Es wird noch eine Weile dauern, bis auch bei der verantwortlichen Politik der Groschen fällt. Denn dass die ländlichen Regionen in allen europäischen Ländern kippen und zunehmend zum Tummelplatz rechtsextremer Parteien werden, hat mit Infrastrukturen zu tun. Die Menschen, die dort wohnen, spüren sehr genau, wie sich ihre Lebensqualität ständig verschlechtert. Und einer ist absolut unfähig, dieses Problem zu lösen: der so gern gefeierte Naturbursche Kapitalismus. Der lebt nämlich vom Wegschmeißen.

Vielleicht kommt ja der Umdenkprozess jetzt mit „Fridays For Future“ endlich in Gang. Auch in Sachsen, wo man sich in den letzten 30 Jahren ebenso befleißigt hat, dem Sirenengesang des radikalen Wettbewerbs zu folgen. Nicht nur in der Haushaltspolitik der Regierung, die auf Kosten von Personal und Investitionen Haushaltsüberschüsse produziert hat, sondern auch in der Strukturpolitik.

Die hat man 1990 völlig den sogenannten „freien Kräften der Marktwirtschaft“ überlassen. Die aber nicht frei sind, wenn es keine Instanzen gibt, die Monopole verhindern und damit auch das Preisdiktat jener Handvoll Einzelhandelskonzerne, deren Namen jeder kennt und die den Osten ab 1990 mit einem Netz uniformer Einzelmärkte überzogen haben.

Märkte, die sich nicht grundlos alle ähneln, denn alle funktionieren nach demselben Prinzip des rollenden Warenumsatzes, haben ihre Umsatzgrößen je Quadratmeter Verkaufsfläche. Und draußen in den sächsischen Dörfern weiß man, was das bedeutet: Denn wenn die Bevölkerung ausdünnt, sinken die Zahlen der Käufer und damit die Umsätze.

Der Markt schließt, an einem zentraleren Ort eröffnet ein noch größerer Markt, der in der Regel gleich fünf bis zehn kleinere Märkte ersetzt. Der Punkt, an dem die langen Einkaufswege nur noch mit dem Auto zu bewältigen sind, ist bald gekommen.

Und da der Freistaat mit Polizeidienststellen, Rathäusern, Krankenhäusern, ÖPNV und Schulen genauso „marktwirtschaftlich“ umgegangen ist, hat jeder einzelne Prozess die anderen Ausdünnungsprozesse beschleunigt.

Und noch etwas ist passiert: Damit wurden auch systematisch die Arbeitsplätze im ländlichen Raum eliminiert. Bis hin in die Landwirtschaft, die heute nichts anderes ist als ein Anhängsel der Einzelhandelsgiganten. Die nämlich diktierten die Abnehmerpreise, veranstalten rotzfreche Preisschlachten mit Grundnahrungsmitteln – Leidtragende sind die Bauern, deren Umsätze in den letzten Jahren immerfort gesunken sind. Hunderttausende Bauernhöfe wurden in den letzten Jahren deutschlandweit aufgegeben. Denn von der wichtigsten Produktionsquelle können immer weniger Menschen leben.

Was eben auch bedeutet: Genau jene protzigen Supermärkte, zu denen die ländliche Bevölkerung zum Einkaufen fahren muss, sind auch die Ursache für das Bauern- und Dörfersterben. Das Geld, das eigentlich mit gesunden Lebensmitteln erwirtschaftet werden müsste, fließt nicht mehr in die Bauernhöfe, sondern in die Kassen der großen Einzelhandelskonzerne.

Weshalb der neue sächsische Umweltminister Wolfram Günther (Grüne) auch die Schaffung einer funktionierenden Regionalvermarktung für sächsische Agrarprodukte ganz oben auf seine To-do-Liste geschrieben hat. Denn wirklich belastbare Einkommen erzielen Sachsens Bauern erst wieder, wenn sie für eine umweltfreundliche Landwirtschaftsproduktion auch wieder Preise erzielen, die ihre Arbeit bezahlt machen. Und das geht nicht mehr mit den Einzelhandelsgiganten, die ihre Käufer seit Jahrzehnten auf Billigpreise getrimmt haben und mit Masse Gewinn machen.

Es braucht wieder die echte Nähe der Käufer zu den Produzenten, wie man es auf Leipziger Frischemärkten schon erleben kann. Landwirtschaftliche Produkte werden dann zwar wieder teurer – oder besser: Sie kosten dann wirklich wieder, was sie in der Herstellung auch kosten. Aber die Käufer wissen dann auch wieder, woher die Produkte kommen und dass der Umsatz in der Region bleibt.

