170 Millionen Euro haben die Deka Immobilien und ECE in den alten Kauftempel Saalepark investiert, um daraus einen Shopping-Erlebnis-Park namens Nova Eventis zu machen. Eine Art Entertainment-Center, das die Käufer aus Dörfern und Städten zum Kauf-Erlebnis anlocken soll. Dabei sind Orte wie die Leipziger City die eigentlichen modernen Entertainment-Center, stellt Prof. Dr. Rolf Monheim fest.

Der Mann ist Stadtgeograph an der Universität Bayreuth. Seit 40 Jahren beschäftigt er sich mit der Entwicklung der deutschen Innenstädte. Der Diplom-Geograph Jochen Heller hat bei ihm studiert und beschäftigt sich beim Leipziger Marktforschungsinstitut Omniphon mit den Zahlen zum Thema. Beide haben jetzt für die Stadt Leipzig eine 48 Seiten starke Studie erstellt: “Die Innenstadt von Leipzig aus Sicht ihrer Besucher – attraktiv durch urbane Vielfalt”. 48 Seiten über ein Streitthema. Denn ganz ohne Grund haben Deka Immobilien und ECE nicht noch einmal 170 Millionen Euro in das Einkaufscenter bei Günthersdorf investiert. Man hat dort sehr wohl begriffen, dass jetzt die Weichen gestellt werden, dass die Entscheidung fallen wird zwischen “Grüner Wiese” und lebendiger Stadt, zwischen Suburbia und kompakter City.

Dass solche Einkaufs-Tempel wie bei Günthersdorf, Burghausen, Engelsdorf und Großpösna überhaupt entstehen konnten, hat viel mit der Wildwest-Zeit zwischen 1990 und 1999 zu tun, als die Subventionen in den Osten ausgekippt wurden, als würden nur genügend Milliarden genügen, das von Industrie fast entblößte Land in ein Paradies verwandeln. Ein Paradies aus Gewerbeparks, Wohnparks, Einkaufsparks und überdimensionierten Kläranlagen. Während in den Innenstädten die seit 40 Jahren notwendige Sanierung noch fast zehn Jahre auf Eis lag. Auch in Leipzig war das so. Und 1995 war die Schlacht schon fast entschieden, selbst die heute so belebte Leipziger Innenstadt schien keine Chance mehr zu haben gegen die Einkaufs-Container rund um die Stadt. Erst der Umbau des Hauptbahnhofs zu den Hauptbahnhof Promenaden warf den Hebel herum. Und 13 Jahre später ist die Leipziger City zumindest bei den Leipzigern selbst und ihren Kultur- und Messegästen wieder so beliebt, wie wohl seit 1932 nicht mehr. Für die Weimarer Zeit gibt es zwar keine ausführlichen Befragungen, wie sie dieser Studie zugrunde liegen, aber die Fotografien von Getümmel in der damaligen Innenstadt sprechen für sich.

Damals wäre niemand, nicht einmal der wirtschaftsfreundlichste Politiker, je auf die Idee gekommen, diese quirlige Innenstadt würde sich gegen Einkaufsparks bei Günthersdorf, Wiedemar oder Engelsdorf behaupten müssen.
Für die Studie wurden Besucher der Innenstadt an mehreren Tagen und an mehreren Orten über einen kompletten Geschäftstag hin gezählt und an ausgewählten Tagen und Orten auch genauer befragt. Und anders als viele Umfragen von Immobilienmaklern, die sich oft nur für ausgewählte Passantenfrequenzen interessieren, decken die Zählungen nicht nur Tagesverläufe ab und machen Vergleiche zwischen Samstagen und Wochentagen möglich – sie nehmen auch die konkrete Witterung des Tages mit auf und vergleichen mit Kundenerhebungen der großen Kaufhäuser. Denn die ermitteln im Drei-Jahre-Rhythmus aus Eigeninteresse die Veränderung in der eigenen Kundschaft. Und mancher Stadtforscher ging bislang davon aus, dass die Vorgänge in einem Kaufhaus nicht unbedingt viel mit dem Geschehen auf den Straßen der City zu tun haben.

Haben sie aber doch. Das Heft ist gespickt mit Grafiken, die zeigen, wie eng verquickt die Entwicklung der City mit dem Leben in den Kaufhäusern verquickt ist. Eigentlich zeigen sie sogar: beides ist eins. Denn wer die Leipziger Innenstadt besucht, hat mehr vor, als nur einen Einkauf zu tätigen. Die meisten Besucher haben ein Bündel von Tätigkeiten vor, wenn sie “in die Stadt fahren”. Fast immer verbinden sie den Weg mit ein, zwei anderen Tätigkeiten – bummeln ein bisschen herum, gehen in ein Café, haben einen Besuch im Kino, Theater oder Kabarett vor. Eine Karte auf Seite 13 des Hefte zeigt, wie multifunktional die Leipziger Innenstadt ist. Es sind die vielfältigen Angebote, die die City interessant machen. Und wenn die Besucher nach den Dingen befragt werden, die ihnen an der Innenstadt gefallen, dann geraten sie geradezu ins Schwärmen. Und das vielfältige Angebot an Einkaufsmöglichkeiten (das von den Befragten fast durchweg als positiv eingeschätzt wird), rangiert beim Lobpreis nur auf Rang vier – knapp vor dem Angebot an Cafés und Restaurants. Noch viel wichtiger ist den Befragten das Flair der City, die gute Erreichbarkeit und – allen vorneweg – das herrlich sanierte Stadtbild.

