65 Millionen hatten 2009 über die Medien Teil am großen Leipziger Lichtfest. 2010, als das Lichtfest wieder ein bisschen kleiner gefeiert wurde (mit Live-Schaltung vom Augustusplatz nach Berlin), waren es auch noch 42 Millionen. Zahlen, auf die LTM-Geschäftsführer Volker Bremer richtig stolz ist. Das Leipziger Lichtfest ist eine der wirksamsten Werbeveranstaltungen für die Stadt, in der 1989 das Volk auf die Straße ging.

Und so war’s auch gemeint, als Stadt und LTM 2007 begannen, die Erinnerungskultur um den 9. Oktober neu zu sortieren. Erinnerungskultur macht Arbeit. Und im Gedächtnis der Menschen bleibt nur, was immer wieder mit eindrucksvollen Bilder präsent ist. Und nach 17 Jahren deutscher Einheitsberichterstattung deutete sich zumindest eines an: Die frühen Demonstrationen des Herbstes 1989, mit denen die SED-Regierung tatsächlich zum Aufgeben ihrer Macht gezwungen wurde, gerieten immer mehr ins Abseits. Zur zentralen Ikone des Herbstes 1989 wurden die Schampus-Feiern auf der geöffneten Mauer vom 9. November.

Der Prozess der deutschen Wiedervereinigung wurde auf Berlin, Bananen und Trabi-Kolonnen reduziert. Aus selbstbewussten Demonstranten wurde auf einmal eine rein konsumorientierte Menge, die in die Einkaufstempel des Westens strömte.

Was tun, fragte sich insbesondere die Initiative “Tag der Friedlichen Revolution – Leipzig 9. Oktober 1989”, denn hier machten sich die Akteure so langsam auch Sorgen über die damit einhergehende Umdeutung der Geschichte. Bei Burkhard Jung, der 2006 sein Amt als Oberbürgermeister antrat, trafen die Sorgen auf offene Ohren. Auch ihm drohte Leipzig als Stadt der Friedlichen Revolution aus dem Gedächtnis der Gesellschaft zu verschwinden. Daran änderten auch alle Veranstaltungen jedes Jahr rund um den 9. Oktober nichts. Das interessierte kein überregionales Medium.

Was fehlte, waren neue Bilder, die nicht nur dem alten Zauber der mutigen Demonstrationen neuen Glanz verliehen. Es fehlte auch die wichtige Geste, die auch eine trotzige ist: Ohne den 9. Oktober in Leipzig hätte es den Schampus am 9. November nicht gegeben, ohne den Mut der 70.000 meist Namenlosen nicht den stolzen Einheitskanzler.Und so probierte man 2007 erstmals aus, wie das wäre, diesen 9. Oktober tatsächlich wieder zu feiern – mit Musik und Lichtern auf dem Nikolaikirchhof, gleich neben dem wichtigsten Freiheitsdenkmal der Stadt, der Nikolaikirche. Der Versuch gelang, wurde 2008 wiederholt und mündete 2009 in der zwar nicht gerade billigen, aber eindrucksvollen Lichtinszenierung rund um den Innenstadtring. Noch so ein gebautes Denkmal für den Herbst 1989.

So ein Fest rund um den Ring wird Leipzig 2014 wieder erleben. “Das ist der Termin, auf den wir zusteuern”, sagte Burkhard Jung am Mittwoch, 6. Juli. Da war Pressetermin im Polnischen Institut am Markt. Der Anlass: ein polnischer. Denn die Lichtfeste 2011, 2012 und 2013 wird Leipzig jenen Ländern widmen, ohne deren friedliche Revolutionen der deutsche Herbst ’89 nicht denkbar ist.

Den Auftakt macht – mit logischer Konsequenz – Polen. Und im Besonderen die Heimatstadt der ersten freien Gewerkschaft in Polen, der Solidarno??. Im Herbst 2010 rief die Leipzig Tourismus und Marketing GmbH (LTM), bei der die Organisation des Lichtfestes liegt, in Gdansk an – und stieß auf ein positives Echo. Nicht nur in der Stadtverwaltung, auch bei der Woiwodschaft Pommern, deren Hauptstadt Gdansk (alias Danzig) ist. Und erst recht im 2007 gegründeten Europäischen Solidarno??-Zentrum (ECS).