Und dieser Gedanke liegt auch ein wenig einem Vorstoß der Linksfraktion im Landtag zugrunde.

Die fordert jetzt nämlich ein Landes-Programm „Dorfläden in Sachsen“ (Drucksache 7/893). Denn wo die großen Konzerne versagen, braucht es auch hier wieder Unterstützung für die Bürger vor Ort, ihre Versorgung in die eigenen Hände zu nehmen. Bürgerschaftliche Eigeninitiative soll langfristig unterstützt werden, um die Nahversorgung zu verbessern, fordert die Linke. Die Landesregierung soll besser über bestehende Fördermöglichkeiten informieren und zudem einen „Dorfladen-Leitfaden“ für die Gründung, die Einrichtung und den Betrieb von Dorfläden erstellen.

Eine „Stabsstelle Nahversorgung in den Dörfern“ soll unterstützend tätig werden, etwa bei der Beantragung und Vergabe von Fördermitteln aus dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raumes (ELER) bzw. der Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes (GAK). Zudem sollen Gründerinnen und Gründer bei der Standortwahl und der Nutzungsüberlassung geeigneter Immobilien Hilfe vom Freistaat und den Kommunen bekommen.

„Der Markt versagt in vielen Bereichen – auch bei der Nahversorgung“, stellt Antje Feiks, Sprecherin der Linksfraktion für den ländlichen Raum, eigentlich etwas Selbstverständliches fest. Das aber völlig aus dem Blickfeld geraten ist, seit deutsche Politiker das radikale Lied vom Wettbewerb singen und den Konzernen zutrauen, nicht nur die Versorgung zu sichern, sondern auch die Belieferung der ländlichen Räume.

Aber das „rechnet“ sich für die Konzerne nicht. „Nicht einmal die Hälfte der Gemeinden mit weniger als 2.000 Einwohnerinnen und Einwohnern haben noch ein Lebensmittelgeschäft mit Vollsortiment. Die Zahl der Dorfläden sank von 2010 bis 2017 um rund 47 Prozent, von 32 auf 17. Es gibt nicht einmal sichere Daten dazu, wie viele Dorfläden Sachsen seit 2014 gefördert hat – das Wirtschaftsministerium gibt sechs über LEADER geförderte Läden an, das Umweltministerium 327.“

Für Antje Feiks ist klar: „Wir haben in Sachsen Handlungsbedarf. Bayern, Mecklenburg-Vorpommern oder Schleswig-Holstein helfen bereits Bürgerinnen und Bürgern, die sich vor Ort für die Versorgung engagieren wollen. Dorfläden sind viel mehr als Einkaufsmöglichkeiten: Sie können regionale Wirtschaftskreisläufe stützen, Langzeiterwerbslosen eine Chance bieten oder Stützpunkt sein für die Organisation von Dorffesten und anderweitigen Begegnungen.

Viele weitere Möglichkeiten sind denkbar, die sich auf einen solchen Laden stützen und zu seiner Wirtschaftlichkeit beitragen könnten: Vor-Ort-Sprechstunden von Ämtern und Behörden, Gastronomie (Café, Imbiss, Catering), Gesundheits- und Pflegedienste, Frisör, Post-, Paket-, Kopier-, Fax-, Internetdienste, Bankdienste, Bargeldservice, Kinderbetreuung, Jugend-, Seniorentreff, kulturelle Veranstaltungen, Bildung, Kurse aller Art.“

Sie können also ein Stück jener Infrastruktur bilden, die Dörfer und kleine Städte in Sachsen wieder stabilisieren. Und Landesregierungen sind gut beraten, diese Strukturen zu unterstützen – auch im Sinn einer Versorgungssicherheit im ganzen Bundesland. Die CDU hat sich zwar das mit den EU-Geldern üppig versorgte neu geschaffene Strukturministerium mit dem vormaligen Agrarminister Thomas Schmidt gesichert. Aber sie hat keine einzige Idee in den Koalitionsvertrag geschrieben, wie sie die ländlichen Strukturen tatsächlich dauerhaft stärken will. Aufgehübschte Dorfkerne allein werden nicht reichen.

Antje Feiks hat nur ein mageres Modellprojekt gefunden: „Wir erwarten von der Staatsregierung ein breites und entschlossenes Vorgehen anstelle eines mageren Modellprojekts, mit dem die CDU offensichtlich in den Koalitionsverhandlungen weitergehende Forderungen abgewehrt hat.“

Wolfram Günther lädt eine Delegation der Bauern schon mal ins Umweltministerium ein

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