Um Emanzipation im Spannungsfeld zwischen Assimilation und dem Recht auf Abweichung ging es beim jüngsten Leipziger Akademie-Kolloquium. Anlass war die Vorstellung des zweiten Bandes der Enzyklopädie jüdischer Geschichte und Kultur (EJGK), einem Gemeinschaftsprojekt der Sächsischen Akademie und des hiesigen Simon-Dubnows-Instituts.

Der Artikel über Emanzipation ist “einer der wenigen Schlüsselartikel”, erläuterte Dr. Markus Kirchhoff anlässlich der Vorstellung des zweiten Bandes der Enzyklopädie jüdischer Geschichte und Kultur (EJGK). Dazu geladen hatte die Sächsische Akademie der Wissenschaften am vergangenen Freitag in ihre Räumlichkeiten in die Leipziger Karl-Tauchnitz-Straße.

Der zweite Band des Gemeinschaftsprojekts der Sächsischen Akademie und des Simon-Dubnows-Instituts für jüdische Geschichte und Kultur an der Universität Leipzig reicht von “Co” bis “Ha”. Die “Macht des Alphabets”, so Kirchhoff als Leiter der Arbeitsstelle des Enzyklopädie-Projekts, hätte dazu geführt, dass die Artikel zur Emanzipation und zur Französischen Revolution sich in demselben Buch befänden. Insofern sei Band 2 auch so etwas wie der “Frankreich-Band”, befand Historiker Kirchhoff. Aber eben auch der “Fußball-Band”, doch dazu später mehr.Professor Dan Diner, der Enzyklopädie-Herausgeber und Direktor des Dubnows-Instituts, bekräftigte am Freitag erneut, dass es eine der Prämissen des Enzyklopädie-Projekts sei, “an Hand des jüdischen Gegenstandes einen Blick auf die Moderne zu wagen”. Ein solcher Blick liefert in der Tat einen Erkenntnisgewinn über die systematische Aufarbeitung der Geschichte der europäischen Judenheiten zwischen 1750 und 1950 und der Entwicklung des wissenschaftlichen Denkens hinaus.

Dieser intellektuelle Mehrwert betrifft auch und gerade den Begriff, der zum Wesenskern des modernen Europa zählt: die Emanzipation. Dabei ist für Lokalpatrioten sicher von Bedeutung, dass Kirchhoff den Begriff “Emanzipation der Juden” in eben dieser Ausprägung dem Leipziger Ehrenbürger Wilhelm Traugott Krug (1770 – 1842) zuschreibt. Geehrt wurde der Philosoph Krug für seine Leistungen bei der Reform der hiesigen Universität, 1830 verwaltete er das Rektorat der hiesigen alma mater.

Nun ist Emanzipation zweifelsfrei ein hohes Gut und ein hohes Ziel. Und doch kommt es auch hierbei auf Mittel und Ziele an, die angewandt oder erstrebt werden. Den Akteuren der Französischen Revolution und ihren intellektuellen Stichwortgebern ging es ebenso wie Reformern in deutschen Landen darum, mit der Gleichstellung der Juden auch ihre kulturellen und religiösen Eigenheiten sowie ihre Gemeinschaften aufzulösen.

Emanzipation bedeutete hier Assimilation: in die eine, unteilbare Nation von Staatsbürgern. Diese Nation sollte idealerweise homogen sein – sprachlich, religiös, oft auch ethnisch. Die Geschichte der europäischen Nationenbildungen ist eben auch eine Erzählung von Assimilierungsprozessen. Mal unter demokratisch-aufklärerischen Verhältnissen, aber andernorts eben auch nach autoritären oder gar völkischen Prämissen.

So bedurfte das aufklärerische Ziel der Gleichheit der Ergänzung um ein “Recht auf Abweichung”, wie Kirchhoff es in seinem Vortrag zur “Neueren politischen Geschichte der Juden in der EJGK” nennt. Ohne eben dieses Recht auf Abweichung können die heutigen pluralen europäischen Gesellschaften schlechterdings nicht bestehen.

Der Sportclub Hakoah WienDoch zurück zum Fußball. Dem Sportclub Hakoah Wien ist in dem neuen Band gleichfalls ein Artikel gewidmet. Der einzige Enzyklopädie-Beitrag zum Thema Sport übrigens. Erzählt wird, so Kirchhoff, am Beispiel dieses Sportvereins die Geschichte von Exklusion und Integration, von Selbstbehauptung und dem Kampf um politische und gesellschaftliche Anerkennung der Juden Wiens und Österreichs seit der Vereinsgründung 1909.

Das Besondere an dem Verein: Hakoah gelang 1925 der Gewinn der österreichischen Fußball-Meisterschaft gegen die arrivierten deutsch-österreichischen Vereine Wiens.

Der Verein erlebte nach dem Holocaust ein Comeback. Doch es brauchte bis zum März 2008, dass auf einem Drittel des von den Nazis 1938 beschlagnahmten Vereinsgeländes Hakoah Wien wieder eine Heimstatt in Gestalt eines Sportzentrums fand.

Haskala ist Schlüsselthema

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Enzyklopädie jüdischer
Geschichte und Kultur

Dan Diner, Metzler, J B Verlag 2012, 229,95 Euro

Frauke von Rohden vom Simon-Dubnow-Institut referierte zum Thema “Jüdische Aufklärung in der EJGK”. Sie schilderte Werden und Wachsen der Haskala, der innerjüdischen Aufklärung. Hierbei standen die Entwicklungen in den absolutistischen Monarchien Preußen, Österreich und Russland im Mittelpunkt. Für die Leipziger Historikerin bildet der Artikel zur Haskala einen “Schlüsselartikel” der Enzyklopädie. Er öffne gleichsam die Türen zum Verständnis anderer Artikel.

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