Es gibt kaum einen Bereich der Bundespolitik, in dem nicht das fatale neoliberale Denken für gravierende Störungen gesorgt hat. Die Wohnungspolitik gehört ganz zentral dazu. Viele Großstädte leiden unter Wohnungsmangel und zum Teil stark gestiegenen Mietniveaus, die sich Normal- und Geringverdiener nicht mehr leisten können. Doch ein belastbares soziales Wohnungsbauprogramm fehlt. Nun alarmieren neue Rekordzahlen bei Wohnungslosen.

So vermeldete unter anderem die „Zeit“ am 14. November, dass in Deutschland im vergangenen Jahr 860.000 Menschen keine Wohnung hatten. Nicht alle lebten auf der Straße. Viele kamen notgedrungen bei Freunden oder Familienangehörigen unter. Sie waren zwar wohnungslos – aber nicht obdachlos.

Die Zahlen stammen von der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W).

„Laut BAG W handelt es sich bei 440.000 aller wohnungslosen Menschen um Flüchtlinge“, schrieb die „Zeit“. „Sie werden in der Schätzung für das Jahr 2016 erstmals in der Statistik berücksichtigt, was ein Grund für den starken Anstieg im Vergleich zu 2014 ist. Allerdings ist die Zahl der Wohnungslosen auch ohne Berücksichtigung der Flüchtlinge in den vergangenen beiden Jahren um etwa 25 Prozent von 335.000 auf 420.000 gestiegen.“

Und gestiegen ist die Zahl vor allem deshalb, weil es gerade in Ballungszentren kaum noch preiswerten Wohnraum für einkommensschwache Haushalte gibt. Über Jahre hatte der Bund die Förderung von sozialem Wohnraum eingedampft. Die Zahl der offiziell registrierten Sozialwohnungen ist geschmolzen wie Schnee in der Sonne und politisch herrschte die Ansicht, das werde „der Markt“ schon richten.

Der Wohnungsmarkt kann vieles richten – wenn das Einkommensniveau der Bevölkerung hoch genug ist, unterschiedlichste Preissegmente angeboten werden und vor allem staatliche Auflagen das Bauen nicht so exorbitant verteuern, wie das in den vergangenen zehn Jahren passiert ist.

Wir haben keinen wirklich sich selbst regulierenden Wohnungsmarkt. Tatsächlich hat der Gesetzgeber selbst dafür gesorgt, dass sozialverträgliches Bauen fast nicht mehr möglich ist. Die existierenden Förderprogramme für gestützten Wohnungsbau sind geradezu lächerlich – auch in Sachsen. Und sie schaffen auch keinen neuen preiswerten Wohnraum, der dem Einkommensniveau etwa in Leipzig entspricht. Absehbare „soziale“ Mieten von 6,50 Euro je Quadratmeter, wie es das sächsische Förderprogramm vorsieht, sind für hiesige Einkommensniveaus nicht bezahlbar. Sie zielen tatsächlich auf normale mittlere Einkommen. Auch dort wird der Bedarf wachsen, keine Frage.

Aber eindeutig fehlt ein wirklich belastbares Wohnungsprogramm für all jene, die sich Wohnraum nicht mehr leisten können.

Das ist auch ein sächsisches Problem, betont die sozialpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Landtag, Susanne Schaper.

Sie hat im Landtag drei Kleine Anfragen zum Thema Wohnungslosigkeit eingereicht, mit deren Beantwortung im Dezember zu rechnen ist. Es geht um medizinische Versorgung von Wohnungslosen, eine (nicht existierende) Wohnungslosenstatistik und den Krankenversicherungsschutz von Wohnungslosen.

„In Deutschland haben immer mehr Menschen keine Wohnung. Betroffen sind bei weitem nicht nur Geflüchtete – auch 422.000 Einheimische, darunter etwa 32.000 Kinder, haben in einem der reichsten Länder der Welt kein Dach über dem Kopf. Bei diesen Zahlen handelt es sich um grobe Schätzungen, denn nicht alle, die wohnungslos oder von Wohnungslosigkeit bedroht sind, nehmen Hilfsangebote an“, stellt die Abgeordnete zu den Zahlen fest. „In Sachsen registrierte die Diakonie 2015 insgesamt 2.722 Wohnungsnotfälle, darunter 307 Kinder.“

Und auch das ist nur die Spitze des Eisbergs. Kümmern müssen sich am Ende die Kommunen, die Lösungen finden müssen, wenn etwa jährlich 5.000 Zwangsräumungen in Sachsen stattfinden. Würden all die Betroffenen in Leipzig tatsächlich auf der Straße landen, würde niemand mehr von der „Boomtown Leipzig“ reden.

Doch die Stadt lässt es sich auch viel Geld kosten, in solchen Notfällen zu helfen, Übergangswohnungen zur Verfügung zu stellen und mit den Betroffenen Wege zu einem bezahlbaren Wohnstatus zu finden. Was aber immer schwerer wird, je mehr der Leerstandspuffer abschmilzt und verfügbare Bestände an Sozialwohnungen fehlen.

Doch die Unterstützung im sozialen Wohnungsbau durch das Land Sachsen ist auch deshalb so kärglich, weil die Staatsregierung gar nicht wissen will, wie groß das Wohnungsproblem tatsächlich ist.

„Die Staatsregierung illustriert ihre Ignoranz gegenüber diesem Missstand durch die Tatsache, dass es in Sachsen immer noch keine Wohnungsnotfallberichterstattung gibt“, stellt Schaper fest.

„Wenn das Problem nicht einmal systematisch analysiert wird, lässt es sich auch nicht lösen. Wir halten trotz der Ablehnung durch CDU und SPD (Drucksache 6/3933) an unserer Forderung fest, wie in Nordrhein-Westfalen eine solche Statistik einzuführen. Die Staatsregierung muss außerdem mehr für den sozialen Wohnungsbau tun und sich auf der Bundesebene dafür einsetzen, dass das unwürdige Sanktionsregime bei Hartz IV-Betroffenen abgeschafft wird. Denn der Mangel an sozialem Wohnraum und die Sanktionierung unter das Existenzminimum sind die Hauptursachen für die steigende Wohnungslosigkeit. Wenn Leistungsempfänger aufgefordert sind, in kleinere Wohnungen umzuziehen, eine solche aber nicht finden, kann nicht die Konsequenz lauten, dass sie auf die Straße gesetzt werden.“

Linke-Antrag „Wohnungslosigkeit im Freistaat Sachsen – Einführung eines ‚Sächsischen Wohnungsnotfallberichts‘“. Drs. 3933

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