Seit Mittwoch, 22. Mai, reden sie wieder: Verkehrsminister aus aller Welt diskutieren in Leipzig über Geld. Die für Verkehr zuständigen Minister aus den 54 Mitgliedsstaaten des Weltverkehrsforums (International Transport Forum) der OECD treffen sich vom 22. bis 24. Mai in Leipzig. Im Mittelpunkt des dreitägigen Gipfeltreffens steht die Zukunft der Finanzierung von Mobilität. Oder das, was Minister dafür halten. Sachsen ist eigentlich ein gutes Fleckchen für so eine Debatte.

Hier hat man nun einige Erfahrungen mit dem, was manche Leute so für Prognosen halten, mit völlig überdimensionierten Planprojekten, falschen Schwerpunktsetzungen und glatten Fehlplanungen. Gerade ging ja das Thema des für 32 Millionen Euro gebauten Frachtbahnhofs am Flughafen Leipzig-Halle durch die Medien, 2007 eigentlich mitgebaut, um Teile des Frachtumschlags vom Flugzeug auf die Schiene umzuladen. Die DHL fuhr auch einen Testzug, das klappte prima. Aber dann haben die kühlen Rechner im Hause DHL sich die Start- und Landegebühren in Leipzig noch einmal angeschaut, sich über die 24-Stunden-Flugerlaubnis gefreut und den Frachtbahnhof gar nicht erst in ihr Konzept aufgenommen.

Das sind Geschichten, die alle Zahlen zu künftigen Verkehrsprognosen und Finanzbedarfen mehr als fragwürdig machen. Auch diese hier, die die Presse im Vorfeld des Forums bekam: „Nach OECD-Schätzungen dürfte sich bis 2030 das Passagieraufkommen in der Luftfahrt verdoppeln, das Luftfrachtvolumen verdreifachen und der Containerumschlag vervierfachen. Notwendige Investitionen in zentrale Verkehrsinfrastruktur wie Häfen, Flughäfen und Hauptbahnlinien werden auf 11 Billionen US-Dollar veranschlagt. Die derzeitige Infrastruktur kann demnach nur einen Nachfrageanstieg um 50 % auffangen.“

Eines ist sicher: Von diesen Zahlen wird nichts, aber auch gar nichts eintreten. Jede Prognose, die auch nur weiter als 10 Jahre in die Zukunft reicht, ist auf Sand gebaut. Und bei 54 Mitspielern – was bedeutet das eigentlich? Die Infrastrukturen werden doch nicht von der OECD gebaut, sondern von den Nationen, die das bauen, was sie für den eigenen Transportbedarf für notwendig erachten.

Dass dabei selbst hochindustrielle Nationen an die Grenzen ihrer Finanzmöglichkeiten kommen, liegt auch daran, dass sie in der Regel nicht einmal nationale Transportkonzepte haben. Oft fördern sie die einzelnen Verkehrsarten parallel und sorgen auch noch dafür, dass die eine die andere kannibalisiert. Der hochsubventionierte Flugverkehr in Europa ist ein Beispiel dafür. Er macht dem Schienenverkehr im Land genauso Konkurrenz wie das massiv ausgebaute Autobahnnetz. Manche Leute haben in Wirtschaftskunde tatsächlich nur den einen Satz gelernt: Konkurrenz belebt das Geschäft.

Dass das weltweite Verkehrsaufkommen seit den 1990er Jahren derart rasant gewachsen ist, hat auch mit dem Wörtchen „Globalisierung“ zu tun. Ganze Länder haben ihre Güterproduktion, weil die Arbeitskosten in Asien drastisch niedriger sind, in den Fernen Osten verlagert. Welche Folgen das hat, sieht man gerade in Bangladesch: In der dort immer schärferen Konkurrenz um Cent-Beträge sind die simpelsten Arbeits- und Sicherheitsstandards über Bord geworfen worden. Die Menschenwürde wurde der Billigproduktion geopfert.

