Auch einen ausführlichen Beitrag zur "Kultur- und Kreativwirtschaft in der Stadt Leipzig" findet man im neuen Quartalsbericht der Stadt, erstellt von Antje Weyh, Uwe Sujuta und Anja Pohl vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) Nürnberg, einem Ableger der Bundesarbeitsagentur. Ein schönes Beispiel, wie man mit Zahlen und Statistiken Verwirrung stiftet.

Wohl nicht einmal aus Absicht. Sie meinen es ja alle gut, wenn sie in Deutschland immer neue Institute gründen und Forschungsgelder vergeben. Aber es gilt wie so oft im deutschen Föderalismus: Nichts passt zusammen. Jeder benutzt andere Bemessungsgrundlagen. Das IAB logischerweise die Daten, die die Bundesarbeitsagentur in ihrer Beschäftigungsstatistik ausweist. Ein geradezu sinnloses Unterfangen, wenn man die Kreativwirtschaft in Leipzig beschreiben will. Denn logischerweise sind dort nur alle sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse zuzüglich aller geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse verzeichnet. Der wichtigste Bestandteil der Kreativszene – der kreative Alleinunternehmer – kommt dort gar nicht vor.

Der Vergleich mit der von der Stadt Leipzig erstellten Studie zur Medien- und Kreativwirtschaft in Leipzig und Umgebung zeigt, wie groß die Differenz ist. Dort wurden 2012 immerhin 4.315 Unternehmen mit hochgerechneten 44.500 Beschäftigten ermittelt. Die Nürnberger Forscher kommen nur auf 900 Betriebe mit 8.684 sv-pflichtigen Beschäftigten, dazu noch 6.621 ausschließlich geringfügig Entlohnte, einige Nebenjobber und Azubis. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Leipziger Studie auch das Umland mit umfasst, kann man einkalkulieren, dass mehr als die Hälfte der in der Kreativwirtschaft Beschäftigten davon in Leipzig tätig sind.

Was bedeutet das aber für diese Zahlen? – Die Arbeitsagentur erfasst die Hälfte der Kreativwirtschaft überhaupt nicht in ihren Beschäftigungsstatistiken. Ihre Zahlen zur Kultur- und Kreativwirtschaft erfassen nur die Angestellten, was schon auf den ersten Blick enorme Unterschiede in den Teilbranchen ergibt. Die IAB spricht von Teilmärkten. Aber auch das sagt eine Menge.

Etwa wenn in der Musikwirtschaft nur 268 sv-pflichtig Beschäftigte gezählt werden. Was das bedeutet, sieht man schon, wenn man weiß, dass allein das Gewandhausorchester 185 Musiker zählt. Wenn man da noch die anderen Musiker und Sänger aus Oper und Operette mit einrechnet, bleibt von der restlichen Leipziger Musikszene nichts übrig. Dasselbe trifft auf den Leipziger “Kunstmarkt” zu: 51 Angestellte – wahrscheinlich in Galerien und Museen – sagen praktisch nichts über die Leipziger Kunstszene aus. Allein der Bund Bildender Künstler Leipzig vertritt 200 Künstlerinnen und Künstler.

Wie extrem sich das unterscheidet, was die Arbeitsagentur messen kann, und was die Leipziger Studie ermittelt hat, zeigt auch der Vergleich der gezählten Unternehmen. Das IAB zählt auf Leipzigs Architekturmarkt 110 Unternehmen, die Leipziger Studie, die auch die Landkreise einschließt, 374. Gerade einmal 508 gezählte Angestellte stehen 2.500 hochgerechneten Beschäftigten in der Studie gegenüber. Selbst auf dem Markt der Architekten dominiert also der Freischaffende.

Der Markt der Künstler und Musiker ist in der Leipziger Studie mit 1.041 Unternehmen und 8.500 Beschäftigten zusammengefasst. Das IAB weist nur 55 Unternehmen und 394 Beschäftigte (mit geringfügig Beschäftigten) aus. Deutlicher kann man eigentlich nicht zeigen, dass die Arbeitsagentur über den eigentlichen Markt der freien Kreativen nichts weiß. Was sie zählt, sind nur die Angestellten. Was sie misst, sind nur die Löhne der Angestellten. Was dann Werte ergibt, bei denen auch der normale Leipziger Angestellte mit den Ohren schlackert.

Nur zur Erinnerung: Der Median der monatlichen Nettoeinkommen lag in Leipzig 2012 bei 1.135 Euro. Zu beachten ist dabei, dass der Median nicht mit dem Durchschnitt gleichgesetzt werden darf. Median heißt: Die Hälfte der erfassten Personen verdient mehr als dieser Wert, die andere Hälfte weniger. Selbstständige hatten 2012 zwar deutlich zugelegt, gingen aber trotzdem nur mit 1.375 Euro nach Hause. Das IAB weist aber schon für 2010 einen exorbitanten Wert von 2.728 Euro Median für die Kreativen in Leipzig aus, mehr als das Doppelte also, was die Bürgerumfrage zwei Jahre später für Selbstständige ergab. Und das waren nicht nur die kreativen Selbstständigen, die auch in Leipzig lieber Selbstausbeutung betreiben, als jene Jobs zu machen, die dann in der vom IAB umrissenen Kreativwirtschaft auftauchen.Beispiel: Pressemarkt. Eigentlich ein genauso veraltetes Wort wie der Begriff Druck- und Verlagsgewerbe, den die Leipziger Studie verwendet. Aber auch hier frappieren die Zahlen. Nach Definition der Enquete-Kommission “Kultur in Deutschland” des Bundestages definiert sich Pressemarkt so: “Der Pressemarkt ist aber auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Journalistinnen und Journalisten, Korrespondenten- und Nachrichtenbüros, Zeitungs-, Zeitschriften- und sonstige Verlage sowie der Einzelhandel mit Zeitschriften und Zeitungen werden in der wirtschaftspolitischen Betrachtung zum Pressemarkt gezählt.”

