Cornelia Falken, Landtagsabgeordnete der Linken im Sächsischen Landtag, hat vielen ihrer Kollegen etwas voraus: Sie ist bildungspolitische Sprecherin und kommt auch tatsächlich aus diesem Metier. Im L-IZ-Interview erklärt sie, warum das sächsische Schulsystem trotz guter Studienergebnisse schlecht sein soll, was das Bildungspaket für sie ist und warum sächsische Schüler nichts für ihre Bücher bezahlen sollen.

Frau Falken, in einer Studie der Bertelsmann-Stiftung und des Instituts für Schulentwicklungsforschung (IfS) wurden dem sächsischen Schulsystem kürzlich in Sachen Ganztagsbetreuung und Förderung vergleichsweise gute Noten eingeräumt. Welche Noten würden Sie dem sächsischen Schulsystem geben und warum?

Bei den Ganztagsangeboten profitiert der Freistaat in der Studie noch immer von der Tradition des Hortes aus DDR-Zeiten. Es gibt Bundesländer, in denen eine Hortbetreuung an den Schulen nicht üblich ist. Das erklärt das vergleichsweise gute Abschneiden. Während sich der Freistaat aber auf schulische Ganztagsangebote beschränkt, sind in anderen Bundesländern die Ganztagsschulen längst Standard. Hier ist der Nachholbedarf des Freistaates groß. In Sachsen werden jedoch Schüler viel zu wenig individuell gefördert, weil die Rahmenbedingungen es nicht zulassen. Hier gibt es große Reserven, denn noch immer verlässt jeder zehnte Jugendliche die Schule ohne Abschluss.

Insgesamt ist das sächsische Schulsystem ungenügend: Es schließt aus, ist fast gar nicht durchlässig, es fördert zu wenig individuell und es verstärkt soziale Ungleichheiten.

Es heißt stets, dass das sächsische Schulsystem im bundesdeutschen Vergleich gar nicht so schlecht ist. Sie haben allerhand zentrale Kritikpunkte. Wie geht das zusammen und auf welchen objektiven Fakten beruht Ihr Urteil?

Das Sprichwort sagt, dass dort, wo viel Licht ist, auch viel Schatten ist. Die Linke will die Erfolge der sächsischen Schule keineswegs kleinreden. Wir machen jedoch darauf aufmerksam, dass die zahlreichen Bildungs- und Schulstudien in aller Regel Durchschnittswerte ergeben oder lediglich einen besonderen Bereich unter die Lupe nehmen. Ein Gesamtbild vom sächsischen Bildungswesen muss man sich als Bildungspolitikerin selbst erarbeiten. Und bei dieser Arbeit stütze ich mich auf keine anderen Quellen als die Bildungsforscher auch, also diverse mehr oder weniger seriöse wissenschaftliche Studien, die Veröffentlichungen des statistischen Landesamtes und des Bundes. Dazu kommen unzählige Gespräche mit Schülerinnen und Schülern, mit Eltern und mit Lehrerinnen und Lehrern. Wenn ich bei all dem zu einer eigenen Auffassung von dem gelange, was in Sachsens Schulen gut oder schlecht läuft, dann stelle ich das öffentlich zur Diskussion. Der öffentliche Streit wird zeigen, ob meine Argumente überzeugen oder nicht.

Sie sprachen sich offen für Gemeinschaftsschulen aus. Welche Vorteile sehen Sie in dieser Schulform?

Gemeinschaftsschulen – so wie wir sie verstehen: also längeres gemeinsames Lernen über die vierte Klasse hinaus – ermöglichen durch ihren integrativen pädagogischen Ansatz einen sinnvollen Umgang mit sozialer und kultureller Vielfalt. Vom gemeinsamen Lernen profitieren Schülerinnen und Schüler mit schwächeren Lernleistungen und schlechteren Lernausgangslagen genauso wie die leistungsstarken Schülerinnen und Schüler. Nicht zuletzt ist die Gemeinschaftsschule besonders im ländlichen Raum das einzig sinnvolle Schulmodell, trotz des demografischen Rückgangs noch eine Schule vor Ort betreiben zu können.Warum gibt es sie dann nicht?

Die Frage müssen Sie eigentlich den Gegnern der Gemeinschaftsschule stellen. CDU und FDP haben in ihrem Koalitionsvertrag die Einstellung des Schulversuchs “Schulen mit besonderem pädagogischen Profil/ Gemeinschaftsschulen” verankert. Das ist mittlerweile gegen den massiven Protest von Eltern und Schülern der Gemeinschaftsschulen geschehen. Einer der wenigen innovativen schulorganisatorischen und pädagogischen Ansätze im sächsischen Bildungswesen ging damit zu Ende. Während andere Bundesländer, wie das von CDU und SPD regierte Thüringen, die Gemeinschaftsschule einführen, lehnt die hiesige Regierungskoalition das strikt ab.

