Die sechs Mobilitäts-Szenarien, die die Stadtratsfraktionen am Samstag, 28. Oktober, in einem Workshop erstmals diskutieren, beschreiben vor allem Möglichkeitsräume, wie Michael Jana, Leiter des Verkehrs- und Tiefbauamtes betont. Am Ende wird es der Leipziger Stadtrat sein, der im Frühjahr 2018 beschließt, welches Szenario Leipzig als Möglichkeitsraum betritt. Es kann auch passieren, dass alle feststellen: Leipzig kann alle seine Träume begraben.

Denn die von OBM Burkhard Jung genannte 1 Milliarde Euro zur Umsetzung der wirklich zukunftsfähigen Szenarien ist keine unrealistische Zahl. Eigentlich dürfte sie nicht mal erschrecken, denn tatsächlich beschreibt sie nur den riesigen Raum von Unterfinanzierung, unter dem auch Leipzigs Verkehrspolitik leidet. Damit ist Leipzig nicht allein. Bund und Länder haben sich in den Jahren der Austerität regelrecht auf Kosten der Kommunen „gesundgespart“. Gänsefüßchen sind wichtig, denn gesund ist das nicht.

Die Kommunen – gerade die mit einem hohen Anteil sozialer Probleme – ächzen unter einer steigenden Last von Sozialkosten, die schlicht alle Spielräume für nachhaltige Investitionen auffressen. Jede Kommune im Land schiebt einen wachsenden Berg von notwendigen Investitionen vor sich her. Und gerade das Thema Mobilität zeigt, dass mit der richtigen Investition auch ein überfälliger Mobilitätswechsel gestaltet werden könnte.

Wenn das Geld da wäre.

Den Appell hat genau in dieser Schärfe auch schon der Deutsche Städtetag an den Bund gerichtet. In den Städten entscheidet sich, ob Deutschland zukunftsfähig wird oder einfach mit aller Sturheit in eine Mobilitäts-Sackgasse rauscht.

Und das Rückgrat jeder nachhaltigen Mobilitätszukunft ist der ÖPNV.

Deswegen gibt es unter den sechs vorgeschlagenen Szenarien auch ein „ÖPNV-Vorrang-Szenario“.

 

Datenblatt zum "ÖPNV-Vorrang-Szenario". Grafik: Stadt Leipzig
Datenblatt zum „ÖPNV-Vorrang-Szenario“. Grafik: Stadt Leipzig

Der Grundgedanke dabei: „In diesem Szenario liegt der Schwerpunkt auf der Maximierung der ÖPNV-Nachfrage, weil der Nahverkehr im Mittelpunkt der Entscheidungen steht. Der Angebotsausbau im ÖPNV geschieht wirtschaftlich, während die Höhe und Struktur der Ausgaben im Verkehr weitestgehend bestehen bleiben.“

Was dann folgende Effekte hätte:

– Steigerung der Attraktivität und der Fahrgastzahlen des ÖPNV

– Erhöhung der Attraktivität des öffentlichen Raumes

– Durchschnittsgeschwindigkeit im ÖPNV sinkt leicht, im Kfz-Verkehr sinkt sie stark

– Die Einhaltung der Grenzwerte ist kritisch, relativ lautes Szenario

– Öffentlicher Finanzierungsaufwand für ÖPNV steigt

– langsamer Wirtschaftsverkehr/Anlieferung fast auf heutigem Geschwindigkeitsniveau

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Das Szenario klappert also in gewisser Weise. Es müssten zwar 725 Millionen Euro bis 2030 zusätzlich in die Leistungserhöhung von Straßenbahn und Bussen investiert werden, dagegen wird das Thema Radverkehr mit 19 Millionen Euro recht stiefmütterlich bedacht. Schon beim Lesen der Zahlen merkt man: Das kann nicht funktionieren. Das würde die aktuelle Entwicklung im Radverkehr unterschätzen. Und auch die angepeilten 220 Millionen Fahrgäste für die LVB wären eher kein ehrgeiziges Ziel. (Was aber mit einem anderen Faktor zu tun hat: Die Betriebszuschüsse für die LVB steigen nur moderat von 51 auf etwa 57 Millionen Euro. Was eben auch bei diesem Modell bedeutet, dass die Fahrpreise überdurchschnittlich steigen. Das macht ÖPNV nicht wirklich attraktiver.) Heute schaffen die LVB locker 150 Millionen Fahrgäste und sehen noch einen Puffer von 170 bis 180 Millionen Fahrgäste im bestehenden System.

Entweder schafft man es mit 725 Millionen Euro tatsächlich, vor allem das Straßenbahnsystem deutlich leistungsfähiger zu machen (neue Streckenverbindungen, mehr Haltestellen, mehr Fahrzeuge, dichtere Takte und vor allem einen durchlässigeren Innenstadtring) – oder das Geld ist ziemlich ineffizient eingesetzt.

Wobei auch hier zu berücksichtigen ist: Die Szenarien sollen nur einen Möglichkeitsraum beschreiben, wie Michael Jana betont: die Vision einer Stadt, auf die man sich in den nächsten zehn Jahren hinarbeiten will.

Welche Einzelmaßnahmen dann aber konkret für den ÖPNV in Planung gehen, das soll erst der Nahverkehrsplan beschreiben. Dessen Fortschreibung hat ja OBM Burkhard Jung vorerst gestoppt, weil erst einmal klar werden soll, welche Mobilität Leipzig eigentlich künftig haben möchte. Erst wenn das Vorzugs-Szenario beschlossen ist, sollen die Stadtplaner darangehen, darauf aufbauend die Fortschreibung des Nahverkehrsplans zu erstellen.

Wobei Burkhard Jung auch betont: Es wird wahrscheinlich kein Mobilitäts-Szenario so beschlossen, wie es jetzt vorliegt. Er hat eher das Gefühl, dass sich die Stadtratsfraktionen zwar auf ein Vorzugs-Szenario einigen – aber es mit Vorschlägen aus den anderen Szenarien kombinieren, möglicherweise auch abschwächen, wenn sie das Gefühl haben, dass die nötigen Gelder nicht zur Verfügung stehen werden.

Kommen wir im nächsten Teil also zum unmöglichsten aller Szenarien.

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