Das Zeitgeschichtliche Forum hat aufgeräumt. Ein großer Raum im Medienzentrum wurde frei geräumt. Jetzt hat das Forum einen neuen Ausstellungsraum im 3. Geschoss. Am Donnerstag, 13. Juni, wurde er mit einer ersten Ausstellung zum Hingucken eröffnet: "Science Fiction in Deutschland". "Wir mussten uns einschränken", sagt Dr. Christian Peters, Projektleiter der Ausstellung, die zuerst im Haus der Geschichte in Bonn gezeigt wurde.

Denn Science Fiction (SF) ist ein weites Feld – seit den 1920er Jahren dominiert vom us-amerikanischen Autoren und Verlagen. Natürlich gab es sie auch in Deutschland. Mit dem Siegeszug der Industrialisierung fasste sie auch hier Fuß. Doch gibt’s an dieser Stelle schon den ersten Schnitt. Das erste Modul der Ausstellung startet mit den 1920er Jahren – mit Fritz Lang und seinen beiden legendären Filmen “Metropolis” (1927) und “Die Frau im Mond” (1929). Ausschnitte aus diesen Filmen, die mit kühner Vision überhaupt erst das Genre des SF-Filmes begründeten, gibt es zu sehen.

Deutschland war damals ein modernes Land. Man vergisst es fast, wenn man den Sturz in die mittelalterliche Finsternis von 1933 so sieht. Fritz Lang fragte extra beim deutschen Raketenpionier Hermann Oberth nach, als er seinen Film “Die Frau im Mond” drehte. Aber ein Höchststand an technischem Wissen garantiert eben noch nicht, dass eine Gesellschaft menschlich ist. Man ahnt, warum die Ausstellungsmacher hier einen ersten Schnitt gesetzt haben. Denn mit dem Wörtchen “science” steckt die ganze Widersprüchlichkeit des Genres in “Science Fiction”.

Für Peters ist die Ausstellung eine “Zeitreise in die Vergangenheit der Zukunft”. Und mit einigem Recht fragt er auch, ob es die alte SF eigentlich noch gibt. Die Ausstellung hat auch am Ende einen scharfen Cut: in den 1980er Jahren, in denen die Dystopien überwogen, die Folgen des überschäumenden Glaubens an die Wohltaten der Technik in immer schwärzeren Szenarien und Endzeit-Geschichten beschrieben und verfilmt wurden. Bleibt da nur noch die Parodie? – Bully Herbig mit “(T)Raumschiff Surprise” grüßt von der Wand.

Da hat der Besucher fünf komplette Module passiert, jedes gestaltet wie die Kommandozentrale eines der unzähligen Raumschiffe, die seit den 1960er Jahren über Leinwände und Bildschirme gerauscht sind. Das zweite Modul zeigt, was nach dem selbst so hochtechnisierten 2. Weltkrieg aus der SF in Deutschland wurde. Ein geteiltes Land zwar – aber hüben wie drüben blühte der Glaube an die Segnungen der Atomkraft. Hübsch parallel mit der Verteufelung des jeweiligen Erzfeindes. Aber auch diese Zeit kannte schon ihre Dystopien – ihre mahnenden Geschichten über eine Welt nach dem Atomschlag. Der nagende Zweifel war immer da, auch wenn die Wundergläubigkeit in Sachen Technik dominierte. Bis heute dominiert.

In den 1960er Jahren begann dann die Weltraumfahrt die SF zu beherrschen, stachelte der “Wettlauf zum Mond”, den USA und UdSSR austrugen, die Begeisterung für Bücher und Filme an, in denen unbekannte Weiten, ferne Galaxien angepeilt wurden. Die Ernüchterung kam in den 1970er Jahren, stellt Peters fest. Die SF wurde nüchterner, beschäftigte sich mit den zunehmend als negativ empfundenen Folgen der hochtechnisierten Gesellschaft, kümmerte sich um die alles erdrückende Warenwelt und die sichtlich demolierte Natur.
Auch die DDR mit ihrem Versuch eines eigenen Weges kommt vor. Immerhin produzierte die DEFA auch vier SF-Filme, die heute selbst Klassiker sind – so wie “Solaris” und “Der schweigende Stern”, beides Filme nach Vorlagen von Stanislaw Lem, den es in der DDR ja auch zu kaufen gab. Die SF-Leser saßen nicht wirklich auf dem Trockenen im Osten. Und selbst osteuropäische Autoren wie die Strugazkis gehören heute zu den wichtigen Klassikern des Genres.

Die fünf galaktisch gestalteten Räume sind natürlich ein Hingucker für alle, die sich an SF berauschen möchten – mit vielen Filmutensilien. Mit Roland Emmrich hat Deutschland ja einen der prägenden Regisseure des Genres hervorgebracht. Man begegnet den legendären Heftreihen, unter denen die “Perry Rhodan”-Reihe natürlich die legendärste aus deutschen Landen ist. Man sieht die wachsenden Einflüsse der us-amerikanischen SF. Und man stolpert über das offene Ende, das natürlich den Finger in die Wunde legt: Was ist aus der alten SF eigentlich geworden?

