmt hier aktiv Anteil an der Generierung und Reproduktion von Stereotypen gegen Menschen in religiösen und sozialpolitischen Einrichtungen, die so noch nicht einmal existieren. Einmal mehr zeigt sich hier, dass der CDU, sei es auf bundes-, landes-, oder kommunalpolitischer Ebene, wenig an der Verpflichtung zu Asyl als Menschenrecht und einer aktiven Willkommenskultur für Geflüchtete gelegen ist.”

Wieso sollte man jemanden willkommen heißen, wenn doch die eigenen Wähler daraufhin zur NPD überlaufen könnten? Widersinnig ist an dem Statement der CDU-Abgeordneten nichts, wenn man die gerade neu erstarkende Kriegslogik der großen Koalition im Kampf um weltweite Ressourcen zu Ende denkt. Man benötigt dafür etwas Zynismus, aber auch der ist längst der gesamten Asyl-Debatte innewohnend.

Und da ist es, das Wort: Gefahr. Die Gefahr für Flüchtlinge, erst in ihren Ländern, dann beim Anlanden an Europas Küsten und Grenzen und schließlich in der Leipziger Erstaufnahmeeinrichtung. Von den “besorgten Bürgern” – von der CDU mit Verständnis begleitet – aus der Ferne und ohne Berührung argwöhnisch beäugt. Von den aktiven Bürgern erbittert im Namen des Asylrechtes verteidigt. Von Menschen mit Fackeln schon während der juristischen Prüfverfahren über ihr Aufenthaltsrecht bedroht.

Der Wunsch der Grünen, “die Flüchtlinge zu schützen und sie mit Offenheit und Toleranz zu empfangen” ist Menschen, welche selbst beim Vermieter, Arbeitgeber, im Jobcenter, der Ausbildungsstelle, in der Schule und im eigenen Familien- und Freundeskreis keine Offenheit und Toleranz erfahren, vollkommen egal. Diese finden mit ihrem Ruf, sie seien das Volk, dort Gehör, wo man es in Sachsen schon erfolgreich verstanden hat, die Wende 89 zu vereinnahmen und in neuester Zeit das Breiten-Bildungsniveau humanistischer Grundprägung verlottern zu lassen. Bei der CDU oder noch etwas weiter rechts außen.

Weshalb es sich richtig anhört, richtig ist und dennoch Bettina Kudlas Wähler nur mäßig erreichen wird, wenn die Grünen eine “menschenwürdige humane Asyl- und Flüchtlingspolitik in Sachsen” einfordern. Man setze sich für eine menschenwürdige Unterbringung der Flüchtlinge und in diesem Zusammenhang die Abschaffung der Regelung, die für jeden Bewohner nur 6 qm Wohnraum vorsieht, ein. Darüber hinaus müsse endlich ein Winterabschiebestopp beschlossen werden, so die Grünen bei der Ausdehnung des Grundthemas.

Es geht also in der Leipziger Asyldebatte längst um eine Änderung des Sächsischen Flüchtlingsaufnahmegesetzes. Am 31. August ist Landtagswahl in Sachsen. Die CDU steht derzeit in allen Wahlumfragen kurz vor der absoluten Mehrheit im Freistaat. Die Bundestags-Abgeordnete Bettina Kudla ist also auf einem guten Wahl-Kurs. Auch ganz ohne Antworten auf drängende Fragen. Sie verkündet auf ihrer Internetseite: “In Berlin vertrete ich somit 254.700 Leipzigerinnen und Leipziger, von denen 202.455 wahlberechtigt sind.” 66.810 davon haben sie am 27. September 2013 in den Bundestag gewählt.

Zur Internetseite der Abgeordneten Bettina Kudla (CDU)
https://www.bettinakudla.de

Zum Grünen-Kreisverband Leipzig
www.gruene-leipzig.de

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