Leipzig hat in der kommenden Bundestagswahl wieder zwei Direktmandate zu vergeben: eines im Norden (Wahlkreis 152) und eines im Süden (Wahlkreis 153). Um diese bewerben sich zwölf Kandidaten der etablierten Parteien. Im Interview erzählen diese, warum sie gewählt werden möchten, wie sie die Stadt sehen und was sie im Falle eines Wahlsiegs in Angriff nehmen wollen. In der elften Folge äußert sich Marcus Viefeld, der für die FDP für das Direktmandat im Leipziger Norden kandidiert. Der gebürtige Franke ist freiberuflicher Webentwickler und steht für die Themen Freiheit, Wirtschaftskraft und faires Steuersystem.

Wie viel haben Sie zuletzt für eine Straßenbahnfahrt bezahlt?

1,70 Euro, das ist aber schon eine Weile her, das war irgendwann letztes Jahr auf dem Weg zum Parteitag (lacht). Sonst bin ich viel mit dem Fahrrad unterwegs und natürlich, ehrlich gesagt, auch viel mit dem Auto, das liegt an den Strecken. Aber alles im Zentrum Nord-West lässt sich relativ gut mit dem Fahrrad erreichen. Außerdem bin ich im letzten Jahr regelmäßig mit der Straßenbahn zum Hauptbahnhof gefahren. Ich habe letztes Jahr zwölf Monate ein Projekt in München betreut, so klassisches Berufspendlertum – Sonntagabend in den Zug und Freitag wieder zurück. Da nimmt man natürlich auch die Straßenbahn von und zum Bahnhof.

Was hat Sie in der vergangenen Legislaturperiode am meisten geärgert?

Die Liste wäre länger (lacht). Am meisten geärgert hat mich, dass der klare Arbeitsauftrag für eine schwarzgelbe Regierung, ans Steuersystem ranzugehen, seit 2009 nicht umgesetzt wurde. Auf der einen Seite eine Entlastung und auf der anderen Seite auch eine Vereinfachung hinzubekommen. Man hat leider sowohl von der Union als auch von der FDP das Thema nicht in die ersten 100 Tage reingenommen und gesagt, das ist unser erstes Ziel, das hat der Wähler uns mit auf den Weg gegeben. Ich glaube, darüber ärgern sich viele unserer Wähler und auch unsere Parteifreunde.

Und dann ärgert man sich natürlich darüber, dass selbst so gute Ideen wie der Abbau der kalten Progression nicht möglich war. Etwas, was ja wirklich jedem Steuerzahler zugute käme, indem man die Steuersätze wieder den Lohnsteigerungen angepasst hätte. Das wurde von Rot-Grün im Bundesrat knallhart ausgebremst, rein aus machttaktischen Gründen. Im klassischen Stil wie Lafontaine 1998 Kohl vorführen wollte, so hat man das jetzt wieder gemacht.

Und was hat Sie in der vergangenen Legislaturperiode am meisten gefreut?

Am meisten gefreut hat mich, dass meine Partei den Freiheitsanspruch wirklich ernst genommen hat. Vor allem Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist in meinen Augen die Freiheitspolitikerin in Deutschland schlechthin. Wir haben dafür gesorgt, dass die Vorratsdatenspeicherung wirklich abgeschafft wurde. Das war ja zum Zeitpunkt des Regierungsantritts noch nicht so klar, da war es erst mal ausgesetzt, weil das Bundesverfassungsgericht gesagt hat, das geht so nicht. Und es gab viele Stimmen in der Union, die gesagt haben, ok, dann müssen wir es halt ein bisschen anpassen, dass es verfassungskonform ist und dann setzen wir das wieder in Kraft. Die FDP hat dagegengehalten und zwar so deutlich, dass selbst Brüssel ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet hat, was in der letzten Konsequenz dazu führen könnte, dass Deutschland Strafen zahlen muss.

Die Debatten um Prism und Tempora zeigen ja, dass wir hier auf dem richtigen Weg sind. Denn die Vorratsdatenspeicherung, die von Union und SPD beschlossen wurde, ist nur ein Vorläufer zu den NSA-Überwachungen, und daher ist es auch pure Heuchelei, wenn SPD-Politiker die Bundesregierung kritisieren, obwohl man selber die Vorratsdatenspeicherung mit beschlossen hat. Ich glaube, da hat sich die FDP in einer sehr soliden Weise, lange bevor die Themen sozusagen akut wurden, sehr richtig positioniert und verhalten.
Welche Projekte werden Sie für Leipzig in Angriff nehmen, wenn Sie gewählt werden?

