Die sogenannten "Arbeitsmarktreformen" nach den Vorstellungen der Hartz-Kommission sind tot. Das waren sie im Grunde schon 2002, als Peter Hartz die Vorschläge der Kommission dem amtierenden Bundeskanzler Gerhard Schröder auf einer CD überreichte. Die meisten Vorschläge floppten schon in den nächsten Jahren. Das einzige, wovon heute noch geredet wird, ist Vorschlag Nr. 4, das, was als "Hartz IV" auch acht Jahre nach Einführung nicht funktioniert.

Doch den Glauben, das Reformpaket hätte auch nur ein einziges der versprochenen Ziele erreicht, tragen die aktuellen Regierungsparteien weiter vor sich her. Trotz aller Kritik – jüngst erst wieder von der OECD- , denn mit “Hartz IV” ist die Niedriglohnpolitik in Deutschland erst so richtig in Gang gekommen. Mit dem “Hartz IV”-Paket hat Deutschland vor allem eines erreicht: eine komplette Teilung des Arbeitsmarktes – in fest angestellte Gutverdiener einerseits und in ein Heer von prekär Beschäftigten, die an Lohnzuwächsen kaum oder gar nicht mehr Teil haben, die aber Gewehr bei Fuß stehen, auch für mieseste Löhne zu arbeiten, denn der Schritt, in die Armutsverwaltung der Jobcenter zu geraten, ist für sie nur ein ganz kleiner.

Das untergräbt mittlerweile auch die Macht der Gewerkschaften, die sich oft vergeblich bemühen, überhaupt noch Zugang zu Unternehmen zu bekommen, die ihren Profit auf prekären Beschäftigungsmodellen aufgebaut haben, die mit “Hartz IV” erst so richtig in Blüte kamen.

Oft mit dem Argument, sie würden dadurch “neue” Arbeitsplätze schaffen und mehr Menschen die Chance bieten, den Ausstieg aus der Arbeitslosigkeit zu schaffen. Doch nichts ist falscher als dieses Argument.

Die Wahrheit an “Hartz IV” ist: Es hat die Langzeitarbeitslosigkeit noch stärker verfestigt als die alte Arbeitslosenhilfe. Nur durch allerlei Abrechnungs- und Schönmalmodelle erscheint es so, als wäre die Vermittlung Langzeitarbeitsloser mit “Hartz IV” verbessert worden.

Doch das ist nicht der Fall, wie Paul M. Schröder vom Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe e.V. (BIAJ) anhand der Zahlen der Bundesarbeitsagentur aufzeigen kann: Die Hälfte aller Leistungsberechtigten ist länger als vier Jahre auf SGB II (sprich: “Hartz IV”) angewiesen. Im Osten Deutschlands sind es noch mehr – die Chance, dass sie aus dieser Schleife herauskommen, ist denkbar gering. Und über 1 Million Betroffene sind trotz eines eigenen Einkommens seit Jahren trotzdem auf die Beihilfe der Jobcenter angewiesen.

Die Botschaft ist klar: Mit “Hartz IV” wurde erst ein regelrechter Billigarbeitsmarkt geschaffen in Deutschland. Was ein Hauptgrund dafür ist, dass die deutsche Lohnentwicklung der europäischen Lohnentwicklung hinterher hinkt. Denn die Kampferfolge der Gewerkschaften kommen da unten bei den Erwerbstätigen auf “Hartz IV”-Niveau nicht an.

“Von den insgesamt 4,350 Millionen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten im Dezember 2013 waren 49,2 Prozent (2,141 Millionen) vier Jahre und länger ohne eine Unterbrechung von mehr als 31 Tagen (31-Tage-Lückenregel) auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II (Hartz IV) angewiesen, in Westdeutschland 46,2 Prozent und in Ostdeutschland 55,7 Prozent”, stellt Paul M. Schröder fest. “Auf Länderebene reicht diese Quote von 39,6 Prozent in Bayern bis 58,4 Prozent in Sachsen-Anhalt.”
Von den 2,107 Millionen männlichen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten im Dezember 2013 waren 46,6 Prozent (981.000), von den 2,243 Millionen weiblichen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten 51,7 Prozent (1,159 Millionen) vier Jahre und länger auf Hartz IV angewiesen.

Und: Von den 3,049 Millionen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten ohne Brutto-Erwerbseinkommen (im Berichtsmonat Dezember 2013) waren 49,1 Prozent (1,498 Millionen) und von den 1,301 Millionen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten mit Brutto-Erwerbseinkommen (im Berichtsmonat) waren 49,4 Prozent (642.000) vier Jahre und länger auf Hartz IV angewiesen.