Besucher, die als Messegäste oder Touristen die City besuchen, schwärmen noch viel mehr von diesem kompakten Kleinod als die Leipziger selbst.
Was die Untersuchung aber auch gezeigt hat: Der City fehlen eigentlich die Besucher aus dem direkten Leipziger Umland. Mit 11 Prozent Anteil an den Gästen der City sind es nicht einmal halb so viele wie etwa in Nürnberg. Für Monheim ein klares Zeichen dafür, dass es den Leipzigern bislang nicht gelungen ist, für ihre attraktive City im Umland die nötige Aufmerksamkeit zu schaffen. Dafür müsse ordentliches und zielgerichtetes Marketing betrieben werden, sagt er. Denn auch die Umland-Besucher, die beim Bummel in Leipzig angetroffen werden, schwärmen von der Stadt. Das Problem seien wohl eher all jene, die sich von den Leipziger Entwicklungen der letzten zehn Jahre nicht angesprochen fühlten.

“Das Problem sind die Köpfe”, sagt Monheim. Und das beginne mit der Anreise. Während die Leipziger selbst am häufigsten mit dem ÖPNV, zu Fuß oder mit dem Rad in ihre City gelangen, überwiegt bei Besuchern aus dem Umland der Pkw. Und wohl auch die Frage, ob sie für ihr Mobil auch einen Parkplatz finden. Immerhin ist das Protzen mit hunderten “kostenloser Parkplätze” eines der Haupt-Werbe-Argumente der Einkaufstempel auf der betonierten Wiese. Als kleines Gegenargument schreiben Monheim und Heller: “Werktags finden 94 % und samstags 87 % sofort einen freien Stellplatz.” Und das rund um die Leipziger City. Probleme entstehen für Manche dadurch, dass sie die Parkhäuser noch immer meiden und am Straßenrand und auf Parkplätzen ihr Glück versuchen.

Wobei sich jetzt schon abzeichnet, dass auch für Umlandbewohner nicht der Pkw das Fahrzeug sein wird, mit dem sie in die Leipziger City strömen, sondern eher die S-Bahn, die (wahrscheinlich, eventuell, möglicherweise) ab 2013 direkt unter dem Markt hält. Das wird die Einkaufsbeziehungen mit dem Umland deutlich verändern. Muss es auch. Sonst rechnet sich das 960-Millionen-Euro-Bauwerk nicht.

Und es gibt noch einen anderen aktuellen Grund, der die Studie mit veranlasst hat: Die Eröffnung der Höfe am Brühl, die für Oktober 2012 geplant ist. Das bringt weitere 10.000 Quadratmeter Verkaufsfläche in die City. Und so mancher Kritiker befürchtete im Vorfeld, dass das zu viel sein könnte, dass es andere Anbieter verdrängen und andernorts Angebotsverluste auslösen würde.

Monheim ist sich sicher, dass das nicht passieren wird. Im Gegenteil: Noch mehr Vielfalt würde die neue Rolle von Innenstädten sogar stärken. Denn wenn die Befragungen schon ergeben, dass die Besucher der City nicht nur (durchschnittlich) 2,3 verschiedene Tätigkeiten bei einem Besuch ausüben, dann heißt das auch, dass die Attraktivität so einer City steigt, wenn die Angebotsvielfalt zunimmt. Das trifft auch auf die eine Tätigkeit Einkaufen zu, denn selbst die Leipziger besuchen, wenn sie denn schon einmal zum Bummel in der City sind, meist mehrere Geschäfte – meist vier, fünf, manchmal sechs. Die Nürnberger sind da noch eifriger, meint Monheim. Man hat nicht nur die Leipziger Verhältnisse untersucht, sondern sie mit ähnlichen Untersuchungen in Nürnberg und Bremen verglichen. Und Leipzig kommt dabei gut weg.

Selbst das, was man so landläufig Liberalisierung der Geschäftsöffnungszeiten nennt, zeichnet sich in den Befragungen ab. Klappte selbst 1999 am Samstagnachmittag ab 16 Uhr die Besucherfrequenz noch automatisch in sich zusammen, weil traditionell die Geschäfte schlossen, gibt es in den Befragungen von 2011 eine deutliche Besucherspitze am Samstagabend. Was selbst in Leipzig eine Rolle spielt, muss betont werden. Denn anders etwa als in Bremen, wo für 51 Prozent der Besucher der Einkauf der Hauptzweck des Innenstadtbesuchs ist, trifft das in Leipzig nur auf 31 Prozent der Besucher zu.

20 Prozent kommen zum Besuch von Kultur- und Gasthäusern, 15 Prozent zum Stadtbummel. 18 Prozent zur Erledigungen dienstlicher Belange. Die City profitiert – wie Planungsbürgermeister Martin zur Nedden es ausdrückt – von ihrer “Multifunktionalität”. Monheim spricht gar von “Ereignisdichte”. Da, wo an jeder Ecke was anderes los ist, da zieht es den modernen Menschen augenscheinlich verstärkt hin. Immerhin hat das die sogenannte Zentralitätsziffer für Leipzig in den letzten Jahren auf den Wert von 102 gehievt. Vor 2000 war er deutlich unter die 100 gerutscht. Maßstab, so Martin zur Nedden, seien da aber eher westdeutsche Großstädte wie Hannover, das eine Zentralitätsziffer von 140 hat.

Dass Leipzig da noch hinterher hinkt, hat eben mit den oben benannten Wiesen-Tempeln zu tun, die die Kaufkraft der Region abschöpfen. Gegensteuern könne Leipzig nur, so Monheim, wenn es seine attraktive Innenstadt im Umland besser vermarkten würde. Den Bedürfnissen des unterhaltungsuchenden modernen Menschen käme die Stadt mit ihren vielfältigen Angeboten auf engem Raum deutlich näher als alles, was auf der “grünen Wiese” entstehen könnte.

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