Wer auf den Lesebühnen dieses Landes unterwegs ist, braucht einen trockenen Humor. So eine feine Mischung aus Sarkasmus, Gleichmut und sonnigem Gemüt. Nicht wegen der Bühnenshow. Die funktioniert dann ganz von allein. Sondern wegen der Welt, über die man erzählt. Es ist - wenn man so die üblichen Spielarten deutscher Literatur betrachtet - eine Art Phantasiealand. Aber nur aus professoraler Perspektive. Aber seit wann lesen Professoren "Das Magazin"?

Früher werden sie es vielleicht mal abonniert haben, als Nacktbilder in der DDR-Presse eine Seltenheit waren. Ob sie die Texte drumherum gelesen haben, wer weiß. “Das Magazin” hat sich verändert, wie so oft in den vergangenen 90 Jahren. “Kultur Gesellschaft Leben” ist der arbeitsame Untertitel. Und die Sicht auf die Welt ist – man traut es sich gar nicht zu sagen – sehr weiblich. Was jetzt irreführend ist, denn diese Sparte wird ja bekanntlich von ganzen Stapeln bunter Promi-, Mode-, Beauty- und Lifestyle-Magazinen besetzt. Ein ganzes Alpenmassiv bunter Seiten voller Angebote für Frauen, die ihr Leben lang Püppchen bleiben wollen.

Der andere Pol ist die “Emma”, für all die Frauen, die ihr Leben lang kämpfen. Und dann “Das Magazin”. Hier schreiben auch Männer. Stefan Schwarz zum Beispiel, der Leipziger, der Bücher mit Titeln wie “Ich kann nicht, wenn die Katze zuschaut” oder “Ich höre dir zu, Schatz” veröffentlicht. Er hat hier seine Kolumne. Und Kirsten Fuchs hat hier auch ihre Kolumne. Und damit wären wir beim Weiblichen. Oder sollte man besser schreiben: In jenem UFO, in dem wir ganz gewöhnlichen Menschen alle leben, die wir weder in die Welt der Barbies noch die der Alices gehören, weil wir zu diesen 90 Prozent der lebendigen Menschen gehören, die dazwischen leben? Und zwar wirklich leben? Männlein wie Weiblein. Mit all unseren Hormonen, Verwirrungen, Partnerproblemlagen, Verschämtheiten und Unfertigkeiten.

Die wir uns so ungern eingestehen, weil uns der übliche Medien-Mainstream etwas anderes erzählt. Und uns auch andere Leute etwas anderes erzählen. Und wir uns benehmen sollen, einfügen, den Erwartungen genügen. Wenn man so anfängt mit Lesen  – und das geht ganz fix bei Kirsten Fuchs – ist man ruckzuck über die feine, schwarz-gelb gepinselte Warnlinie hinaus. Und in einer Welt, die einem verflixt vertraut vorkommt. Es gibt auch noch zwei, drei andere Lesebühnen-Autoren aus Berlin, bei denen es einem ganz ähnlich geht. Männlichen Geschlechts zumeist, was nicht ungewöhnlich ist. Männer haben mit den falschen Erwartungen der offiziösen Welt an ihr So-Sein genauso zu tun wie Frauen. Und gehen damit – zumindest auf Berlins Lesebühnen – noch flapsiger um. Es braucht eine gewisse humorvolle Distanz zum eigenen Unvollkommensein, um über derlei Sachen Schreiben zu können: bekloppte Hobbys, verstörende Alltage mit Babys, Hausmeistern, Nachbarn, Mitbewohnern und Lebensabschnittsgefährten, die wir ja auch leider selber sind.

Etliche der in diesem Band versammelten Geschichten sind schon im “Magazin” erschienen. Für die Ausgabe hat Kirsten Fuchs sie noch einmal überarbeitet und noch einen ganzen Schwung Geschichten dazu getan. Schön abgemischt, damit man nicht gleich das Gefühl hat, jetzt als Mitleser direkt in den Alltag der jungen Familie Fuchs (mit erstaunlich oft wechselnden Männernamen) integriert zu sein. Manchmal lässt die Autorin, die seit Kurzem auch eine eigene Lesebühne mit dem verwirrenden Titel “Fuchs & Söhne” betreibt, auch einfach ihre Phantasie ins Kraut schießen. Was natürlich übertrieben ist: Sie wendet ihre Phantasie nur konsequent an aufs Menschliche, das uns ausmacht und von dem wir nicht loskommen, so gern wir auch versuchen, uns zu Emanzipieren und zu Genderisieren und überhaupt ein vorurteilsfreier moderner Menschomat zu werden.

Faszinierend elegant durchdekliniert hat Kirsten Fuchs das zum Beispiel in “Mannschine und Frautomat”. Wir sind natürlich nicht so. Natürlich sind wir so. Aber Kirsten Fuchs gehört zu jenen liebevollen Beobachtern ihrer Um- und Mitwelt, die beim Zuschauen sehen, wie wir tricksen und uns verstellen. Oder gezwungenermaßen in Rollen stecken, die nicht unsere sind. Wie die Frau an der Supermarktkasse in “Interessant einkaufen”. Wenn Kirsten Fuchs tatsächlich so einkauft, wird sie in ihrem Kiez längst eine Legende sein. Und ein Alptraum für die Herren mit der Stoppuhr, auf die unsereiner ja auch nur wartet, wenn er an der Kasse geneigt ist, mit der Kassiererin zwei Wörtchen mehr zu wechseln als “Nee” und “Hab ich nicht”. Treuewürste zum Beispiel oder Treueschlüpfer, all das Zeug, das einem heutzutage aufgeschwatzt werden soll, wenn man nur mal eine Schreibmaschine oder ein Klavier kaufen will.

