Die vergangene Wahlperiode war durchsetzt mit lauter kleinen und großen Skandalen rund um Sachsens Deponien, um illegale Entsorgung und intransparente Müllverschickung. Mittendrin immer ein augenscheinlich überfordertes Umweltministerium, das Kontrollen unterließ, Warnungen in den Wund schlug und abwiegelte. Ganz zum Schluss zur Amtszeit von Umweltminister Frank Kupfer (CDU) hat die Abgeordnete Eva Jähnigen noch ein Stück Vertuschung ans Licht gebracht. Mittendrin mal wieder: die Deponie Cröbern südlich von Leipzig.

Insgesamt 15.000 Tonnen Bauschutt aus Abrissen von Atomkraftwerken (AKW) können bis zum Jahr 2017 auf Deponien in Sachsen abgelagert werden. Das geht aus der Antwort von Umweltminister Frank Kupfer auf eine Anfrage der Landtagsabgeordneten Eva Jähnigen (Fraktion Bündnis 90/Die Grünen) hervor. Die entsprechenden Freigaben des Umweltministers liegen für Bauschutt aus den Abrissen der Atomkraftwerke Stade (Niedersachsen) und Würgassen (Nordrhein-Westfalen) zur Ablagerung auf den sächsischen Deponien Grumbach (Ortsteil von Wilsdruff, Lkr. Sächsische Schweiz-Osterzgebirge), Wetro (Gemeinde Puschwitz, Lkr. Bautzen) und Cröbern (südlich von Leipzig und Markkleeberg, Lkr. Leipzig) gemäß Paragraf 29, Absatz 2 der Strahlenschutzverordnung des Bundes vor.

Informiert hat er dazu nicht. Auch nicht im August, als publik wurde, dass Bauschutt aus dem Kernkraftwerk Stade (Niedersachsen) auf die Deponie Grumbach geliefert werden soll. Bei der Gelegenheit teilte er dann erstmals öffentlich mit, dass die “zuständigen Behörden des Freistaates Sachsen (…) bereits im Frühjahr nach Prüfung der Einhaltung aller rechtlichen Vorschriften Einvernehmen für die Annahme von insgesamt 2.000 Tonnen Bauschutt aus dem früheren Kernkraftwerk auf der Deponie in Grumbach in den Jahren 2014 und 2015 erteilt” hatten. Von Cröbern und Wetro erzählte er erst einmal nichts. War aber schon ganz im Wahlkampfmodus und nutzte die Gelegenheit, auf die Grünen in Niedersachsen zu zeigen.

“Der Atomausstieg ist beschlossene Sache. Der Abbau von Kernkraftwerken ist gerade von den Grünen politisch gewollt. Der Bauschutt, der nun nach Grumbach soll, ist aus Sicht des Strahlenschutzes unproblematisch. Dennoch ist Niedersachsen nicht bereit, dafür im eigenen Land Ablagerungskapazitäten bereitzustellen. Die Folge sind unnütze Transporte über hunderte Kilometer. Den Grünen ist das egal”, sagte Kupfer am 15. August. “Das gilt offenbar auch in Sachsen. Wenn ein grüner Umweltminister dies zulässt, kommt von den Grünen in Sachsen kein Wort. Scheinheiliger geht es nicht!”

Was die Grünen in Sachsen natürlich überraschte. Denn dass Schutt aus niedersächsischen Kernkraftwerken nach Sachsen verschickt werden soll, hatte ja auch Frank Kupfer niemandem erzählt. Und mit einigem Recht konnte vermutet werden, dass er wieder nicht die ganze Wahrheit erzählte. Im Gegenteil.

Am 1. September schrieb er extra noch einen Brief an den sächsischen Umweltminister Stefan Wenzel. Und erklärte der sächsischen Öffentlichkeit, wie unschuldig der Freistaat an der ganzen Verschickerei sei.

“In Sachsen wird die Entsorgung und Verwahrung zahlreicher Altlasten aus DDR-Zeiten eigenverantwortlich geschultert”, heißt es in dem Schreiben. “Vor diesem Hintergrund kann ich die Frage sehr gut verstehen, warum Bauschutt aus Niedersachsen nicht auch in Niedersachsen entsorgt werden kann, insbesondere wenn dieser als gesundheitlich unbedenklich zu betrachten ist”.

Angesichts der zu erwartenden Abfallmengen aus dem Rückbau von Kernkraftwerken sei deren vorrangige Verwahrung an den Entstehungsorten dringend geboten, um umweltbelastende Transporte über lange Distanzen und durch unbeteiligte Bundesländer zu verringern, teilte sein Ministerium mit. Und spuckte wieder nur die altbekannte Tatsache aus, die die Öffentlichkeit schon kannte: “Hintergrund ist die Diskussion um insgesamt 2.000 Tonnen Bauschutt aus dem früheren Kernkraftwerk Stade, die auf der Deponie Grumbach (Stadt Wilsdruff) in diesem und im kommenden Jahr entsorgt werden sollen.”Das war der Tag, an dem die wieder ins Parlament gewählte Eva Jähnigen ihr Fragerecht nutzte, und den so auskunftsfreudigen Minister einmal etwas detaillierter befragte, wieviel denn nun und woher und wohin …

Darauf musste Kupfer nun antworten. Und das Ergebnis ist – was die Informationspolitik des Sächsischen Umweltministeriums betrifft – ziemlich ernüchternd. Jähnigen bezeichnet die Informationspolitik des scheidenden Umweltministers sogar als “vordemokratisch”.