Und nicht nur der Osten ist stärker betroffen, gerade die älteren Arbeitsuchenden, denen dieses “Instrument” eigentlich helfen sollte, sind es: Von den 1,218 Millionen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten im Alter von 50 Jahren und älter (im Berichtsmonat Dezember 2013) waren 63,5 Prozent (774.000) vier Jahre und länger auf Hartz IV angewiesen. In den einzelnen Bundesländern reicht diese Quote von 54,7 Prozent in Bayern bis 71,8 Prozent in Sachsen-Anhalt.

Das Bild, das sich so bundesweit darbietet, zeigt sich natürlich auch in Sachsen: Von den 295.552 als erwerbsfähig Gezählten waren im Dezember 2013 satte 166.959 länger als vier Jahre “auf Hartz IV”, das waren 56,5 Prozent. Ein Jahr zuvor wurden in Sachsen noch 306.927 erwerbsfähige Leistungsbezieher gezählt, davon 171.301 länger als vier Jahre in “Hartz IV” (55,8 %).

Von den 166.959 Langzeit-Beziehern im Jahr 2013 hatten immerhin 57.216 ein Erwerbseinkommen, das waren 34,3 Prozent.

Noch deutlicher werden die Zahlen, wenn man die erwerbslosen Leistungsberechtigten über 50 Jahre herauszieht: 100.452 waren das im Dezember 2013, also 34 Prozent der Betroffenen. Aber von denen waren 71.398 länger als vier Jahre auf “Hartz IV” angewiesen. Innerhalb dieser Altersgruppe lag die “Langzeitquote” also bei 71 Prozent.

Dass diese Leute nicht noch im höheren Alter tatsächlich in ordentliche Jobs kamen, zeigt die recht stabile Zahl von rund 100.000 erwerbslosen Leistungsberechtigten über 50 Jahre in den Jahren 2012 und 2013, während die Gesamtzahl der Leistungsberechtigten sank: von 306.927 auf 295.552. Das heißt: Die neu geschaffenen Arbeitsplätze kamen vor allem den Jüngeren zugute.

Rein rechnerisch hätte die Gruppe der älteren Leistungsbezieher um über 6.000 abschmelzen müssen, denn mindestens so viele sind in diesem Jahr in Sachsen allein in den Ruhestand gewechselt.

Alles Daten, die zeigen, dass sich an der klassischen Philosophie des deutschen Arbeitsmarktes durch “Hartz IV” gar nichts geändert hat: Ältere und Langzeitarbeitslose haben praktisch keine Chance auf eine ordentlich bezahlte Erwerbstätigkeit. Dazu kam nur die massive Ausweitung des prekären Arbeitsmarktes, der besonders in Ostdeutschland viele Arbeitnehmer zu Aufstockern und “Leistungsberechtigten” gemacht hat.

Die alten Versprechungen, die “Reform des Arbeitsmarktes” würde die Integration der Arbeitsuchenden verbessern, entpuppen sich als Märchen. Sie waren nur das Trojanische Pferd, um prekäre Beschäftigungsmodelle in Deutschland salonfähig zu machen und gleichzeitig den Druck auf die Arbeitssuchenden zu erhöhen, “jede zumutbare Arbeit” auch annehmen zu müssen. Sie wurden also gleich von zwei Seiten mit der Zange angefasst. Und wer sich weigert, wird sanktioniert – unter Bruch der Verfassung, wie es längst per Gericht festgestellt ist.

Was nicht funktioniert, sind all die falschen Versprechungen auf bessere Vermittlung und Integration. Einmal ganz davon abgesehen, dass auch das Wort “Integrationen” von den Jobcentern missbraucht wird als Alibi einer Tätigkeit, die zu 90 Prozent nur noch aus Selbstverwaltung besteht.

www.biaj.de

Das Zahlenmaterial der BIAJ zum Thema:
http://biaj.de/images/stories/2014-05-14_sgb2-dauer-4jahre-plus-2013.pdf

“Die Zeit” zum OECD-Bericht: “Aufschwung erreicht die Armen nicht”
www.zeit.de/wirtschaft/2014-05/oecd-wirtschaftsausblick-armutsrisiko-aufschwung-gehaltsunterschied

“Die Zeit” zum Machtschwund der Gewerkschaften: “Glückauf? Glückab!”
www.zeit.de/2014/21/gewerkschaften-aufschwung-niedergang

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