Der Mann will Lust machen auf den Wandel. In seiner Habilitationsschrift legt Felix Ekardt ein "Konzept für eine nachhaltigkeitsorientierte, moderne liberal-demokratische Gerechtigkeitstheorie jenseits des reinen Markt-Mantras" dar. An diesem Wochenende bewirbt er sich um die Oberbürgermeisterkandidatur der Leipziger Grünen für die Wahl 2013.

Herr Ekardt, Leipzigs Grüne verstehen sich aktuell als einzige “ernsthafte und konstruktive Oppositionspartei”. Sie hingegen streben mit dem Chefsessel im Rathaus Gestaltungsmacht an. Wie geht das zusammen?

“Konstruktiv” heißt doch gerade, dass man auch gestalten will. Die Grünen und das Erbe der Bürgerbewegung von 1989 stehen für mich für das Aufbringen neuer Ideen. Oft lehnt die Mehrheit sie erst ab, später werden sie dann Mainstream. Der Atomausstieg, die erneuerbaren Energien und die massiv gestiegene Offenheit für unterschiedliche Lebensmodelle sind hierfür Beispiele aus den letzten 20 Jahren.

Ich selbst stehe für ein innovativ, manchmal auch unbequem weitergedachtes grünes Denken. Ich bin aber auch kirchlich verwurzelt, habe intensiven Kontakt zu vielen prominenten Sozialdemokraten und habe mit meiner Habilschrift ein Konzept für eine nachhaltigkeitsorientierte, moderne liberal-demokratische Gerechtigkeitstheorie jenseits des reinen Markt-Mantras vorgelegt.

Bei der jüngsten Oberbürgermeisterwahl in der Grünen-Hochburg Frankfurt am Main kam die grüne Kandidatin weit hinter den Bewerbern von CDU und SPD ein. Und das trotz des grünen Mobilisierungsthemas Nachtflug am dortigen Mega-Flughafen. Warum sollte es in Leipzig anders laufen?

Wie gesagt: Es geht bei der Benennung der anstehenden Probleme und der Entwicklung von Visionen und Lösungskonzepten nicht immer nur darum, ob man hier und heute eine Mehrheit für sie hat.

Sie versprechen eine Vision von Leipzig, die Sie beim Amtsinhaber vermissen. Wie würden Sie Ihre Vision kurz umreißen?

Ziel von Politik muss ein gutes Leben für alle Menschen sein. Fatal ist es dagegen, wenn man menschliches Glück auf Wirtschaftswachstum, Arbeitsplätze und Großprojekte reduziert.

Seit langem weiß man, dass weniger die Großansiedlungen als vielmehr ein breiter Mittelstand die meisten Arbeitsplätze schafft. Ebenso weiß man seit langem, dass einige Formen von Wirtschaftswachstum menschliches Glück nicht unbedingt vermehren, wenig befriedigende Formen des Arbeitens hervorbringen, die Zersiedlung des Stadtgebiets weiter vorantreiben und ökologisch auf Kosten unserer Kinder und Enkel sowie der Menschen in anderen Ländern gehen.

Außerdem ist familiäre, soziale und gesellschaftspolitische Arbeit genauso wichtig wie klassische Lohnarbeit. Von dieser Erkenntnis muss sich auch die praktische Politik leiten lassen.Gleichzeitig plädieren Sie für “unmissverständliche Ehrlichkeit”. Auf welchen Feldern muss denn aus Ihrer Sicht die Schminke runter und Klartext her?

Die Politik hat viel Vertrauen verspielt, weil sie nicht ungeschminkt die Wahrheit sagt. Der Klimawandel, die Notwendigkeit einer ganz neuen Energieversorgung, der demographische Wandel, die Finanzknappheit und die sich grundlegend verändernde Lage in der Wirtschaft und am Arbeitsmarkt schließen ein “Weiter so” aus.

Der Klimawandel und das Schwinden lebenswichtiger Ressourcen sind die vielleicht größte Herausforderung des 21. Jahrhunderts. Wer stabile Energiepreise, neue innovative Arbeitsplätze, eine dauerhaft friedliche und gerechte Welt und eine dauerhaft sichere Nahrungs- und Wasserversorgung will, muss hier entschlossen vorangehen.

