Der sich wandelnde Wohnungsmarkt veranlasste den Stadtrat im Oktober zum Antrag, das wohnungspolitische Konzept samt Richtlinien und Instrumenten an die gegebenen Bedingungen einer wachsenden Stadt anzupassen. Der Prozess der Konzeptfindung basiert auf der Zusammenführung der Workshop- und Forenreihe, die auf Themenfindung und Handlungsbedarf abzielen. Die entstehenden Lösungsansätze sollen für einen Konzeptentwurf dienen, der präsentiert und zur Diskussion gestellt werden soll. 2015 wird dann das Konzept beschlussfähig dem Stadtrat vorgelegt werden.

Nachdem im ersten Workshop am 14. Mai Grundsatzfragen zur aktuellen Situation des Wohnungsmarktes innerhalb des Akteur- und Expertenkreises erörtert wurden, fand am Montag, den 2. Juni das erste Bürgerforum im Rathaus statt.

In drei Informationsrunden referierten Vertreter der Stadt und Experten über allgemeine Phänomene der Wohnraumsituation. Baubürgermeisterin Dorothee Dubrau und Sozialbürgermeister Thomas Fabian erörterten zu Beginn, dass es in Leipzig eine wachsende Gruppe älterer Menschen sowie eine zunehmende Zahl von Singelhaushalte gebe. Das untere Preissegment sei zwar bezahlbar, aber die Zahl kleinerer Wohnungen nehme dadurch ab. Durbraus besonderes Ziel für die Zukunft ist die Durchmischung. Die aktuelle Durchmischung der Wohnviertel müsse hinsichtlich der Preissegmente erhalten werde.

Im zweiten Vortrag legten Stefan Helbig (Abteilungsleiter Stadtplanungsamt) und Tobias Jacobs (Hamburger Beratungsunternehmen Analyse & Konzepte) die Zahlen des Zuzugs im Jahr 2013 vor. 11.349 neue Bewohner hatte Leipzig demnach allein im vergangenen Jahr zu verzeichnen, eine Tendenz, welche seit Jahren anhält. Ebenso sei das Haushaltseinkommen um 10 Prozent gestiegen.

Die am stärksten durch Wanderungsgewinn betroffenen Stadtgebiete sind der Westen (Alt-Lindenau und Plagwitz), der Osten und der Süden (Südvorstadt/Connewitz). Des Weiteren werde das Stadtzentrum deutlich jünger. Der Anstieg der Mietpreise sei bedingt durch einen Zuwachs an Nebenkosten (um 10 %), was sich auf die Gesamtmiete auswirke. Der Meinung ist auch Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW). In einer Presseerklärung zum Bürgerforum heißt es: “Ein Großteil der steigenden Mietpreise in Leipzig erklärt sich durch die permanent wachsenden Nebenkosten.” Man müsse laut des BFW vielmehr über eine Energiepreisbremse nachdenken anstatt über einer Mietpreisbremse.

Für Jacobs ist der Bestandserhalt und dessen Weiterentwicklung unumgänglich, was wiederum einen Mietpreisanstieg mit sich bringen würde. Die Frage der politischen Unterstützung sei dabei noch offen.

Prof. Dr. Dieter Rink (Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung) konstatierte in einem dritten Vortrag, dass Leipzig zur Zeit die am schnellsten wachsende Stadt Deutschlands sei. Das Einkommen ist gemessen an dieser Entwicklung (durchschnittliches Haushaltseinkommen bei 1.550 Euro) allerdings nur durchschnittlich. Die steigenden Mieten bei ungleich wachsenden Löhnen erschweren den Erhalt von bezahlbarem Wohnraum.

Zwischen den Informationsrunden hatten die BürgerInnen Zeit an verschiedenen Tischen ihre Fragen zu diskutieren und diese öffentlich zu äußern. Die Angst vor einer Überreaktion der Stadt angesichts der hohen Zuwanderungsgewinne war ein zentrales Anliegen. Vergleiche mit der Situation in Berlin und die damit einhergehende Angst, Leipzig bewege sich in die gleiche Richtung, hierbei bald starke Mietanstiege zu erleben wurden thematisiert.

