Bislang waren es die Proteste der Studierenden und der betroffenen Institute, die die Diskussion um die angekündigten Stellenstreichungen an der Universität Leipzig geprägt haben. Doch auch der Mittelbau der Universität hat sich jetzt mit einem Offenen Brief an die Universitätsleitung zu Wort gemeldet. Tenor: Lasst euch nicht zum Handlanger machen.

So schreiben es die Mitglieder des akademischen Mittelbaus zwar nicht. Aber sie legen den Finger in die Wunde. Denn mit dem so genannten “Hochschulfreiheitsgesetz” hat die schwarzgelbe Landesregierung die Rektorate der Hochschulen zu Erfüllungsgehilfen ihrer Politik gemacht. Nicht die Wissenschaftsministerium Sabine von Schorlemer (parteilos) muss erklären, welche 1.042 Stellen sie in Sachsens Hochschulen gestrichen sehen will, obwohl sie es war, die es angewiesen hat. Die Hochschulleitungen müssen die Opfer selbst zum Schafott führen. Und zwar das volle angewiesene Kontingent. Sonst gibt es finanzielle Sanktionen für die Hochschule. Und 24 zu streichende Stellen im Jahr, das geht auch an der Universität Leipzig nicht ohne Schließung ganzer Institute. Und weil das in den nächsten Jahren so weiter geht, ist auch schon die Schließung von Fakultäten im Gespräch.

So wie es Rektorin Prof. Beate Schücking gesagt hat: Die Universität muss selbst anfangen, sich ihre Glieder zu amputieren.

Aber das – so kritisieren jetzt die Lehrkräfte aus dem Mittelbau – schädige nicht nur den Ruf, sondern auch die Substanz der Hochschule. Und es vertrage sich nicht mit dem Leitbild der Hochschule. “Alle Hinweise des Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst auf die ‘Autonomie der Hochschulen’ und sogenannte ‘Überlaststellen’ führen einzig das mangelnde Vermögen der Entscheidungsträger in Dresden vor Augen, bildungspolitisch zukunftsfähige Entscheidungen zu treffen und sind vor dem Hintergrund der Ereignisse geradezu zynisch”, stellen die Briefschreiber fest. “Allen politischen Zwängen zum Trotz müssen wir jedoch auch das Agieren von Seiten des Rektoratskollegiums entschieden zurückweisen, ist dieses doch die gewählte Vertretung der Universität, keine Verwaltungsebene des Ministeriums.”

Sie könne nicht einfach streichen, wenn das Ministerium fordert: Streicht!

“Gemäß einer Besinnung auf das Leitbild der Leipziger Universität ist daher zwingend eine Korrektur des Handelns von Seiten des Rektoratskollegiums erforderlich. Es ist für uns nicht akzeptabel, dass sich die Stellungnahmen von Staatsregierung und Rektorat in gegenseitigen Schuldzuweisungen erschöpfen. Wir fordern Sie als Rektoratskollegium und Verantwortliche für die Zukunft unserer Universität auf, auf die realen Verhältnisse zu reagieren und auf konstruktive Lösungsansätze zum Erhalt der Fächervielfalt in Leipzig und Sachsen insgesamt zu dringen”, heißt es im Brief der Universitätsangehörigen. “Die Zielvereinbarung zwischen Rektorat und Staatsregierung kann nur dann eine Grundlage sein, wenn die darin explizit enthaltene Stärkung der Geistes- und Sozialwissenschaften nicht reine Theorie bleibt, sondern auch in der Praxis erfolgt.”
Doch wenn nun ausgerechnet die Theaterwissenschaften, die Romanistik und die Klassische Archäologie zur Disposition stehen, dann trifft es wichtige Kernfächer der in Leipzig heimischen Geistes- und Sozialwissenschaften, die den Ruf der Alma Mater wesentlich mitbegründen. Viele junge Leute bewerben sich hier, weil diese Fächervielfalt da ist und sich die Fächer auch gegenseitig befruchten. Nicht aus universitären Monokulturen entspringt geistiger Reichtum und Innovation, sondern aus der gelebten Vielfalt. Die hat durch die Bologna-Reform sowieso schon Schaden genommen. Aber was Sabine von Schorlemer angewiesen hat, greift schon an den Lebensnerv und das Selbstverständnis der Universität.

Dass es auch die Stadt und das Land betrifft, das haben in Leipzig selbst die Parteien begriffen – mit Ausnahme der CDU, die immer noch glaubt, die für Leipzig so wichtige Universität sei tatsächlich noch autonom.

“Der Freistaat Sachsen ist als Bildungs- und Kulturlandschaft zu erhalten und perspektivisch zu stärken, nicht nachhaltig zu schädigen, wie es aktuell geschieht”, schreiben die Akademiker in ihrem Brief. “Die Universität als größter Arbeitgeber der Stadt Leipzig und als Anziehungspunkt für tausende von Studentinnen und Studenten, die die Stadt jedes Jahr kulturell, sozial und auch ökonomisch bereichern, muss gegen die Pläne der Staatsregierung in Dresden verteidigt werden.”

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Also kein Kotau und auch kein gemeldetes “Auftrag erfüllt!” Sondern ein eigener Plan, wie die universitäre Vielfalt bewahrt werden kann.

Dazu haben die Briefschreiber drei Forderungen formuliert:

1) Ein klares Bekenntnis des Rektorats zur Grundordnung der Universität auch im praktischen Handeln in Form eines sofortigen Moratoriums der Stellenstreichungen im Hochschulbereich.

2) Transparenz hinsichtlich künftiger Prozesse von Strukturveränderungen im Austausch mit Fachvertreterinnen und Fachvertretern, Angestellten und der Studentenschaft.

3) Einen zukunftsfähigen Plan, der die Fächervielfalt sowie nationale und internationale Wettbewerbsfähigkeit der Universität Leipzig erhält und den in vielen Bereichen einzigartigen Bestand an Wissen und Methoden, gerade auch in Form von historisch gewachsenen Sammlungen und Archiven, schützt.

Das liest sich sogar wie ein Forschungsprojekt: Wie kann man eine lebendige Universität retten, wenn in Dresden jemand an den Daumenschrauben dreht?

Der Offene Brief als PDF zum Download.

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