Tatsächlich war die Bundestagswahl am 24. September vor allem die krachende Niederlage der sächsischen CDU. Der ganze rabiate Wahlkampf, in dem man sich irgendwie als Alternative zur rechtsradikalen AfD versuchte darzustellen, ist nirgendwo so deutlich gescheitert wie hier. Doch im Interview mit der „Berliner Morgenpost“ fiel Ministerpräsident Stanislaw Tillich nichts Besseres als Lösung ein, als die CDU in Sachsen noch weiter nach rechts zu rücken.

„Die Leute wollen, dass Deutschland Deutschland bleibt“, behauptete er einfach mal so Kraft seiner tiefen Kenntnis dessen, was „die Leute“ wohl wollen. Aber so richtig scheint es der sächsische Landeschef eben doch nicht zu wissen. Sein Interview ist voller Ratlosigkeit, sicheres Zeichen dafür, dass es innerhalb der sächsischen CDU-Spitze keine besonnene analysierende Instanz gibt, die wirklich sortiert und einschätzt, was in Sachsen tatsächlich passiert ist.

Normalerweise hat man für so etwas einen Generalsekretär. Aber mit Michael Kretschmer hatte man dafür einen Mann aufgestellt, der selbst für den spürbaren Rechtsruck in der CDU verantwortlich war. Zu den Späßen der Geschichte gehört, dass ihn jetzt ausgerechnet der AfD-Mann Tino Chrupalla aus dem Bundestag gekegelt hat. Entsprechend zeigt sich in Tillichs Interview nun, wie wenig Expertise in der Spitze der Partei vorhanden ist. Und Tillich, der die Partei nun seit 2008 irgendwie durch die Landschaft führt, hat auch nichts dergleichen aufgebaut.

Mit dem Interview am 30. September hat er sich – womöglich ohne es selbst zu merken – eine deutliche Blöße gegeben.

„Bei der CDU Sachsen und Herrn Tillich selbst scheinen die Nerven blank zu liegen“, kommentiert Daniela Kolbe, Generalsekretärin der SPD Sachsen, die Worte des Mannes, der noch in der Niederlage glaubt, mehr vom Immergleichen würde die Sache jetzt retten. „Dabei wäre gerade in einer solchen Situation eine besonnene und überlegte Reaktion wichtig. Es ist schon bemerkenswert, dass Herr Tillich sein Heil in einem Rechtsruck sieht. Es sei daran erinnert, dass die beiden Landesverbände der Union, die sich am weitesten Rechtsaußen orientieren, bei der Bundestagswahl die größten Verluste eingefahren haben, nämlich Sachsen und Bayern, bei einer gleichzeitig erstarkenden AfD.“

Und da Tillich meinte, im Interview der SPD nun raten zu müssen, sie solle doch bitteschön aus Pflichtgefühl wieder in eine Große Koalition gehen, sieht sich Daniela Kolbe geneigt, dem CDU-Mann ein paar Ratschläge in Sachen Konservatismus zu geben: „Zu einer vernünftigen konservativen Grundhaltung gehört für mich immer auch eine Abgrenzung nach ganz Rechtsaußen. Die haben verschiedene Verbände der CDU Sachsen schon lange fahren lassen. Auch Herr Tillich lässt sie jetzt vermissen. Das schadet unserem Land auf ganz unterschiedlichen Ebenen und führt auch dazu, dass viele Sachsen sich erschrocken von der CDU abwenden. Die CDU hat hier schon viel kaputtgemacht und sollte es jetzt nicht noch schlimmer machen.“

Aber war denn nicht Angela Merkel an allem schuld? So hat es doch auch Stanislaw Tillich angedeutet.

„Die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin als die alleinige Ursache für das Wahlergebnis zu definieren ist viel zu kurz gesprungen“, sagt Daniela Kolbe. „Viele Menschen haben den Eindruck, dass der Staat für sie nicht funktioniert, das hat vielmehr mit fehlender Polizei, geschlossenen Schulen und fehlenden Lehrerinnen und Lehrern zu tun. Und das hat Herr Tillich und seine CDU mit ihrer Kürzungspolitik der Vergangenheit mitzuverantworten. Wir haben in der jetzigen Koalition schon einiges, aber längst nicht alles korrigieren können. Diesen Weg müssen wir konsequent und mutig weitergehen.“

Oh ja, über den Wunsch nach einem „starken Staat“ hat Tillich auch gesprochen. Nur nicht darüber, wie seine eigene Sparpolitik diesen Staat seit 2008 demoliert hat.

Aber wirklich eine Ahnung, was die sächsische CDU nach diesem Wahldebakel anders machen will, war nicht zu lesen. Als wenn sie nun aus lauter Not die extremen Rezepte der AfD einfach übernehmen wollte.

