"Zwölf Jahre nach der verheerenden Flut des Jahres 2002 sind nicht einmal zwei Prozent der danach geplanten Überflutungsflächen für den Hochwasserschutz gewonnen. Statt der angestrebten 49 Deichrückverlegungen und Polder mit 7.500 Hektar Flächengewinn wurden gerade einmal 141 Hektar Fläche gewonnen", stellt Gisela Kallenbach, umweltpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Sächsischen Landtag, fest. Und ärgert sich über einen weiteren Rückzug des Umweltministers.

Umweltminister Frank Kupfer (CDU) hatte im Juli die Kleine Anfrage von Gisela Kallenbach beantwortet. Das Ergebnis war mager. Fast das gesamte Geld, das seit 2002 für Hochwasserschutz ausgegeben wurde, floss in die Wiederherstellung oder den Neubau teurer technischer Bauwerke. Dafür wurden die Pläne von 2002, rund 7.000 Hektar Überschwemmungsfläche an den Flüssen wieder bereit zu stellen, immer weiter eingedampft.

“Selbst wenn sich der Minister an seiner eigenen Reduzierung der geplanten Überflutungsfläche auf 4.850 Hektar messen lassen würde, käme er auf keine drei Prozent”, stellt Gisela Kallenbach nun fest. “Warum sind zwölf Jahre nach der Flut erst drei Deichrückverlegungen bei Eilenburg, Sermuth und Flöha fertig? Beim technischen Hochwasserschutz wurde erkennbar mehr aufs Tempo gedrückt und keinerlei Kosten gescheut.”

Teilweise mit sehr obskuren Methoden wie dem so genannten “Tornado-Erlass” von 2010, mit dem selbst in Bereichen “Gefahr in Verzug” erklärt werden kann, wo das nachweislich seit Jahrzehnten nicht der Fall ist. Die Fällungen von Bäumen im Leipziger Auwald 2011 war so sinnlos wie ungerechtfertigt. Im Jahr 2014 dient diese flächendeckende Fällung auf 49 Hektar als zwingender Grund für Ausgleichsmaßnahmen, zu denen die Wiedervernässung der Burgaue genauso gehört wie die “Bespannung der Elster-Luppe-Aue” oder die Durchörterung des Dammes am Elsterflutbett in Leipzig – ohne dass ein abgestimmtes Gesamtkonzept für die Leipziger Elsteraue sichtbar wird.

“Aus dem im Jahr 2002 scheinbar unumstößlichen ‘Den Flüssen mehr Raum zu geben’ ist in Sachsen eine leere Floskel geworden. Die seitdem von den sächsischen Staatsregierungen bevorzugten technische Bauten verschieben die Flut nur auf die Unterlieger”, beklagt Kallenbach. “Dabei hat das Juni-Hochwasser 2013 gezeigt, dass die Hochwasserschutzpolitik in Sachsen dringend neu ausgerichtet werden muss.”
Denn es sind die verstärkten Deiche, die immer öfter zu neuen Rekordpegelständen führen, während die natürlichen Rückhalteräume an den Oberläufen der Flüsse fehlen und auch durch Hochwasserrückhaltebecken – in die über 100 Millionen Euro investiert wurden – nicht ersetzt werden können. Stattdessen hat Frank Kupfer weitere Retentionsflächen aus den Plänen gestrichen.

“Laut den Antworten auf meine Kleine Anfrage hat sich das Umweltministerium von etlichen Maßnahmen verabschiedet und plant jetzt nur noch 30 Deichrückverlegungen und sieben Polder”, bemängelt die Abgeordnete. “Ich erwarte, dass der Umweltminister diese deutlichen Veränderungen der Öffentlichkeit erläutert.” Denn seine neue Liste weist nur noch Überschwemmungsflächen von 4.481 Hektar aus.

“Von insgesamt 1,23 Milliarden Euro sächsischem Hochwasserschutz-Geld wurden seit 2002 mit 115 Millionen Euro nur neun Prozent für die Schaffung von Überschwemmungsflächen und Hochwasserrückhaltebecken entlang der sächsischen Gewässer eingesetzt”, erläutert Kallenbach weitere Ergebnisse ihrer Anfrage. 109,7 Millionen Euro wurden allein zum Bau der aufgezählten Hochwasserrückhaltebecken investiert. Nur rund 5 Millionen Euro flossen in die Rückverlegung von Deichen und die Herstellung von natürlichen Überschwemmungsflächen.

Man könnte es auch so ausdrücken: Tatsächlich zeigt das Zahlenmaterial von Frank Kupfer, dass die Herstellung natürlicher Überschwemmungsräume für die Flüsse wesentlich preiswerter ist als die Milliardeninvestition in immer höhere und stärkere Deiche. Selbst dann, wenn der Freistaat sich bereit erklären würde, Landwirte im Überschwemmungsfall zu entschädigen.

“Der technische Hochwasserschutz wird allen Erfahrungen zum Trotz weiter klar bevorzugt. Das nötige Umsteuern in Richtung nachhaltigen Hochwasserschutz fehlt. Natürliche Auenflächen sind die besten Hochwasserschutzflächen. Technischer Hochwasserschutz sollte nicht für Waldflächen oder landwirtschaftliche Flächen eingesetzt werden”, nennt Kallenbach etwas eigentlich Selbstverständliches. Die Relationen stimmen in Sachsen einfach nicht mehr.

Die Grüne-Fraktion hatte im August 2013 Vorschläge zur Schaffung von mehr Überflutungsflächen in Sachsen vorgelegt. Auf 17 neuen Überflutungsgebieten an Elbe, Zwickauer Mulde, Freiberger Mulde und (vereinigter) Mulde könnten danach 3.428 Hektar weitere Flächen für den Hochwasserschutz in ehemaligen Flussauen gewonnen werden. Die Studie dazu war vom Auen-Institut Rastatt erarbeitet worden. Die Studie schlägt nicht nur für die Mulde neue Freiräume vor, sondern auch für die Elbe, die in Sachsen mittlerweile wie ein Kanal funktioniert und die Hochwassermengen in einem engen Bett praktisch ungebremst nach Sachsen-Anhalt durchschleust, wo es dann – wie im Juni 2013 – zu massiven Deichbrüchen kommt.

Kleine Anfrage “Finanzielle Ausgaben und Stand der realisierten Deichrückverlegungen 2002 bis 2014 – Vorbeugender Hochwasserschutz in Sachsen” (Drs. 5/14565): http://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=14565&dok_art=Drs&leg_per=5&pos_dok=202

Grüne-Studie zur ökologischen Überprüfung der Hochwasserschutzstrategie des Freistaates Sachsen Teil 2 (2013): www.gruene-fraktion-sachsen.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/HWSK-Sachsen_Teil-2_Bericht.pdf

Anhang 1: HWSK-Sachsen-Teil 2 Karten: www.gruene-fraktion-sachsen.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/HWSK-Sachsen_Teil_-2_Anhang-1_17-Karten.pdf

Anhang 2: HWSK-Sachsen-Teil 2 Steckbriefe: www.gruene-fraktion-sachsen.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/HWSK-Sachsen_Teil-2_Steckbriefe.pdf

Kleine Anfrage von 2010: “Hochwasserschutz in Sachsen – Stand Umsetzung der Hochwasserschutzkonzepte” (Drs. 5/3943): http://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=3943&dok_art=Drs&leg_per=5&pos_dok=-1

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