165 Unternehmen zählt das IAB für die Leipziger Verlags- und Presselandschaft für 2012. Die Leipziger Studie zur Kreativwirtschaft kam auf 508 mit ungefähr 3.000 Beschäftigten. Das IAB zählte 6.834 Beschäftigte. Ein Blick ins Detail zeigt hier, warum nun ausgerechnet im Pressemarkt die Zahlen so außergewöhnlich gestiegen sind. Denn als Journalist fragt man sich natürlich: Wo sind denn nun diese 5.800 Kollegen? Man müsste sie doch sehen? Die Pressekonferenzen müssten aus allen Nähten platzen. Tun sie aber nicht. Denn deutlich zeichnet sich auch hier ab, dass eine Menge zur Kreativwirtschaft gezählt wird, was selbst gar nicht kreativ tätig ist. Hier stecken also nicht nur reihenweise Angestellte in Zeitungskiosken mit drin, reihenweise Akquisiteure und auch Produzenten von allerlei Presseprodukten, die der Normalsterbliche nie in die Hand bekommt – es stecken auch die Angestellten diverser Verlage drin, die eigentlich eher in Branchen wie Logistik gehören – Zeitungszusteller, Briefzusteller, Sortierer, Kurierfahrer usw.

Und gerade der Anstieg der Teilzeitbeschäftigten im Pressemarkt seit 2007 zeigt, wie sehr ein paar Verlagshäuser hier ihre Tätigkeit ausgeweitet haben: Von 3.036 auf 4.594 stieg diese Zahl, während die der Festangestellten von 1.404 auf 1.304 sank. Und da ist das Verlöschen zweier Wochenblätter im Jahr 2013 noch gar nicht mit drin.

Und all das einberechnend sind natürlich die Zahlenspielereien, die Weyh, Pohl und Sujuta mit den Entgelten vornehmen, nicht wirklich ernst zu nehmen. Sie erzählen bestenfalls von einer geteilten Welt, in der der Sektor der geringfügig Beschäftigten immer mehr ausgeweitet wird, feste Arbeitsplätze abgebaut werden und jene Verbliebenen in fester Anstellung, die noch im Tarifgefüge sind, von jeder Verhandlungsrunde der Gewerkschaften profitieren. Was dann zum Teil exorbitante Zuwächse ergibt. Bezahlt zum Beispiel aus den Rundfunkgebühren wie beim MDR, denn der spielt die Hauptrolle dabei, wenn der Median-Lohn bei Vollzeitbeschäftigten in der Rundfunkwirtschaft mittlerweile bei 4.245 Euro liegt. Was schon eine gewisse Schwungmasse ergibt, wenn dabei 1.095 Vollzeitbeschäftigte die Datengrundlage sind.

Was noch spannender wird, wenn man weiß, dass um die in Leipzig versammelte Rundfunk- und Filmwirtschaft auch noch rund 3.000 Personen kreisen, die weder voll noch geringfügig angestellt sind, echte Freelancer also, die Haut und Kreativität für Projekte zu Markte tragen.

Ebenso prickelnd die Entgelt-Zuwächse in dem, was das IAB als Leipziger Musikmarkt bezeichnet – das Plus von 17,5 Prozent kam unübersehbar einer kleinen, fest angestellten Musikergruppe zugute. Da braucht sich der Bürger nicht wirklich zu wundern, dass das Leipziger Gewandhaus die Eintrittspreise erhöhen will. Kreative und Kulturschaffende in Leipzig leben und arbeiten in zwei völlig verschiedenen Welten. Die einen gehören zu den 10 Prozent der Höchstverdiener in Leipzig, die anderen gehören zu einem großen Teil zum sich selbst ausbeutenden Prekariat, das als Freischaffender seine eigenen Projekte organisiert und sich auch selbst verkauft. Und natürlich keine echte Lobby hat in Leipzig. Man sieht es etwa an den zähen, lang anhaltenden Kämpfen um die “5 Prozent für die Freie Szene”.

Dankenswerterweise geben die drei Autoren nach Ende ihres Zahlensalats zu, dass sie “keine eindeutige allumfassende Antwort für die Entwicklung der Leipziger KKW” geben können. Das geben die Zahlen der Arbeitsagentur beim besten Willen nicht her. Die Zahlen verraten nicht einmal, ob die Leute tatsächlich kreativ arbeiten oder nur in einem “kreativen” Unternehmen beschäftigt sind. Die Zahlen zeigen nur die Kluft, die sich in Leipzig zwischen klassischer Festanstellung und Freischaffenden auftut – auch und gerade, weil die Freischaffenden hier gar nicht vorkommen.

Und da wir gerade beim Geld sind, machen wir morgen an dieser Stelle damit weiter.

Leipziger Studie zur Medien- und Kreativwirtschaft: www.leipzig.de/wirtschaft-und-wissenschaft/wirtschaftsprofil-und-cluster/medien-und-kreativwirtschaft/leipziger-studie-zur-medien-und-kreativwirtschaft/

Zahlen zum Druck- und Verlagsgewerbe in Leipzig: www.leipzig.de/wirtschaft-und-wissenschaft/wirtschaftsprofil-und-cluster/medien-und-kreativwirtschaft/druck-und-verlagsgewerbe/

Die Statistischen Quartalsberichte der Stadt findet man digital auch hier: http://statistik.leipzig.de/%28S%28r0ng3fmdbelyfy45w0hqvd55%29%29/statpubl/index.aspx?cat=1&rub=2

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