Oder wie wär’s mit der “Maßnahme”, diesem sinnlosen Hokuspokus, den Jobcenter mit ihren Klienten (oder heißt das Patienten?) veranstalten, die partout nicht in die Vermittlungsraster dieser sanktionsreifen Behörde passen? Oder den “Nähmamas”, die das Internet mit Millionen Seiten knuddelsüßer Näh- und Häkelarbeiten füllen – was übrigens nicht das erwähnte “bekloppte Hobby” ist, sondern eher eine Falle für werdende Mütter. Das muss so eingebaut sein in die Gene, diese Lust, den knuddeligen Nachwuchs allerputzigst auszustatten mit Selbergenähtem. Oder wie wär’s mit der Liebe, der richtigen, die einen so närrisch macht, dass man sich verliebt, verlobt und heiratet, ohne dass einen der Name oder gar  Beruf und Familie des / der Geliebten überhaupt interessieren? – Kirsten Fuchs hat den wohl ehrlichsten Liebesbrief verfasst, der zu diesem Thema möglich ist. So verwirrend, dass man sich fragt: Ist es andersherum nicht genauso? Verliebt man sich einfach in einen Menschen, so, wie er / sie ist, und der ganze Rest ist einem sowas von schnurzegal?

Die Konsequenzen kommen ja eh von allein – von Kirsten Fuchs mal ganz trocken in “Wehenkraftwerk” oder “Stilldemenz für Anfänger” abgehandelt. Oder dann – die Ergebnisse wachsen ja und beginnen irgendwann, spätestens mit “Harry Potter” einen eigenen Willen zu entwickeln – diese mutterschöne Konfrontation mit dem Nachwuchs beim ersten großen Abenteuer.

Das Gefühl, dass es mindestens zwei völlig verschiedene Realitäten in der Darstellung von Frauen und Männern in den Medien dieses Landes gibt, verstärkt sich mit jeder Geschichte. Es ist, als tauche man in einen Traum, der sich mit der eigenen erlebten Wirklichkeit mischt (Träume kommen in Kirstens Geschichten auch vor), und immer wieder hat man diesen verwirrenden Moment, den man oft beim Aufwachen hat: Wo bin ich? Was ist jetzt meine wirkliche Realität? Oder bin ich jetzt auch im Fuchs-Kosmos gelandet. Wer’s nicht glaubt, kann ja mit “Klischees auf dem Prüfstand” anfangen. Scheinbar eine von diesen vielen Geschichten über das scheinbar ewige Thema “Frauen und Männer können sich gar nicht verstehen”. Können sie ja auch nicht. Wer darüber heute noch einen Streit anfängt, hat’s wirklich nicht begriffen. Oder war wirklich nie verliebt. Liebe und Partnerschaft leben davon. Und leben tatsächlich nur dadurch. Und sie leben nur, wenn sich beide drauf einlassen auf dieses Einssein mit dem völlig Unbegreiflichen.

Um dann neue Unbegreiflichkeiten zu produzieren. Beim “Sofasex” zum Beispiel. Und schon Tage später wieder das Gefühl zu haben: Da fehlt doch was. Das kann doch nicht alles sein. Da muss doch noch was …  schön zum Nachdenklichwerden erzählt und geschildert in “Sehnsucht”.

Dahinter immer diese vertraute, sehr weibliche Philosophie, die sich mit Paradigmen, Systemen und Theoremen (alles Männerkram) nie beschäftigt. Warum auch? Wer läse solchen Quatsch? – Dafür lieben wir sie ja, diese seltsamen Geschöpfe aus einer anderen Welt. Selbst in Schlumperhose, nougat-naschend und dann  – plitz-plauz – mitten aus heiterer Stille: “Für inneres Wachstum ist immer Platz. Ein  Herz ist ein dehnbares Samtsäckchen.” Ja, warum fiel einem das nicht selber ein? Vielleicht, weil man’s noch nicht so geübt hat wie Kirsten Fuchs. Man nimmt sich ja immer so schrecklich ernst.

Muss man diesmal nicht. Das Buch kann man kaufen, eine CD steckt, wie bei Voland & Quist üblich, wieder mit drin. Da darf man Kirsten Fuchs auch selig und zufrieden (in Schlumperhose daheim) zuhören beim Vorlesen ihrer Geschichten. Bei vieren hat sie sich noch männliche Unterstützung ans Mikro geholt, damit auch klar wird, dass auch Männer in ihrem Kosmos eine Rolle spielen. Eine hörbare. Ein halbes Dutzend Geschichten sind übrigens nur auf der CD. Der therapeutische Effekt am Ende: Man fühlt sich wieder eins-einiger mit sich selbst. Und mit den anderen. Zumindest für den Moment, bis man mal wieder Zeit hat, sich in all diese verwirrend irdischen Begebenheiten aus dem Fuchs-Kosmos zu vertiefen.

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