Erst letzte Woche hat Sachsen mit fünf anderen Bundesländern verabredet, dass ab 2016 die Abituraufgaben aus demselben Pool kommen werden. Eine Entscheidung in Ihrem Sinn?

Wer meint, dass Kultusminister Wöller mit dem genannten Vorstoß die Tür zur Überwindung des Bildungsföderalismus öffnen wollte, irrt gewaltig. Hinter der Aktion verbirgt sich eine einseitige Profilierung zugunsten der Hochschulreife, letztlich ein elitärer Ansatz. Denn Wöller geht es ausschließlich darum, das sächsische Abitur zum alleinigen Maßstab zu machen.

Wichtiger noch, als ein einheitliches Abitur zu ermöglichen, wäre es, die Stundentafeln in ganz Deutschland anzugleichen, um die Voraussetzungen zu schaffen, in ganz Deutschland gleichwertige Schulabschlüsse zu erreichen. Grundsätzlich setzen wir Linke uns für die Aufhebung des Föderalismusprinzips im Bildungsbereich ein.

Sie selbst kommen aus dem Lehrer-Metier. Ist es für Sie schwer, als ausgebildete Pädagogin unter den Polit-Kollegen, die oftmals aus anderen Branchen kommen, Diskussionen zu Bildungsthemen zu führen?

Oft ist es notwendig, meinen Kolleginnen und Kollegen im Landtag Zusammenhänge im Schulbereich zu erläutern, um kompetent über Probleme diskutieren zu können. Meine Ungeduld steht mir da, ehrlich gesagt, manchmal im Weg. Aber ich erlebe die Kolleginnen und Kollegen im Landtag als ausgesprochen aufgeschlossen und interessiert.

Im Dezember brachte der Koalitionsausschuss das so genannte Bildungspaket ins Rennen, um angeblich den Lehrermangel zu beheben. Wie ist Ihre Sicht auf dieses Paket?

Mit den darin enthaltenen Maßnahmen sollte in erster Linie dem akuten Lehrermangel begegnet werden. Nicht einmal zwei Monate später räumt selbst die Koalition kleinlaut ein, dass es sich wohl nur um eine Verhandlungsgrundlage handeln könne.

Unterm Strich bedeutet Wöllers Bildungspaket sogar einen strategischen Personalabbau. Es besagt, dass bis zum Schuljahr 2015/2016 etwa 2.200 neue Lehrer eingestellt werden. Im gleichen Zeitraum scheiden 3.545 Lehrer aus.

Die eigene Bedarfsprognose des Kultusministeriums beziffert die Abgänge folgendermaßen: Bis 2020 scheiden mindesten 7.793 Lehrkräfte aus dem Schuldienst aus. Bis 2025 kommen weitere 6.699 Personen hinzu und bis 2030 sind es weitere 7.333 Lehrkräfte, die die Schulen verlassen. Insgesamt sind das 21.825 Personen oder 73,25 % Prozent des gesamten Personalbestandes.

Wie sieht Ihre Lösung für das Problem des Lehrermangels aus?Seit nunmehr fünfzehn Jahren fordert die Linke im Sächsischen Landtag die CDU auf, ein Personalkonzept für den Lehrerbereich vorzulegen. Die Entscheidung der Staatsregierung, eine extreme Teilzeit festzulegen, zum Beispiel bei den Grundschullehrern auf 57 Prozent seit 1997, hat dazu geführt, dass der Lehrerberuf für junge Menschen nur wenig attraktiv ist. Nicht nur die Bezahlung, sondern auch die Rahmenbedingungen an sächsischen Schulen zählen zu den schlechtesten im bundesweiten Vergleich.

Wir brauchen mehr Studienplätze für zukünftige Lehrerinnen und Lehrer, um den notwendigen Lehrerbedarf in Sachsen auszubilden. Wir brauchen ausreichend Stellen für Referendare. Wir brauchen ein Seiteneinsteigerprogramm, um den akuten Bedarf zu decken. Und ja, natürlich, wir brauchen auch gut ausgebildete Lehrer aus anderen Bundesländern. Dazu müssen sich die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung in Sachsen verändern.

Dieses Thema ist eine große Zukunfts-, aber auch eine Geldfrage. In Sachsen ist das bekanntlich knapp. Sie treten für Lehrmittelfreiheit ein, also dafür, dass Schüler ihre Lehrbücher behalten dürfen. Das hat gewiss Vorteile, aber das muss dann auch noch jemand bezahlen.

Laut sächsischer Verfassung haben unsere Schülerinnen und Schüler einen Rechtsanspruch auf kostenloses Schulmaterial. Dennoch werden sie regelmäßig mit erheblichen Kosten für Lernmittel belastet. Um diesen Rechtsbruch endlich zu beenden und den in der Verfassung verankerten Anspruch des Schülers bzw. der Schülerin auf unentgeltlichen Unterricht umzusetzen, hat die Linke im Sächsischen Landtag ein Lernmittelfreiheitsgesetz eingebracht. Lernmittel sind demnach nicht nur die Schulbücher. Vielmehr sind auch andere Druckwerke wie etwa Atlanten, Tafelwerke, Lexika, Wörterbücher, Ganzschriften, Arbeits- und Übungshefte sowie sonstige Lern- und Arbeitsmaterialien wie etwa Kopien aus Schul-, Arbeits- und Übungsbüchern, Werkstoffe, Rechenstäbchen, Taschenrechner und Musikinstrumente als Lernmittel zu fassen, da sie für den Unterricht notwendig sein können und zur Nutzung für den einzelnen Schüler bestimmt sind. Wenn wir unsere Verfassung ernst nehmen, dann müssen wir die Kosten dafür aufbringen.

Kommen wir zum Thema Inklusion: Bis März sollte eine Expertenkommission einen ersten Plan zur Umsetzung des Artikels 24 der UN-Behindertenrechtskonvention vorlegen. Jetzt gibt es wohl den ersten Plan – aber vom Kultusministerium …

Mit der Ratifizierung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung durch den Bundestag ist die Forderung nach einem inklusiven Bildungssystem seit Ende März 2009 auch in Deutschland geltendes Recht. Damit hat jedes Kind auch einen individuellen Rechtsanspruch auf einen diskriminierungsfreien Zugang zur allgemeinen Schule. Inklusion erfordert eine grundlegend neue Lehr- und Lernkultur, die jedes einzelne Kind in seiner Individualität respektiert und wertschätzt, die die Fähigkeiten jedes Kindes erkennt und fördert und jedes einzelne Kind zum bestmöglichen Lernerfolg führt. Das gelingt nicht von heute auf morgen. Dies darf aber keine Ausrede sein, es auf die lange Bank zu schieben.

Der Einsetzung einer Expertenkommission im Auftrag des Sächsischen Landtages haben wir zugestimmt, weil sich der Kultusminister weigerte, in Sachen Inklusion aktiv zu werden. Er hat allen Ernstes behauptet, in Sachsen gäbe es bereits ein inklusives Bildungswesen. Eigentlich aber brauchen wir die Expertenkommission nicht. Die Linke hat sich schon immer für Inklusion eingesetzt. Schließlich fordern wir “eine Schule für alle”. Und das meint nun mal alle.

Beim Thema Unterrichtsausfall erhebt Ihre Fraktion seit Ende vergangenen Jahres die tatsächlichen Zahlen. Wie weit sind sie inzwischen?

Die Aktion läuft noch, wird demnächst erst abgeschlossen. Insofern kann ich noch keine Auswertung vornehmen. Das Echo fällt unterschiedlich aus. Die Angaben zum Unterrichtsausfall, die uns bisher übermittelt worden sind, bestätigen unsere Befürchtungen.

Letztes Thema: Die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes haben das erste Angebot der Arbeitgeber über eine Lohnerhöhung abgelehnt. Sie sind Kreisvorsitzende des GEW-Kreisverbandes Stadt Leipzig. Werden sich die Streiks von Erziehern in Leipzig ausweiten und: Was verdient man eigentlich derzeit als Lehrer und Erzieher nach fünf Berufsjahren?

Die aktuelle Tarifauseinandersetzung bezieht sich ausschließlich auf Beschäftigte des Bundes und der Kommunen. Das heißt, es geht um die Erzieher, wenn Sie nach meiner Gewerkschaft fragen. Die Streiks werden sich auch in der Stadt Leipzig massiv ausweiten. Es gibt zahlreiche Kitas und Horte, die sich bereit erklärt haben, an den Streiks teilzunehmen.
Eine Erzieherin hat nach fünf Dienstjahren bei Vollbeschäftigung einen Bruttoverdienst von zirka 2.350 Euro in der Entgeltgruppe 6. Leider ist aber gerade bei Erzieherinnen die Vollbeschäftigung nicht die Regel.

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