Schon seit Jahren wird über die viel zu niedrigen Sätze für die Kosten der Unterkunft in Leipzig diskutiert. Die Stadt versuchte zu deckeln und die Bewohner/-innen von Wohnungen, die nicht dem KdU-Satz entsprechen, zum Umzug zu bewegen. Doch wohin umziehen, wenn es nur noch teure Wohnungen am Markt gibt und selbst neue „geförderte Sozialwohnungen“ happig überm KdU-Satz liegen? Das Sozialgericht Leipzig entschied jetzt eindeutig für eine betroffene Klägerin.

Danach ist in diesem Fall die Deckelung der Unterkunftskosten für Einpersonenhaushalte auf monatlich 269,57 Euro im Jahr 2016 unwirksam. Das Sozialgericht Leipzig hat durch Urteil seiner 17. Kammer entschieden, dass bis zu 386,10 Euro monatliche Bruttokaltmiete noch als angemessener Unterkunftsbedarf gelten. Das Jobcenter Leipzig muss der Klägerin nun insgesamt fast 700 Euro Unterkunftskosten für das zweite Halbjahr 2016 nachzahlen.

„Die alleinstehende Klägerin wohnt im Südosten Leipzigs in einer Mietwohnung mit 55 Quadratmeter Wohnfläche“, erläutert das Sozialgericht den Fall. „Sie war auf Grundsicherung nach dem SGB II angewiesen. In 2016 hatte sie monatliche Unterkunftskosten durch unstreitige Heizkosten und 337,21 Euro Bruttokaltmiete. Das Jobcenter Leipzig beanstandete die Bruttokaltmiete als unangemessen hoch und forderte eine Kostensenkung auf maximal 269,57 Euro.

Ab Juli 2016 zahlte das Jobcenter nur noch diesen Betrag, der durch eine Richtlinie der Stadt Leipzig aus dem Jahr 2014 vorgegeben ist. Die Klägerin brachte seither monatlich ca. 116 Euro ihrer Wohnkosten aus abgesparten eigenen Mitteln auf. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhob sie Klage und brachte vor, in Leipzig gebe es in den Angemessenheitsgrenzen aus der städtischen Richtlinie nicht genug Wohnungen für alle einkommensschwachen Einpersonenhaushalte. Die vorgegebene Mietobergrenze sei deshalb nicht plausibel zu begründen. Deshalb sei ihre Wohnung angemessen und keine Kostensenkung zu verlangen.“

Die Stadt versucht ja derart betroffene Haushalte regelrecht zu Umzug zu bewegen. Begründung: „unangemessener Wohnraum“. Die zugehörige Website erklärt: „Die Kosten der Wohnung einschließlich der Heizkosten werden zunächst in tatsächlicher Höhe übernommen, wenn der Mietvertrag bereits besteht. Dies erfolgt so lange wie es dem Leistungsberechtigtem oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, Untervermietung oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate.“

Aber wohin umziehen, wenn es keine Wohnung in der richtige Größe zum Richtwert der Stadt gibt?

Die 17. Kammer des Sozialgerichts Leipzig folgte mit Urteil vom 25. November 2020 dem Ansinnen der Klägerin.

„Die am 18.12.2014 beschlossene Richtlinie der Stadt Leipzig stelle als Referenzwert für angemessene Unterkunftskosten bei Grundsicherung lediglich auf den Bruttokaltmietzins des billigsten Drittels der Wohnungen ab“, erläutert das Gericht.

„Nach dem Monitoringbericht Wohnen 2016/2017 und dem Wohnungspolitischen Konzept der Stadt Leipzig, Fortschreibung 2015, seien aber bis zu ca. 39.000 Einpersonenhaushalte in Leipzig einkommensschwach und damit Nachfrager für preisgünstigen Wohnraum, während das billigste Drittel der Ein- und Zweiraumwohnungen in Leipzig nur ca. 16.000 Wohnungen umfasst habe.

Damit sei eine Versorgung der Nachfragehaushalte offensichtlich nicht möglich und deren Ausweichen auf höherpreisige Wohnungen unvermeidbar. Mangels einer nachvollziehbaren Festlegung durch die Stadt Leipzig seien Wohnkosten in 2016 erst bei Überschreitung des nach dem Wohngeldgesetz berücksichtigungsfähigen Betrags plus 10 Prozent Sicherheitszuschlag – in Leipzig damit eine Bruttokaltmiete von 386,10 Euro – für Grundsicherungsempfänger unangemessen teuer.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, teilt das Sozialgericht noch mit.