Das Hauptprojekt für Leipzig ist, dass sich die Wirtschaft weiter entwickeln kann. Ich möchte keine Wirtschaftspolitik, die ständig mit Subventionen und vielen Vorgaben die Wirtschaft lenken will. Meine Vorstellung ist vielmehr, dass die vielen Mittelständler, die kleinen Unternehmer und Startups, einfach in Ruhe arbeiten können. Weniger Bürokratie, weniger Auflagen und eine steuerliche Entlastung, viel mehr braucht es da gar nicht.

Ich würde mir für Deutschland und Europa insgesamt wünschen, dass es einen größeren Markt an Venture Capital, also an privaten Kapitalgebern gibt. Leute, die sagen, ich habe da eine gute Idee gesehen und bin auch bereit, mein Geld in diese Idee zu stecken. Das wäre auch für Leipzig wichtig.

Beispiel Spreadshirt. Das ist ja ein erfolgreiches Startup, das mit externem Venture Capital groß geworden ist. Das hat sich Finanzierungsquellen gesucht, gefunden und dadurch überhaupt erst expandieren können.

Aber wer heute mal versucht hat, sich selbständig zu machen, der wird erst mal mit einem unglaublichen Wust an Bürokratie überzogen und die Frage, wie versichere ich mich, bei welcher Krankenversicherung, was ist dann mit meiner Rente? Da kommen andere Spaßvögel ja immer wieder mit der Idee, hier entsprechende Rentenverpflichtungen auch für Selbständige einzuführen, was dann die ganze Anfangsinvestition in 90 Prozent unmöglich machen würde. Und das sieht irgendwie keiner. Man will immer nur alles absichern und hier eine Versicherung und dort einen Gewerbeschein und alles auf Nummer sicher. Aber dann ist irgendwann so viel Sicherheit aufgebaut, dass der neue Startup sich vor lauter Bürokratiebeschäftigung gar nicht mehr bewegen kann. Da muss man wirklich hinterfragen, was sinnvoll und nötig ist.

Warum sollten die Leipziger Sie wählen?

Weil ich jemand bin, der Politik sehr pragmatisch sieht. Ich bin seit 16 Jahren selbständiger Internetprogrammierer. Ich habe als kleiner Gründer und selbständiger Unternehmer genug gesehen, wo es ein bisschen hakt und drückt. Ich bin jetzt seit zehn Jahren in Leipzig, fühle mich hier pudelwohl und möchte einfach mit dafür sorgen, dass dieses Aufbruchsflair, was hier seit 20 Jahren existiert, bestehen bleibt. Dass man dafür sorgt, dass man sich hier weiter wohl fühlt und ich glaube, da bin ich ein guter Ansprechpartner für viele Leipziger. Wer ähnlich denkt und tickt, könnte mit seiner Stimme bei mir ganz gut an der richtigen Stelle sein.

Was planen Sie, falls Sie den Einzug nicht schaffen?

Wenn ich den Einzug nicht schaffe, dann kümmere ich mich weiter um meine Kunden und meine freiberuflichen Projekte. Ich mache bisher Politik rein ehrenamtlich und das macht mir Spaß. Und das wird auch nach dem 22. September, wenn ich nicht im Bundestag sein sollte, so weiter passieren. Wir haben nächstes Jahr Kommunalwahlen, ich gehe momentan davon aus, dass ich da auch irgendwo mit antreten werde. Man darf also damit rechnen, dass ich weiter auftauche.

Was sind Leipzigs drängendste drei Probleme?

Wenn man Leipzigs drängendste Probleme anschaut, dann sind das kommunale Probleme. Ich habe in der Rathausspitze immer das Gefühl, dass man sich da auf dem guten Ruf und auf dem internationalen Flair von Leipzig ein bisschen ausruht und sich mit den Lorbeeren gerne schmückt, aber wenig darauf achtet, wo der Zug denn eigentlich jetzt hingeht. Also, wo setze ich Prioritäten? Wir haben seit Jahren eine sehr prekäre Einnahmesituation in der Stadt. Dann muss ich natürlich auch hinterfragen, wie ich das bisschen Geld, das ich habe, am besten einsetze. Und dann fallen mir so Dinge wie der Lindenauer Hafen oder der Karl-Heine-Kanal ein. Ich bin selber Wassersportler, ich finde das alles ganz spannende Projekte und habe absolut emotionalen Bezug dazu, aber als Stadt Leipzig da vier Millionen auszugeben, um das Projekt überhaupt erst in Gang zu setzen, da bin ich weit davon entfernt, das gut zu finden. Ganz im Gegenteil. Wo sind da die richtigen Prioritäten? Wenn ich eh das Geld zusammenhalten muss, muss ich dann solche Prestigeprojekte tatsächlich machen? Oder muss ich mich nicht erst mal um meine Hausaufgaben kümmern? Hausaufgaben bedeutet, keine Steuern, keine Schulden neu aufnehmen.