Aber wer billig produziert, muss auch billig transportieren. Ein Großteil der Investitionen in Verkehrsstrukturen geht schlicht auf den Bau immer größerer Transportanlagen zurück. Gewaltige Container-Schiffe, die nur noch in Häfen anlanden können, die extra für diese Riesen ausgebaut wurden, riesige Flugzeuge für Passagier- und Frachttransporte, gewaltige Straßenfahrzeuge wie die Giga-Liner, die ja derzeit auch in Sachsen getestet werden sollen. Nur finden sich nicht genug Tester. Denn eins sehen ja auch die Flottenbetreiber: Für diese Groß-Lkw ist das deutsche Straßennetz nicht ausgebaut. Wenn die fahren dürften, wären die nächsten Investitionsmilliarden fürs Straßennetz fällig.

Die niemand hat.

Und genau darum sollte es eigentlich beim Internationalen Transport Forum gehen. Die „Nachfrage nach Mobilität“ wächst nicht einfach gottgegebenermaßen. Sie wächst auch, weil jedes Quentchen an Kostenersparnis in tausenden Produktionsketten herausgequetscht werden soll. Wer über Transportmengen spricht, muss sich auch über vermeidbare Produktionsmengen Gedanken machen und über rationellere Verknüpfungen.

Dass jetzt ausgerechnet die Verkehrsminister gemeinsam jammern, ist schon erstaunlich. „Angesichts reduzierter öffentlichen Mittel infolge der Wirtschafts- und Finanzkrise ist die Finanzierung zukunftsfähiger Verkehrsinfrastruktur eine der gro?en Herausforderungen für Regierungen überall auf der Welt“, hieß es zum Forums-Auftakt für die Presse.

Leitthemen für die versammelten Minister sind u. a.:

– Investitionen für Wachstum?
– Öffentlich-private Partnerschaften: Eine Bestandsaufnahme
– Das Streben der Luftfahrtindustrie nach finanzieller Nachhaltigkeit
– Attraktivität für Privatkapital steigern und nachhaltige Finanzierung sichern
– Ausgabenprioritäten setzen: Was kommt zuerst?

Es bahnt sich, wie man sieht, zumindest ein leichtes Nachdenken an. Von Umdenken noch keine Spur. Aber „Ausgabenprioritäten“ zwingen die Beteiligten natürlich dazu, sich über ihre Wunschprojekt-Listen tatsächlich einmal Gedanken zu machen. Denn das Meiste ist wirklich Wunschdenken. Und erzeugt noch mehr Verkehr. Denn wo die Verkehrsstrukturen überall billig zur Verfügung stehen, weil sie zumeist von „öffentlicher Hand“ gebaut sind, da werden sie auch genutzt. Und die Nutzer freuen sich über die niedrigen Nutzerentgelte. Wie am Flughafen Leipzig / Halle.

Immer neue Verkehrsstrukturen erzeugen tatsächlich immer neue Verkehre. Aber keine wirklich nachhaltigen Produktionszuwächse. Produktionen werden nur verlagert. Oft genug auch flott weg-verlagert, wie es auch sächsische Kommunen schon erlebt haben, die sich eben noch über den tollen Autobahnanschluss freuten und glaubten, jetzt käme die Weltwirtschaft zu ihnen.

Dass die versammelten Minister den Schritt im Kopf hin zu einer wirklich nachhaltigen Verkehrsorganisation noch gar nicht gegangen sind, zeigt die nun in ein Forum gegossene Debatte ums Geld und um „neue Finanzierungsquellen“. Fundraising. Eine im Grunde sinnlose Debatte, wenn die Staaten nicht anfangen, über nachhaltigen Verkehr selbst nachzudenken. Das „Immer mehr, immer größer, immer billiger“ ist an seinen Grenzen angelangt. Immer mehr Staaten – nicht nur Deutschland – haben zunehmend finanzielle Probleme, die schon gebauten Strukturen instand zu halten.

Gastredner sind u. a. Nobelpreisträger Amartya Sen, Economist-Chefredakteur John Micklethwait, Temel Kotil, CEO Turkish Airlines, Jichang Zhou, CEO China Communications Construction Company und David Fass, CEO (EMEA) Macquarie Group.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar