Es gibt Städte in Deutschland, die sind so vollgestopft mit Geschichte, dass man eigentlich gar nicht damit rechnet, ihnen noch in der Realität zu begegnen. Sie sind Pompeji oder dem Alten Rom näher als der Möglichkeit, sie im Fahrplan der Deutschen Bahn wiederzufinden. Deswegen ist Michael Schulze wohl auch lieber mit dem Auto nach Augsburg gefahren. In das alte "Augusta Vindelicum", 2.000 Jahre alt.

Dagegen sind Leipzigs 1.000 Jahre wirklich ein Witz. Zumindest ein statistischer, denn natürlich lebten auch im Jahre 8 vor Chr. am Zusammenfluss von Pleiße, Parthe und Weißer Elster schon Leute. Nur bauten sie keine Militärlager, schrieben keine Rechenschaftsberichte nach Rom, und mit Stein als Baumaterial hatten sie es auch nicht so. Deswegen wird zwar eine Menge herbeigeredet über die ach so legendäre Kreuzung von via imperii und via regia. Aber aus der Augsburger Perspektive sind das alles neumodische Dinge.

Es gibt auch noch ein paar römische Funde und Repliken zu besichtigen in der alten Bischofsstadt. Und Bischofsstadt war Augsburg schon, da hatten die Ottonen ihre Osterweiterungen noch gar nicht begonnen. Da hatte Kaiser Karl gerade mal die Sachsen geschlagen. Der karolingische Dom wurde 807 geweiht. Aber Augsburg spielte noch viele Jahrhunderte eine spannende Rolle in der deutschen Geschichte. Und das hatte auch mehrfach mit Sachsen und Leipzig zu tun. Das begann mit den Fuggern und Welsern, die in Augsburg ihre Handelsimperien aufbauten und so reich wurden, dass sie im 15. und 16. Jahrhundert nicht nur Kaiser und Könige finanzierten, sondern auch den Welthandel aufmischten – und natürlich auch in Leipzig aktiv wurden.Die Stadttour, die Michael Schulze ausgewählt hat, hat mehrere Stationen, an denen man den Fuggern begegnet – bei ihren eindrucksvollen Fuggerhäusern (Nr. 29) genauso wie in der Fuggerei (Nr. 18) und am Fuggerplatz (Nr. 3) mit dem Denkmal für Hans Jakob Fugger. Man erfährt so nebenbei, dass es bis heute mehrere Zweige der Familie Fugger gibt – erfolgreiche und weniger erfolgreiche. Von beiden hört man nicht mehr viel. Reichtum verhüllt sich in modernen Zeiten lieber. Deswegen glaubt man oft, man schaut sich 500 Jahre alte Geschichte an – dabei sieht man nur den fernen Anfang. Die Gegenwart versteckt sich.

Maximilian dem I. begegnet man in Augsburg mehrmals. Der Kaiser weilte so oft in der Stadt, dass ihn die Augsburger schon schelmisch Bürgermeister von Augsburg nannten. Dabei war er einer der fleißigsten deutschen Kaiser. Die Leipziger verbinden mit ihm die Gewährung des Messesprivilegs von 1497. Die Maximilianstraße in Augsburg und die Maximilianallee in Leipzig haben eine Menge miteinander zu tun. Und die beiden Kirchen auf dem Titelblatt dieses kleinen Stadtführers – die Evangelische Ulrichskirche (klein und bescheiden im Vordergrund) und die große Kirche St. Ulrich und Afra groß dahinter – ebenso. Denn die stehen für den Augsburger Religionsfrieden, das Nebeneinander der katholischen und der protestantischen Konfession in deutschen Landen, das 1555 in Augsburg in Text gefasst wurde. Die Augsburger haben sich daran gehalten und Religionsfrieden gelebt. Die Herren in deutschen Landen aber, wie sie immer sind, haben die verschiedenen Bekenntnisse zum Vorwand genommen, um 1618 den schlimmsten Religionskrieg vom Zaun zu brechen, den Deutschland je erlebt hat.

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Dass dabei auch Augsburg litt – keine Frage. Fürsten ist meistens piepegal, was aus ihren Untertanen wird, wenn sie nur Krieg spielen können. Da unterscheiden sich die Fürsten des 17. Jahrhunderts in nichts von denen der aktuellen Zeit. Kleiner Trost ein paar Straßen weiter: Man kann Mozart besuchen. Denn in Augsburg wurde 1719 Leopold Mozart geboren, der Vater vom Wolfgang Amadeus. Der 1777 die Heimatstadt seines Vaters besuchte und hier womöglich mit seiner Cousine Marianne Thekla sehr, sehr Schönes erlebte. Seine Briefe an das “Bäsle-Häsle” zeugen noch heute davon. Auch das lohnt die Fahrt nach Augsburg. Ohne Papa Leopold würde uns heute der “Don Giovanni” fehlen. Aber was würde uns ohne das Bäsle fehlen?

Um zum nächsten Schwerenöter zu kommen, müssen wir freilich die ganze lange Strecke zurück laufen bis zur Barfüßerstraße. Da treffen wir nämlich Bertolt Brecht, den “listigen Augsburger”. Hier steht er ganz rot vor seinem Geburtshaus, als wäre das ganz selbstverständlich. War es aber in Augsburg lange nicht. Die Stadt tat sich schwer mit diesem Burschen, bis sie sich 1981 aufraffte, das Geburtshaus zu kaufen und in ein Brechthaus umzubauen. Natürlich sieht man hier nichts, was den Dichter prägte – mal vom Lech abgesehen, der hinterm Haus fließt. Denn Familie Brecht hielt es in dem Handwerkerhaus nicht lange aus – unten arbeitete ein Feilenhauer. Da zog man lieber schnell um.

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Augsburg an einem Tag
Michael Schulze, Lehmstedt Verlag 2013, 4,95 Euro

Bertolt ging dann zwar nach München zum Studieren, wurde aber lieber Autor und Dichter und wurde nicht, was man in anständigen Familien Augsburgs sonst so wurde. Auch Städte wie Augsburg können manchmal etwas engstirnig sein, unschlüssig zwischen den Zeiten. Den guten alten Zeiten, die in Augsburg auch teilweise wirklich schön und bezaubernd sind, und den modernen, die immer nicht passen, aber trotzdem kommen. Fehlt also noch einer: Rudolf Diesel, der beim Vorgänger der Maschinenfabrik Augsburg (MAN) mit Hilfe von Friedrich Krupp den Dieselmotor entwickelte, mit dem heute die halbe Welt fährt.

Man kann was entdecken in Augsburg. Vielleicht an einem Tag und in 30 Stationen wie in diesem flotten Stadtführer, vielleicht auch gemütlicher. Immerhin ist man in Bayern, da kann man’s auch ein bisschen geruhsamer angehen lassen. Und eine schöne Straßenbahn haben sie da auch.

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