Und so feiert Leipzig das Lichtfest 2011 erstmals gemeinsam mit Gdansk. Die Leipziger feiern wieder auf dem Augustusplatz, auf den ab 20 Uhr ein besonderes Konzert aus der Polnischen Ostsee Philharmonie Danzig übertragen wird: Die Philharmonie spielt an diesem Abend für 1.700 Gäste in Danzig Werke von Penderecki, Górecki, Bach und Brahms. Und die polnischen Musiker werden von einem der frühen Mitgestalter des Leipziger Lichtfestes, Jürgen Wolf, dirigiert. Vor und während des Konzertes wird es auch Grußworte – live übertragen – von Danzig nach Leipzig und von Leipzig nach Danzig geben. So sprechen für Danzig die beiden polnischen Schirmherren Mieczyslaw Struk (Marschall der Woiwodschaft) und Pawel Adamowicz (Stadtpräsident von Danzig). Für Leipzig spricht OBM Burkhard Jung.Zum live übertragenen Konzert bekommen die Besucher auf dem Augustusplatz eine Video-Performance zu sehen, in der nicht nur ein paar besondere Aufnahmen aus dem Herbst 1989 zu sehen sein werden (unter anderem auch Bilder aus dem Archiv der Stasi), sondern auch Bilder aus den bewegenden Jahren 1980/1981, als die Solidarno?? im Grunde all jene Prozesse in Gang setzte, die zehn Jahre später die Welt gründlich verändert hatten.

Und weil das 1981 in der DDR noch unvorstellbar war, gibt es auch Archivbilder aus dem Leipzig dieser Jahre zu sehen. “Die beamen wir einfach auf den Mars”, sagt Jürgen Meier, der künstlerische Leiter des Festes. Was bedeutet: Die Video-Performance, die auf der Fassade des Opernhauses zu sehen sein wird, wird recht komplex. Die Zeiten und Bilder werden sich übereinander schieben. Auch um zu zeigen, wie ähnlich sich die wichtigen Bilder der diversen friedlichen Revolutionen Osteuropas waren. Ein großer Teil des Materials wird vom Europäischen Solidarno??-Zentrum zur Verfügung gestellt. “In diesem Dialog haben wir einiges gelernt, was wir vorher noch nicht wussten”, sagt Tobias Hollitzer, Sprecher der Initiative “Tag der Friedlichen Revolution – Leipzig 9. Oktober 1989”. “Auch, wie nah wir uns in der Rückschau eigentlich waren.”

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Die Kontakte geknüpft hat im Wesentlichen Agnieszka Surwi??o-Hahn, stellvertretende Direktorin des Polnischen Instituts Leipzig, um das die Leipziger ja mit Herzblut gekämpft haben, als es von der Schließung bedroht war. Auch wenn kaum einer der Akteure Polnisch kann und schon gar nicht so gut wie die beiden Danziger Abgesandten am Mittwoch, Basil Kerski vom ECS und Maciej Buczkowski, stellvertretender Direktor in der Kanzlei des Präsidenten der Stadt Danzig, Deutsch können: Polen war den Leipzigern immer schon nah. Und mit Danzig begegnet Leipzig einer mittlerweile ebenso wiedererblühten europäischen Kulturstadt. Dass es auch noch eine wirtschaftliche Nähe gibt, ist wohl auch kein Zufall: die Danziger GPEC, die die Lichtfestkooperation unterstützt, ist eine Tochter der Leipziger Stadtwerke.

Weitere Programmbausteine dieses 9. Oktobers 2011 sind ebenfalls wieder das Friedensgebet in der Nikolaikirche um 17 Uhr, und die “Rede zur Demokratie” um 18 Uhr an gleicher Stelle, zu der diesmal ein polnischer Gast eingeladen wird.

Um 15 Uhr wird auf dem Nikolaikirchhof eine Open-Air-Ausstellung zu den friedlichen Revolutionen in Polen, Ungarn, Tschechien, Rumänien und der DDR eröffnet.

Und diesmal gehen ab 21 Uhr nicht die Lichter aus, sondern diverse Museen – wie etwa die Runde Ecke oder das Zeitgeschichtliche Forum – öffnen ihre Türen, damit der Tag mit neuen Anregungen enden kann.

www.herbst89.de

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