Aber es erläutert auch, warum es so urteilte und die Stadt Leipzig (bzw. das Jobcenter) den Entscheidungsspielraum zuungunsten der Klägerin übermäßig eingeschränkt hat.

Denn gemäß § 22 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) sind die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung für erwerbsfähige Bedürftige durch das Jobcenter als Bedarf im Rahmen der Grundsicherung zu berücksichtigen (sogenannte „KdU“), allerdings nur, „soweit diese angemessen sind.“ Welche KdU freilich angemessen sind, ist im SGB II selbst nicht festgelegt. Das Gesetz beschreibt in §§ 22a bis 22c SGB II nur, nach welchen Kriterien und Methoden die kommunalen Träger der Jobcenter den unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit konkretisieren können. Der Angemessenheitswert soll realitätsgerecht „die Verhältnisse des einfachen Standards auf dem örtlichen Wohnungsmarkt abbilden.“

Sofern die kommunalen Träger der Jobcenter den in ihren Bescheiden angesetzten Wert nicht nachvollziehbar (durch ein „schlüssiges Konzept“) herleiten, kann nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts im Rechtsstreit über die Angemessenheit der Unterkunftskosten hilfsweise auf die nach dem Wohngeldgesetz berücksichtigungsfähigen Beträge zuzüglich eines Sicherheitszuschlages zurückgegriffen werden.

Und es ist nicht der einzige Fall zu dem Thema, mit dem sich das Sozialgericht beschäftigen muss. Zur Höhe angemessener KdU sind zahlreiche weitere Verfahren am Sozialgericht Leipzig anhängig.

Auch die neuen Leipziger Richtwerte für die Kosten der Unterkunft könnten vor Gericht nicht standhalten

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Es gibt 3 Kommentare

Sogar die Mieten der neuen “Sozial-Wohnungen”, die durch die LWB angeboten werden und vom Bund gefördert wurden, kosten 6,50 €. Sowas soll sozial sein? Außerdem sind diese Wohnungen in sehr begrenzter Anzahl vorhanden! Wer will in ein 36 m² großes Wohnklo ziehen? Diese Größe kann maximal ein Studierende*r mit begrenzter Mietdauer ziehen und kein älterer Mensch!

Das wurde aber auch mal langsam Zeit. Für viele kommt das Urteil schon zu spät, die sitzen nun in 25 – 35m² Wohnklo für 270€ bruttokalt womöglich noch im 5. Stock unsaniert ohne Aufzug. Es kommt aber doch noch zur rechten Zeit für die, die oftmals mehr als 100€ aus dem kargen Regelsatz zur “genehmen” Miete zuzahlen müssen.
Dieses Urteil betrifft zwar einen Single-Haushalt, bezahlbare Wohnungen für Singles sind in Leipzig eh schon Mangelware durch die jährlich neu herziehenden Studenten, und WG-Zimmer für Studenten sind oft auch nicht gerade billig. Und wenn sie billig sind, dann häufig so klein, dass man dann doch fast nur zum schlafen heimkommen mag.
Dieses Urteil wird auch Auswirkungen auf Mehrpersonenhaushalte haben. Endlich. Denn es gibt sie zwar, die Wohnungen für diese Familien, zum “genehmen” Preis, aber sie werden immer kleiner. Wenn eine Familie laut JC 90m² haben darf, dann findet man für den genehmen Preis nix, weicht also auf kleinere Wohnungen aus, beschneidet also seinen Lebensraum. Bonsai-Wohnungen. Wer soll da wachsen können? Und in Corona-Zeiten mit Quarantäne, Schulschließungen, Home-Scooling, Home-Office usw wird man sich der Enge erst recht bewusst, hat die Enge einer zu kleinen Wohnung, in der es keine Rückzugsmöglichkeiten gibt, schon eine krankmachende Relevanz.

Ja, die Kosten der Unterkunft müssen zum größten Teil von der Kommune bezahlt werden, in der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zu 100%. Ja, die Stadt ist immer bissel klamm, jetzt in Corona-Zeiten mit sinkenden Steuereinnahmen erst recht. Aber die Bürger sind auch Menschen. Niemand will wohnmäßig so weit reduziert werden müssen, dass er wie ein Pflegeheimbewohner noch 12m² plus Kochnische und Duschklo hat, nur weil das noch bezahlbar ist. Arme halten sich oft überwiegend in ihren Wohnungen auf, bis auf notwendige Wege zum Einkaufen, Arztbesuche usw. Der mickrige Regelsatz reicht nunmal nicht für die Teilhabe am realen Leben draußen. Also sozialer Rückzug in die 4 Wände. Und dort will man es wenigstens ein bisschen schön haben, sich etwas bewegen können.

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