Von Tilo Finger: Es ist ein überaus löbliches Ansinnen, das die Stadt Leipzig mit ihrer Idee verfolgt. Ohne jeden Zweifel hat jeder Mensch das Recht, eine Ausbildung zu genießen und einer bezahlten Beschäftigung nachzugehen, die einen angemessenen Lebensstandard ermöglicht. Allerdings zielt die Plakatkampagne der Stadt Leipzig mehrfach in die falsche Richtung.

Es wird zunächst suggeriert, dass sich Unternehmen durch ein Plakat erweichen ließen, lernbehinderte Schülerinnen und Schüler mit einem Ausbildungsvertrag auszustatten.

Wer würde denn in eine Ausbildung investieren, wenn von Anfang an klar ist, dass sich diese Investition nicht lohnt, nicht lohnen kann? Das ist betriebswirtschaftlicher Unsinn, den sich kein Unternehmen leisten wird. Die Kampagne fordert aber genau zu diesem Unsinn auf und zeigt ein mal mehr, dass das Wissen über die Bedingungen der freien Wirtschaft nicht eben eine Heimat hat im Leipziger Rathaus.

Es wird suggeriert, es gäbe “Problem-Azubis”. Auch das ist falsch. Mal davon abgesehen, dass es sozialethisch unverantwortlich ist, Menschen als Problem zu bezeichnen, sind nicht junge Menschen, die am Ende ihrer Schullaufbahn weder rechnen noch lesen können das Problem. Das Problem ist das Schulsystem, das dies zulässt. Ein System, das zulässt, dass junge Menschen völlig chancenlos ins Leben entlassen werden. Ein System, das nicht in der Lage ist, jede Schülerin und jeden Schüler nach ihren und seinen Fähigkeiten zu fordern und jede und jeden je nach Defiziten zu fördern. Ein System, das nicht zum Lernen befähigt.

Realitätsfremde Lehrpläne, permanenter Lehrermangel und durch Perspektivlosigkeit bedingte Lernmotivation sind nur einige wenige Ursachen für eine immer größer werdende Zahl von Schulabgängerinnen und -abgängern mit erheblichen Defiziten.

Wer die Ursachen dafür nicht im Schul- und Ausbildungssystem sucht, der muss im Umkehrschluss zu der Erkenntnis kommen, die Folgegenerationen würden von Jahr zu Jahr dümmer. Diese Annahme aber ist weltfremd. Wie das Schulsystem, wie die Kampagne.

Wenn es einer Kampagne bedarf, dann einer, die sich für einen Umbau des Schulsystems stark macht. Adressat ist dann nicht die freie Wirtschaft, sondern das Sächsische Kultusministerium. Aber hierfür fehlt es wohl an Mut und Energie.

Offensichtlich schiebt man den Schwarzen Peter lieber den Ausbildungsbetrieben zu und delegiert an sie die Aufgabe, in wenigen Monaten das zu reparieren, was in 10 Jahren Schulzeit nachhaltig zerstört wurde. Diese Unverschämtheit heißt dann “Chancen Makler”. Unglaublich!

Beispiel? In einer kampagnenbegleitenden Broschüre “Fördermöglichkeiten” heißt es in der Rubrik “Sozialpädagogische Begleitung (SpB)”: “Ziel sozialpädagogischer Begleitung ist es, ein positives Lern- und Arbeitsverhalten der Jugendlichen zu entwickeln sowie eine nachhaltige und dauerhafte berufliche Integration zu erreichen. Die sozialpädagogischen Angebote werden bedarfsorientiert zwischen dem Unternehmen und dem zuständigen Bildungsträger abgestimmt und umfassen Alltagshilfen, Konfliktmanagement, Einzelfallhilfe, Elternarbeit, Verhaltenstraining und Sprechstundenangebote. Zielgruppe sind lernbeeinträchtigte und/oder sozial benachteiligte Jugendliche in einer Berufsausbildungsvorbereitung.”

Eine vernichtendere Bankrotterklärung kann doch ein Schulsystem gar nicht abgeben.

Zum Artikel:

Problem-Azubis? – Plakataktion bringt Albert Einstein an Leipziger Litfaß-Säulen
Der Leipziger Arbeitsmarkt hat eine Menge …

Die Schulabgänger sind dumm, die Ausbildungsbetriebe mäkelig und wir sind die einzigen, die etwas unternehmen. Wir kleben Plakate. Eigentlich ein geschickter Schachzug, wenn er nicht so leicht zu durchschauen wäre. Alles in allem also eine Kampagne, die in die falsche Richtung geht, die eigentlichen Ursachen vertuscht und jede Menge Geld kostet.

Und noch etwas: Albert Einstein war kein Schulabbrecher. Dieser Unsinn gehört ins Reich der Mythen und Legenden. Einstein bestand sein Abitur trotz für ihn widriger Umstände mit Bestnoten. Ich bin mir sehr sicher, dass ein solcher Abiturient, der Durchsetzungswillen, Sressresistenz und nahezu verbissenen Lerneifer zeigte und ein wirklich hervorragendes Abiturzeugnis vorweisen kann, von jedem Leipziger Unternehmen mit Kusshand eingestellt würde.

Auch in diesem Punkt haben die Kampagnenmacher also kläglich versagt.

Wäre die Kampagne Ergebnis eines Projektes in der freien Wirtschaft, das Projektteam dürfte stündlich mit seiner Kündigung rechnen.

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