Ich habe selber noch keine Kinder, aber ich bin sozusagen in der Familienplanung, das Kita-Thema ist natürlich etwas, was die Eltern auf die Barrikaden treibt. Ich verstehe nicht, wie man ein Kita-Online-Portal machen kann, das nur Frust erzeugt. Als Internetprogrammierer sitze ich davor und denke mir nur: Warum? Was soll das? Es gibt keine Transparenz, auf welcher Stelle im Ranking meine Reservierung steht. Habe ich überhaupt eine Chance oder muss ich mich abseits von diesem Portal kümmern? Da bleibt bei mir einfach nur ein großes Fragezeichen und auch ein Ärgernis.

Punkt drei ist das klassische Aufbruchthema. Aber da drehe ich mich ein bisschen im Kreis, weil es natürlich mein Thema ist, dass wir Energie freisetzen müssen. Wir haben gerade als Junge Liberale, wo ich ja lange aktiv war, Dinge wie die Freie Szene sehr stark in den Fokus genommen, weil wir immer wieder hinterfragt haben, warum geben wir als Stadt Leipzig so viel Geld für die großen Häuser aus. Beim Gewandhaus verstehe ich das total, bei der Oper habe ich schon ein großes Fragezeichen.

Die Freie Szene hat sich als kleinteilige Szene in der Kultur etabliert und spricht in der Menge eigentlich viel mehr Leute an als die großen Häuser. Und es ist ein gutes Beispiel, zu sehen, kann ich kleinteilige Dinge nicht viel attraktiver gestalten, wenn ich sie auch ein bisschen laufen lasse. Muss ich denn immer auf den großen Wurf setzen? Ich finde es spannend und auch ermutigend, dass wir mit Porsche und BMW hier zwei große Werke haben, aber beide sind hier nur verlängerte Werkbänke. Es sind keine Forschungsteams hier. Forschung findet wiederum an der Alten Messe in der Biocity statt, aber das sind noch die positiven Ausnahmen und wir sehen, dass dort noch einiges Potential schlummert.

Beamen Sie sich gedanklich ins Jahr 2030. Wie hat sich die Stadt verändert?

2030 wird Rasenballsport Leipzig um die Championsleagueplätze mitspielen, da bin ich mir ziemlich sicher. Auch ein schönes Beispiel, wo jemand relativ kompromisslos sagt, ich habe da eine Vision, da will ich hin. Ich war am Freitag im Stadion, ich finde das toll, dass sich für so ein kleines drittklassiges Projekt jetzt schon 30.000 Leipziger interessieren und dort mitfiebern. In den anderen DFB-Pokalspielen mit zweit- und drittklassigen Vereinen waren gerade einmal 11.000, einmal 8.000 Leute im Stadion. Man sieht, der Zuspruch ist da und ich glaube, die Leipziger und das Umfeld wollen erstklassigen Fußball. Das wird jetzt nicht auf Knopfdruck passieren, aber in der Perspektive 2030 sehe ich Leipzig auf jeden Fall erstklassig, wenn nicht sogar mit noch größeren Ambitionen.

Weiter werden 2030 immer noch die ersten und hoffentlich erfolgreichsten Elektromobile aus Leipzig kommen. Ich bin sehr gespannt und drücke BMW die Daumen, weil das aus technologischer Sicht eine ganz spannende Geschichte ist. Selbst wenn sich das mit dem Elektroantrieb nicht durchsetzt, weil da vielleicht Gewohnheiten und Infrastruktur nicht dazu passen, wird die Entscheidung, auf Carbon und damit auf neue Fertigungsmechanismen zu setzen, BMW weiter voranbringen. Und dann ist Leipzig natürlich ganz vorne mit dabei, weil wir die ersten Carbonautos serienmäßig hergestellt haben.