Die Frage, was kann Leipzig anders machen, um dem zu entgehen kann als Grundfrage des Abends gesehen werden. Ebenso wurde die Sorge um den Verlust der Durchmischung der Stadtteile und der kulturellen Vielfalt durch die zunehmende Einflussnahme von Großinvestoren geäußert. Auch Forderungen nach dem Erhalt einer heterogenen Eigentümerstruktur wurden laut. Ebenso solle alternatives Wohnen weiterhin möglich bleiben und der zunehmenden Privatisierung Einhalt geboten werden, um öffentlichen und freien Raum erhalten zu können.

Wohnprojekte sollten stärker gefördert, Zwischennutzungen verstetigt werden.

Die Stadt solle die Planungshoheit behalten und Konzepte fördern, die es wert sind gefördert zu werden und nicht privaten Vermarktungsinteressen Rechnung tragen. Viele Forderungen. Und das sind längst nicht alle. Eben diese Fülle zeigt, wie wichtig die Einbindung aller beteiligten Parteien und Wohnungspartner ist.

“Überfordern sie die Stadt nicht”, appellierte OB Burkhard Jung abschließend. Realitätsprinzip also. Der BFW unterstützt die Forderung Jungs nach Realismus bei der Erstellung des Konzepts. Denn Leipzig habe hier die einmalige Chance einen exemplarischen Weg zu gehen, der vorbildhaft für weitere Kommunen wirken könne. Aktuell entstünde allerdings der Eindruck, dass bei der Erstellung des Wohnungspolitischen Konzeptes Bürger und Spezialisten in zwei Lager gespalten werden, was nicht sein dürfe.

Alles nur pro forma? Für Roman Grabolle und Daniel Nitzpon vom Netzwerk “Stadt für alle” ist das Bürgerforum eine ambivalente Angelegenheit, deren Ausgang noch ungewiss ist.

Grabolle dazu: “Ich hoffe nicht, dass die Beteiligung nur pro forma ist. Sonst wäre das ein echtes Armutszeugnis.” Die Wertigkeit der Veranstaltung stehe noch in Frage. Nitzpon ergänzt: “Die Foren dauern ein paar Stunden am Abend und sind dann vorbei. Es gäbe durchaus andere Formen. Beispielsweise könnte man durch Zufall eine Zahl von Leuten ?rekrutieren?, die dann wirklich intensiv, kontinuierlich und zeitintensiv etwas erarbeiten. Per Definition kann eine solche Veranstaltung, nicht zu einem Ergebnis, mit klaren, prägnanten und umsetzbaren Forderungen, kommen.”

Grundsätzlich seien MieterInnen in einer schwächeren Situation, so Grabolle. Das könne man versuchen auszugleichen, aber die schwächere Position wird weiterhin bestehen bleiben. Diesem Umstand kann eine Bürgerbeteiligung nur schwer beikommen. “Die Agenda der Bürger ist nicht klar, die der Wohnungsunternehmen ist komplett durchdacht. Die Waffengleichheit ist nicht möglich, auch nicht mit einem Bürgerforum.” Das Ungleichgewicht der Kräfte resultiere aus dem geringen Organisationsgrad der Mieter.

Und doch werden die Interessen der Bürger abgebildet. Ob es sich dabei um einen repräsentativen Querschnitt handelt, darf bezweifelt werden. Auch bleibt die Frage, wie diese Interessen dem, was eine Immobilienwirtschaft mit viel mehr Kraft in die Debatte drückt, gegenüberstehen. Man erkenne durchaus das Bemühen des Bürgerforums an, aber ob dieses am Ende ausreicht, ist eine Frage, deren Antwort auf sich warten lassen wird.

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