„Brandgefährlich“ findet das Volkmar Zschocke, Vorsitzender der Grünen-Fraktion im Landtag. „Wenn der Ministerpräsident der Politik der AfD so auf den Leim geht, kommt bei der AfD-Wählerschaft nur eine Botschaft an: ‚Alles richtig gemacht am Wahlsonntag!‘ – das ist genau das falsche Signal“, erklärt Zschocke. „Stattdessen muss der Ministerpräsident deutlich machen: Selbst bestehende Ungerechtigkeiten, Verletzungen oder Minderwertigkeitsgefühle rechtfertigen es nicht, eine Partei zu wählen, die keinerlei Lösungsansätze hat, ein asoziales Menschenbild vertritt und Grundrechte und demokratische Institutionen verächtlich macht.“

Die von Tillich dargelegte Analyse zum Wahlergebnis in Sachsen kann er logischerweise auch nicht teilen.

„Die Wahrheit ist vielmehr: Die AfD ist in Sachsen darum so stark, weil etliche Funktionsträger der CDU die Vorbehalte gegen die Flüchtlingsaufnahme und die Sprache und Politik von Pegida und AfD eher verstärkt statt ihr widersprochen haben“, stellt Zschocke fest. „Das Ergebnis der sächsischen CDU ist auch die Quittung für die nationalkonservative Ausrichtung des Landesverbandes, etwa der Patriotismus-Initiative, des gemeinsamen ‚Leitkultur‘-Papiers mit der CSU oder der ausschließend gemeinten Aussage des Ministerpräsidenten, der Islam gehöre nicht zu Sachsen. Nicht von ungefähr ist dort im ländlichen Raum das beste Ergebnis für die CDU erreicht worden, wo der CDU-Kandidat der rechtsnationalen Stimmung widersprochen hat.“

In der Tat konnte sich Marco Wanderwitz (CDU) mit 35 Prozent im Chemnitzer Umland bei den Erststimmen deutlich von der AfD absetzen und zog in den Bundestag ein. Sein Wahlkampf war dabei auch stark gegen die AfD ausgerichtet.

Dass die sächsische CDU am 24. September nach Zweitstimmen in Sachsen hinter der AfD landete, ist eigentlich deutlich genug: Mit nationalen Parolen kann man gegen lautstarke Nationalisten nicht ankommen. Das schafft man nur mit kluger und fundierter Politik. Und deswegen ist das sächsische Ergebnis kein Merkel-Wahlergebnis, sondern ein Tillich-Wahlergebnis.

„Das Ergebnis der Bundestagswahl im Freistaat ist auch eine Antwort auf die verfehlte sächsische Landespolitik“, sagt Zschocke. „Sachsen braucht einen Neuanfang, insbesondere in der Bildungspolitik in Schule und Kita, bei der Personalausstattung in Polizei, Justiz und den Landesbehörden sowie der Versorgung im ländlichen Raum, zuallererst mit öffentlichem Verkehr. Die Klimapolitik und der nötige Strukturwandel in den Kohleregionen muss beherzt angepackt statt ausgesessen werden. Nicht zuletzt muss das Dogma des ‚Spare bis es quietscht‘ endlich ein Ende haben.“

Ihre besten Wahlergebnisse erreichte die AfD allesamt in Sachsen, genauer: im CDU-Kernland Ostsachsen. Paul M. Schröder vom BIAJ hat die Zahlen einfach mal hübsch sortiert.

  1. Sächsische Schweiz-Osterzgebirge 35,5 %
    2. Görlitz 32,9 %
    3. Meißen 32,9 %
    4. Bautzen I 32,8 %
    5. Mittelsachsen 31,2 %
    6. Erzgebirgskreis I 29,1 %

Die LEIPZIGER ZEITUNG ist da: Seit 15. September überall zu kaufen, wo es gute Zeitungen gibt

Ein Blitzlicht in einen drögen Wahlkampf, in dem alle ungelösten Probleme unter den Tisch gelächelt werden

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Es gibt 3 Kommentare

Marco Wanderwitz (CDU) konnte sich mit 35 Prozent im Chemnitzer Umland deutlich von der AfD absetzen. Sein Wahlkampf war dabei auch stark gegen die AfD ausgerichtet.

„Die Wahrheit ist vielmehr: Die AfD ist in Sachsen darum so stark, weil etliche Funktionsträger der CDU die Vorbehalte gegen die Flüchtlingsaufnahme und die Sprache und Politik von Pegida und AfD eher verstärkt statt ihr widersprochen haben“, stellt Zschocke fest. „Das Ergebnis der sächsischen CDU ist auch die Quittung für die nationalkonservative Ausrichtung des Landesverbandes, etwa der Patriotismus-Initiative, des gemeinsamen ‚Leitkultur‘-Papiers mit der CSU oder der ausschließend gemeinten Aussage des Ministerpräsidenten, der Islam gehöre nicht zu Sachsen. Nicht von ungefähr ist dort im ländlichen Raum das beste Ergebnis für die CDU erreicht worden, wo der CDU-Kandidat der rechtsnationalen Stimmung widersprochen hat.“
Den letzten Satz verstehe ich nicht ganz: …..wo der CDU-Kandidat der rechtsnationalen Stimmung widersprochen hat.“ (Eigentlich müsste es doch dann heißen, dass die CDU dort das beste Ergebnis hat, wo sie der rechtsnationalen Stimmung “nicht” widersprochen hat. Oder sehe ich das falsch)?

Schreiben Sie einen Kommentar