Natürlich ist sie noch da. Doch Vieles, was vor 40, 50 Jahren die Leser berauschte, erweist sich als genau das, als was es Stanislaw Lem 1977 in seiner Rundum-Kritik “Phantastik und Futurologie” klassifizierte: Als dünner Aufguss der alten Western-Stories, ohne wirklichen Tiefgang, ohne wissenschaftliche Fundierung, ohne Sinn und … naja. Denn natürlich ist SF immer ein Vorgriff auf eine mögliche Zukunft, wie Peters betont. Und die wirklich guten Autoren des Genres haben sich mit dem aktuellsten Stand der Wissenschaft intensiv beschäftigt. So intensiv, dass ihre Bücher bis heute gültig sind und keineswegs veraltet wirken.

Während sich auch der größte Teil der in der DDR veröffentlichten SF – Jahrzehnte lang nach russischem Vorbild als Wissenschaftliche Phantastik oder Utopische Literatur bezeichnet – ebenso als unlesbare Tagesware entpuppt, wenn man sie heute zu lesen versucht. Was auch an einem Fakt liegt, den Prof. Dr. Rainer Eckert, Direktor des Zeitgeschichtlichen Forums Leipzig, benennt: Die DDR selbst war ja der Versuch, eine utopische Gesellschaft auf Erden zu verwirklichen. Der gnadenlos scheiterte, weil die “Schaffung eines neuen Menschen” gründlich misslang. Man kann den Menschen nicht einfach in der Retorte züchten, man muss ihn so nehmen, wie er ist.

Und am Ende erklärten die derart missverstandenen Menschen das Experiment DDR für beendet.
Der Besucher der Ausstellung wird trotzdem das fünfte Raumschiff-Modul verlassen und sich wie Christian Peters fragen: Und nun? – Die SF-Regale in den Buchhandlungen sind heftig ausgedünnt. Wichtige deutsche Verlage haben ihr SF-Programm eingedampft. Das heißt aber nicht, dass es die gute SF – auch die aus Deutschland – nicht mehr gibt. Der Name Frank Schätzing und sein Buch “Der Schwarm” wurde genannt. Karsten Kruschel, SF-Autor aus Espenhain, war zur abendlichen Ausstellungseröffnung am 13. Juni dabei.

Die SF erobert sich neues Terrain. Oft sogar, ohne dass es noch auf dem Cover steht. Ihr Zielpublikum sind nicht mehr die technikgläubigen Ingenieure, die nie wirklich Lust haben, darüber nachzudenken, was ihre neue Technik mit der Welt und den Menschen anrichtet. Man denke nur an die mittlerweile völlig bedenkenlosen Klon-Experimente, den massiven Missbrauch von Kommunikationstechnologie, das festhalten an Hochtechnologien, die ihre Gefährlichkeit längst bewiesen haben, die Spiele mit der Gentechnik oder das Ausufern der Überwachungstechnologien.

Leute wie Schätzing oder auch Autoren wie William Gibson beschreiben sehr anschaulich, wie sich eine Welt verändert, wenn sie immer weiter technisiert, aber auch privatisiert wird. Autoren wie Orwell und Huxley mit ihren beklemmenden Gesellschaftsvisionen sind so aktuell wie zu ihrer Zeit. Die Spreu trennt sich vom Weizen. Und auch die Dystopien eines Stanislaw Lem lesen sich heute hochaktuell.

Vielleicht nimmt man das Genre nur nicht mehr so wahr, weil es sich vom Glauben daran, mit Technik könnte man alle irdischen Probleme lösen, längst getrennt hat.

Die SF ist quasi mittlerweile in Modul Nr. 6 oder 7 angelangt und teilweise in aller Stille in die Regale für die “seriöse” Belletristik zurückgekehrt. Was Stanislaw Lem in diesem Sinne auch wieder bestätigt. Oder George Orwell, den sich Rainer Eckert seinerzeit genauso heimlich aus dem Westen zukommen ließ wie Ray Bradburys “Fahrenheit 451”. Was er im Fall Bradbury gar nicht hätte machen brauchen, denn das Buch gab es in der DDR 1974 tatsächlich zu kaufen. Beim Thema Bücherverbrennung waren die Genossen nicht ganz so sensibel wie beim Thema Überwachungsstaat (“1984”).

Hat ihnen aber trotzdem nichts genutzt.

Die Ausstellung “Science Fiction in Deutschland” ist im Zeitgeschichtlichen Forum vom 14. Juni 2013 bis zum 12. Januar 2014 zu sehen. Eintritt frei.

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