Man muss nur genug davon reden, dann glauben's die Leute, wie toll man ist. "Unternehmen in Sachsen überdurchschnittlich innovativ", vermeldete das Sächsische Wirtschaftsministerium am Donnerstag, 9. August. Doch was der Wirtschafts-Staatssekretär Hartmut Fiedler (FDP) da zur Innovationsfähigkeit sächsischer Unternehmen erzählte, fand Michael Weichert, wirtschaftspolitischer Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion, nur noch kurios.

“Die Staatsregierung nutzt das Sommerloch offensichtlich, um alte Pressemitteilungen zu recyceln. Sachsens Unternehmen seien überdurchschnittlich innovativ – das erzählte uns Wirtschaftsminister Sven Morlok (FDP) schon am 2. September 2011. Der Inhalt wird allerdings trotz Wiederholung nicht richtiger”, kritisiert Weichert. “Die zitierte Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) weist meines Erachtens Mängel auf. Die Ergebnisse werden verzerrt, da überwiegend Kleinbetriebe für den Bundesvergleich herangezogen wurden, nicht aber Großbetriebe, die als die wirklichen Innovationstreiber gelten. Von denen hat Sachsen leider kaum welche.”

Die neue IAB-Studie ändert zur vorhergehenden nicht wirklich die Datenbasis, fragt stattdessen ausführlicher nach Innovationshemmnissen. Wobei erstaunlicherweise am häufigsten Zeitmangel, bürokratische Hürden sowie ein hohes wirtschaftliches Risiko genannt werden.

Im Freistaat Sachsen gibt es derzeit rund 150.000 Unternehmen. 99,9 Prozent davon gehören zum Mittelstand. 95,3 Prozent der Betriebe zählen zu den Kleinstunternehmen mit weniger als 10 Mitarbeitern und weniger als zwei Millionen Euro Umsatz im Jahr. Nur etwa 700 sächsische Unternehmen forschen und innovieren permanent, rund 250 Unternehmen forschen sporadisch, wie die Euronorm GmbH in einer Studie feststellte.

Die im Vergleich zum Bundesdurchschnitt deutlich kleinteiligere Unternehmensstruktur in Sachsen hat weitreichende Folgen für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Es besteht ein klarer Zusammenhang zwischen dieser Kleinteiligkeit und dem Produktivitätsrückstand sächsischer Unternehmen gegenüber denen in den alten Bundesländern. Darüber hinaus schränkt der Mangel an Unternehmenszentralen sowie Forschungs- und Entwicklungsabteilungen die Entwicklungsbedingungen weiter ein. Die Unternehmenszentralen übernehmen strategische Aufgaben, koordinieren und organisieren meist auch die FuE-Abteilung, weshalb Forschungsprojekte oft in den Unternehmenszentralen verankert sind und damit außerhalb des Freistaates.
“Die Staatsregierung bleibt außerdem die Erklärung schuldig, was sie unter Innovationen versteht. Ist schon die Veränderung der Farbe eines Produkts eine Innovation? Dann lügen wir uns in die eigene Tasche”, stellt Weichert fest. “Dass im Wirtschaftsministerium gemogelt wird, beweist ein Blick auf die Zahl der forschenden Unternehmen in Sachsen. Laut Ministerium sind 75 Prozent der Betriebe mit weniger als 20 Mitarbeitern innovativ. Nach Angaben der Euronorm GmbH forschen und entwickeln hingegen nur 700 der insgesamt 150.000 Unternehmen im Freistaat kontinuierlich an neuen Produkten und Verfahren. Das ist nach wie vor unbefriedigend.”

Im Sächsischen Technologiebericht, der allerdings aus dem Wissenschaftsministerium stammt, heißt es: “Trotz einer Zunahme des Innovatorenanteils in der sächsischen Wirtschaft von 2001 bis 2007 verschlechterte sich die Position Sachsens bei diesem Indikator im bundesdeutschen Vergleich.”

Und in einer aktuellen Pressemitteilung erklärt Michael Kretschmer, Generalsekretärs der sächsischen CDU: “Wir haben zwar viele exzellente, staatlich finanzierte Forschungseinrichtungen, aber es fehlt an forschungsintensiver Industrie und Großbetrieben.”

“Um die Lage der sächsischen Wirtschaft zu verbessern, sollte sich die Staatsregierung zunächst darüber einigen, wie sie die Ausgangssituation bewertet. Erst danach kann sie geeignete Maßnahmen zur Steigerung der Innovationsfähigkeit sächsischer Unternehmen entwickeln”, erklärt Michael Weichert.

Wie butterweich die Analyse des IAB ist, zeigt schon der verwendete Innovationsbegriff: “Der Begriff Innovation kann vielfältig definiert werden. Objektiv betrachtet gilt eine Neuheit als Innovation, wenn sie aus Sicht des Marktes neu ist. Der subjektive Innovationsbegriff stellt hingegen die betriebliche Perspektive in den Mittelpunkt. Alle Neuerungen gelten dabei als Innovationen, wenn sie im einführenden Betrieb erstmals umgesetzt werden. Ob die Produkte und Dienstleistungen bereits am relevanten Absatzmarkt vorhanden waren, ist dabei nebensächlich. In dieser Studie verwenden wir ausschließlich den subjektiven Innovationsbegriff. Wir unterscheiden dabei sechs Innovationsarten entsprechend der Definition des OSLO-Manuals (vgl. OECD, 2005) : Marktneuheiten, Imitationen, inkrementelle Innovationen, Prozessinnovationen, organisatorische Innovationen und Marketinginnovationen.”

Das hat mit dem, was man für gewöhnlich als “Forschung und Entwicklung” definiert, nichts zu tun. Im Grunde beschreibt es die ganz gewöhnlichen Prozesse, mit denen Unternehmen schlicht auf der Höhe der Zeit bleiben – man nutzt neue Maschinen, neue Materialien, wenn sie auf dem Markt sind, optimiert Arbeitsabläufe, strukturiert um, wenn alte Produkte nicht mehr marktfähig sind, selbst eine neue Buchhaltungssoftware, die den Steuer-Hokuspokus vereinfacht, gehört hierher.

So eine Studie ist, wenn man sie als Analyse des Innovationspotenzials ausgibt, echte Augenwischerei. Und wenn dabei gar noch – wie 2011 – Aussagen getroffen werden, 54 Prozent der Betriebe würden externe Forschungs- und Entwicklungsleistungen in Anspruch nehmen, dann ist das geradezu märchenhaft. Dann wurden die Forschungsinstitute im Land geradezu wie Pilze aus dem Boden schießen.

Die Meldung des SMWK vom 9. August 2012:
www.medienservice.sachsen.de/medien/news/173218

Pressemitteilung SMWA: “Wirtschaftsminister stellt IAB Report ‘Innovationen im Freistaat Sachsen’ vor (02.09.2011):
www.medienservice.sachsen.de/medien/news/161354?page=159

Presseerklärung Michael Kretschmer: “Schavan macht im Osten mächtig Dampf (08.08.2012)
www.michaelkretschmer.de/index2.jsp?p_contrib=502&p_cursor=101234

“Sächsischer Technologiebericht 2009”:
www.technologie.sachsen.de/download/Saechsischer_Technologiebericht_2009.pdf

IAB Bericht: “Innovationen im Freistaat Sachsen”
www.smwa.sachsen.de/set/431/Projektbericht_Inno_Sachsen.pdf

Die Studie der Euronorm GmbH:
www.euronorm.de/euronorm/media/dokumente/studien/sachsenstudie_2010.pdf

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