“Diese Zahlen erreichen wieder einmal nur die Öffentlichkeit, weil Abgeordnete Kleine Anfragen stellen. Ich fordere das Ministerium auf, die zugrunde liegenden Untersuchungen und Prüfungen für die Bevölkerung und die örtlich zuständigen Kreistage öffentlich zu machen. Diese Ablagerungen müssen auch vor dem Hintergrund der jeweiligen Gesamtbelastungen der Standorte bewertet werden”, sagt die Grünen-Abgeordnete, nachdem sie nun schwarz auf weiß lesen durfte, dass nicht nur Grumbach mit Abrissschutt aus niedersächsischen Kernkraftwerken beliefert wird, sondern auch Wetro und Cröbern. Ist ja überall jede Menge Platz – die sächsischen Deponien wurden allesamt überdimensioniert geplant und angelegt.

Nach den jetzigen Auskünften des Ministers hat Sachsen Lieferverträge über 15.000 Tonnen Bauschutt aus AKWs abgeschlossen. Während sich die Bevölkerung in Ostsachsen noch über die ersten Lieferungen nach Grumbach aufregte, ist in Cröbern die Anlieferung solchen AKW-Schutts schon seit 2008 Praxis – damals kam der Schutt aus dem Versuchsatomkraftwerk Kahl (bei Großwelsheim in Unterfranken). Die Bayern sind ja dann wohl genauso wenig in der Lage, ihren eigenen AKW-Schutt einzulagern wie die Niedersachsen. Hat der bayerische Umweltminister damals auch so einen schönen Brief aus Sachsen bekommen? – Damals war das dort Otmar Bernhard (CSU).

Seit 2013 wird in Cröbern auch Bauschutt aus dem KKW Würgassen eingelagert. Pro Jahr, so sehen es die Verträge vor, bekommt Cröbern bis zu 1.000 Tonnen KKW / AKW-Schutt geliefert. In den vergangenen sechs Jahren hat sich die Menge schon auf 2.040 Tonnen summiert.

“Wir müssen uns im Landtag darüber verständigen, wie Sachsen den Ruf als williges Müllimportland loswerden kann”, sagt Eva Jähnigen. “Sonst droht dem Freistaat, über Jahre Ziel des Bauschuttes aus Abrissen von Atomkraftwerken zu werden. Ich erwarte, dass CDU-Fraktionschef Frank Kupfer sich an seine Wahlkampf-Kritik erinnert, dass der Müll ‘quer durch die Bundesrepublik gekarrt wird’. Nun sollte er auch dafür eintreten, dass dieser Praxis aus Sachsen nicht weiter Vorschub geleistet wird. Die Deponierung in der Nähe der alten AKW-Standorte wird es nur geben, wenn sächsische Deponiebetreiber nicht billig Deponiekapazitäten anbieten.”

Frank Kupfer betont in seiner Antwort zwar, dass die “Radioaktivität des Bauschutts” gering sei. Er spricht von einer Strahlenexposition von unter 10 Mikrosievert pro Jahr. Das ist aber ein Wert, der zumindest für alle Mitarbeiter der Deponie eine höhere Strahlenexposition bedeutet. Denn für die allgemeine Bevölkerung gilt in der Bundesrepublik ein Grenzwert von 1 Millisievert pro Jahr. Erst wenn volljährige Personen in “strahlenexponierten Berufen” arbeiten, gilt ein Grenzwert von 20 Millisievert (20.000 Mikrosievert).

Eva Jähnigens Aufforderung an die kommunalen Aufgabenträger vor Ort ist deshalb deutlich: “Die Betreiber der Deponien, die Landratsämter und das Umweltministerium sollten die konkrete Situation und vorhandenen Belastungen der einzelnen Standorte gemeinsam überprüfen und die Ergebnisse der Bevölkerung offen legen.”

Denn auch zu Letzterem sind Betreiber und Ministerium verpflichtet: Die jeweiligen Höchstmengen schwach radioaktiver Stoffe müssen durch das sächsische Umweltministerium freigegeben werden – siehe Paragraf 29, Abs. 2 der Strahlenschutzverordnung des Bundes.

Korrektur 6. Oktober, 15.50 Uhr:
Vielen Dank an L-IZ-Leser AlexanderFreudenberg. In einer früheren Version der Geschichte haben wir die Grenzwerte für die Bevölkerung in Microsievert angegeben. Tatsächlich sind es Millisievert, worauf uns AlexanderFreudenberg hinwies. Im Text haben wir es geändert.


Diese Regelung ist hier nachzulesen:
www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/strlschv_2001/gesamt.pdf

Die Antwort auf die Anfrage als PDF zum Download.

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