Wir brauchen Ziele wie mittelfristig 100 Prozent erneuerbare Energien. Bisher produziert die Stadt dazu nur vage und unambitionierte Vorstellungen. Unter diesen Bedingungen den sozialen Zusammenhalt zu bewahren und die Stadt als Motor der Wissensgesellschaft und einer weltoffenen Kultur zu nutzen, wird ebenfalls eine zentrale Herausforderung.

Nachgefragt: Wie wollen Sie Akzeptanz für harte Verteilungsentscheidungen in Zeiten kommunalen Mangels schaffen?

Die öffentliche Verschuldung, die Schuldenbremse, der auslaufende Soli sowie die Finanz- und Eurokrise verändern den Finanzrahmen von Leipzig grundlegend. Darüber und über die unvermeidlichen schmerzhaften Einschnitte, aber auch die daraus erwachsenen Chancen muss in großer Offenheit und Deutlichkeit gesprochen und sodann entschlossen gehandelt werden.

Ein kurzfristiges Stopfen von Haushaltslöchern durch undurchdachte Privatisierungen, die für Stadt und Bürger auf Dauer ein Verlustgeschäft sind, reicht hier nicht. Auch insoweit fehlen in Leipzig bisher Visionen und Konzepte.Wir alle müssen dabei begreifen: Ein Wandel ist unvermeidlich. Ein Wandel ist, weil er auch viele Chancen birgt, zu unserem eigenen Nutzen. Und wir alle tragen gemeinsam Verantwortung für unsere Gesellschaft – Freiheit und Wohlstand für uns sind wichtig, aber für andere Menschen und für künftige Generationen auch. Es macht außerdem richtig Spaß, sich gesellschaftlich einzubringen und nicht immer nur an sich selbst zu denken, wie es einem die Werbung heute so gern suggeriert.

Welche Akzente wollen Sie bei der Auflösung des Sanierungsstaus in der kommunalen Infrastruktur setzen?

Energieversorgung, Mobilität, Ernährung und diverse Konsumgüter müssen weg von Öl, Kohle und Gas und hin zu 100 Prozent erneuerbaren Energien. Häuser, auch öffentliche Gebäude, müssen von Energiefressern zu Energieproduzenten werden. Schulen und Straßenbahnen sind dabei wichtiger als immer neue Straßen und prestigeträchtige, aber für die Bürger oft wenig nützliche Großprojekte.

Der Berufspolitik dürfe aus Ihrer Sicht nicht allein die Zukunft überlassen werden. Wie sollen sich denn die Bürger unter einem Oberbürgermeister Ekardt einbringen können?

Ich bin seit langem intensiv in der Entwicklung innovativer und progressiver politischer Konzepte tätig und bringe sie jenseits aller Parteigrenzen ein. Ich wünsche mir, dass verstärkt kompetente Mitglieder der Gesellschaft sich für begrenzte Zeit in die Politik einbringen.

Die totale Dominanz von – persönlich von ihrer Tätigkeit abhängigen – Berufspolitikern und oft problematischen Seilschaften aus Politik und Wirtschaft muss überwunden werden. Wir brauchen keine Politiker, deren Programm nur sie selbst sind.

Besser für das Vertrauen der Bürger wäre es, wenn Politiker zumindest versuchen, Vorbilder zu sein. Wenn wir in der Politik über die Klima- und Energiewende reden, passt das schlecht zu großen Dienstwagen, unnötigen Fern(flug)reisen und großen Fleischbüffets bei kommunalen Feierlichkeiten.

Ich erwarte aber auch von den Bürgern etwas. Wir brauchen aus der Bürgergesellschaft selbst heraus mehr Ideen, Konzepte und die Bereitschaft, sich einzubringen. Konzepte für Klimaschutz, zukunftsfähige Finanzen oder Mobilität können nur unter frühzeitiger und breiter Bürgerbeteiligung entstehen. Bisher mauert da die Stadtverwaltung. Außerdem sollen die Leipzigerinnen und Leipziger ihren Bürgermeister als normalen Menschen im Alltag erleben können – nicht im großen Dienstwagen und bei Jubelfeiern, sondern in der Straßenbahn, beim Bäcker und im Clara-Zetkin-Park.

Info: Die Leipziger Grünen treffen sich am 31. März 2012, ab 10 Uhr, im Theaterhaus “Schille”, Otto-Schill-Straße 7, zum nächsten Stadtparteitag. Neben der Wahl des grünen Oberbürgermeisterkandidaten steht die Diskussion der Wahlplattform auf dem Programm.

www.nachhaltigkeit-gerechtigkeit-klima.de

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