2030 werden wir in Leipzig hoffentlich keine Debatten mehr haben, ob wir den “Wir sind das Volk”-Slogan sichern müssen oder ein “Wir sind die Stadt”-Slogan uns wirklich repräsentiert. Ich finde, die Stadt arbeitet nach wie vor mit viel zu vielen Stempeln: Freiheitsstadt, Heldenstadt, Kulturstadt, Bachstadt, Wagnerstadt. Das ist so ein Potpourri und ich hoffe sehr, dass die Stadt Leipzig bis 2030 eine gewisse Selbstfindung abgeschlossen hat. Und dass man sich 2030 nicht mehr von Entwicklungen wie Geburtenzahlen überraschen lässt. Dass Schulen fehlen, hätte man anhand der vergangenen Zahlen ablesen können. Aber es muss ja offensichtlich wohl immer erst der große Knall kommen.

Wie stehen Sie zum Vorschlag, ein Großbundesland Mitteldeutschland zu schaffen?

Ich habe dafür Sympathien, wenn man sich die Größenverhältnisse von Bundesländern in den Neuen Bundesländern anschaut, verglichen mit Bayern oder NRW, sind die alle relativ klein. Also Mitteldeutschland, Thüringen, Sachsen-Anhalt, Sachsen wäre wahrscheinlich immer noch kleiner als NRW und Bayern. Aber ich glaube nicht, dass das kommt. Einmal weil dann eine ganze Reihe Politiker ihre Spielwiesen abgeben müssten, das halte ich für wenig realistisch, ganz pragmatisch gesehen. Und auch die Bürger – ich habe in Thüringen studiert und bin jetzt 10 Jahre in Sachsen, ich denke, ich kann das ein bisschen einschätzen, dass sowohl die Thüringer als auch die Sachsen mit einem gewissen Lokalpatriotismus gut dastehen. Wir haben gerade nach der Wiedervereinigung einiges geleistet, wir können uns als Sachsen und als Thüringer entsprechend präsentieren und darstellen mit einer gewissen Marke. Thüringer Rostbratwürste, die Sachsen mit ihrem Technikaufschwung, mit einer extrem guten Schulpolitik, die auch in den verschiedenen Rankings sich niederschlägt. Und das sind Dinge, auf die man ja auch stolz sein kann und will und auch soll, und ich denke da wird es auch emotional bei den Bürgern nicht unbedingt ein Momentum geben, das aufzugeben. Also wie gesagt, ich habe Sympathien für solche Ideen, aber ich sehe es nicht realistisch.

Würden Sie Ihren Kindern den Job als Bundestagsabgeordneter empfehlen?

Politik bedeutet für mich immer: was kann ich für die und mit der Gesellschaft diskutieren, weiterentwickeln, wo kann ich den Status Quo in Frage stellen. Also wenn mich das interessiert, dieses Hinterfragen, weiterentwickeln von Gesellschaft, von Strukturen, von demokratischen Prozessen, dann ist Politik immer spannend und dann ist es natürlich einfacher wenn man irgendwann mal Abgeordneter ist, wenn man tatsächlich mitbestimmen kann. Ich habe aber die Erfahrung gemacht, dass man auch ohne ein Mandat sehr spannend in der Politik mitwirken kann und dafür nicht unbedingt ein Mandat braucht. Ich würde niemandem davon abraten, weder meinen Kindern noch meinem Nachbarn, zu sagen “Ich will Abgeordneter werden” oder “Ich will in die Politik gehen”. Ganz im Gegenteil, ich finde in der Politik sollte es viele Menschen geben, die auch eine andere Perspektive haben, die schon mal eine Firma groß gemacht haben und die eigene Erfahrungen mitbringen.

Ich sehe aber auch, dass viele Politiker unglaublich stark in der öffentlichen Debatte auch mal unter Druck stehen. Auch was Erreichbarkeit und Präsenz betrifft. Ich glaube viele Bürger haben keine Vorstellung, was viele Politiker auch an Stundenzahlen jede Woche ableisten mit der ganzen Fülle von Terminen und Verpflichtungen. Von daher ist es auch ein zweischneidiges Schwert. Also ich bewerbe mich für den Bundestag, weil ich da Spaß dran hätte an solchen Prozessen teilzuhaben und mich einzubringen. Und wenn das nicht klappt, ist es auch ok.

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