Was wissen wir wirklich über die Ereignisse in der Welt? Egal in welchem Land. Wie sehr sind die Nachrichten gefiltert, mit Interpretationen behaftet? Gern suggerieren sonore Nachrichtensprecher Abend für Abend, sie wüssten, was da auf ihren Filmclips zu sehen ist, sie würden die Akteure, Parteien und Interessen kennen. Etwa in den ukrainischen Städten Kiew, Donezk, Odessa. Am Freitag, 22. August, wird im Karl-Liebknecht-Haus der Leipziger Linkspartei die Ausstellung "Das Massaker von Odessa" eröffnet.

Augenscheinlich überlagerten sich dort die Ereignisse. “Am 2. Mai 2014 flohen Gegner der ukrainischen Regierung vor einem faschistischen Mob in das dortige Gewerkschaftshaus. Der setzte es in Brand; mehrere Dutzend ukrainische AntifaschistInnen und GewerkschafterInnen kamen in den Flammen um oder wurden vor dem Gebäude von den Faschisten brutal umgebracht, während die Polizei untätig blieb”, versucht Dr. Volker Külow, Vorsitzender der Leipziger Linkspartei, das Geschehene aus seiner Sicht zu interpretieren. Aber ist es die richtige?

Die “FAZ” in ihrem Beitrag zu dem Ereignis am 2. Mai: “Zu der Tragödie in dem Gewerkschaftshaus kam es, nachdem sich Regierungsgegner dort verschanzt hatten. Anhänger der prowestlichen Regierung in Kiew belagerten das Gebäude. Am Abend meldete die Polizei, dass das Haus in Brand gesteckt worden ist. Über die Täter wurde zunächst nichts bekannt. Das Innenministerium der ukrainischen Übergangsregierung sprach von ‘krimineller Brandstiftung’. Nach Behördenangaben starben einige Menschen, als sie aus dem brennenden Gebäude sprangen. Andere erlagen Rauchvergiftungen.”

42 Menschen kamen ums Leben, als das Gewerkschaftshaus in Brand gesetzt wurde. Bis heute scheint nicht wirklich geklärt zu sein, wer für den Brandanschlag verantwortlich war. Die Berichte in deutschen Medien waren recht spärlich. Einige gab es dennoch – etliche Tage nach dem 2. Mai. Manche Länder sind – wenn sie nicht gerade von explosiven Ereignissen erschüttert werden wie gerade die Ukraine – in der Berichterstattung wie nicht vorhanden. Und wenn sie dann auftauchen, dann wird gern mit simplen Schablonen gewertet, scheint in aller Simplizität ein Kampf zwischen Gut und Böse stattzufinden.

Die Ursachen der Konflikte und die verschiedenen Strömungen werden selten analysiert. Bis heute werden die Auseinandersetzungen in der Ukraine wie ein Kräftemessen zwischen dem Westen und Russland dargestellt. Dass die heutige Ukraine auch das Ergebnis mehrerer westlicher Experimente ist – darunter einer dem Land 1992 bis 1995 verordneten Schocktherapie nach der Blaupause der Chicago-Boys – wird kaum noch reflektiert. Dabei haben alle politischen Konflikte der Region ihre Wurzeln in den wirtschaftlichen Konflikten der jüngsten Vergangenheit. Im benachbarten Russland, das eine ähnliche Therapie in der Jelzin-Ära verpasst bekam, ist es nicht anders. Das Ergebnis sind Volkswirtschaften, die oft nicht einmal das Produktionsniveau der Sowjetära erreichen. Und das spielt autokratischen Entwicklungen in all diesen Ländern in die Hände. Ebenso nationalistischen Strömungen, die in der heutigen Ukraine ebenfalls eine Rolle spielen. Und ein Ergebnis dieser Schocktherapie (alles nachzulesen in Naomi Kleins Buch “Schocktherapie”) sind vor allem geschwächte Staatsapparate – Armeen, die wie jetzt die ukrainische Armee mit völlig veralteten Waffen versuchen, einen militärischen Konflikt in Griff zu bekommen, oder Polizeiapparate, die solchen Ausschreitungen wie in Odessa am 2. Mai nur tatenlos zusehen.

Bei einem Pressegespräch am 20. August im Karl-Liebknecht-Haus sprach Bernd Riexinger, Bundesvorsitzender der Linken, der zur Wahlkampfunterstützung in Sachsen weilt, auch die Tatsache an, dass auch andere Bürgerkriege der Gegenwart derzeit in Ländern toben, die einer solchen Schocktherapie der Chicago-Boys unterzogen wurden: im Irak ganz exemplarisch.

Opfer werden all jene, die dann von staatlichen Instanzen nicht mehr geschützt werden, wie die Toten aus dem Gewerkschaftshaus von Odessa.

Für Volker Külow sind auf den Fotos “Opfer der faschistischen Gewalt in Odessa” zu sehen. “Auf den mehr als 50 Fotos sind Grausamkeiten schlimmster Art festgehalten. Die Leipziger Linke hat sich trotzdem sofort bereit erklärt, die eigenen Räume im Liebknecht-Haus zur Verfügung zu stellen, als sich über die Tageszeitung ‘junge Welt’ die Möglichkeit bot, die Bilder nach Leipzig zu holen, denn es ist höchste Zeit, der völlig verzerrten Berichterstattung bzw. dem Schweigen über den 2. Mai entgegenzutreten.”

Doch wie schwer es ist, solche Bilder und Ereignisse zu interpretieren, betonen Leipzigs Grüne in einer Reaktion auf die Ausstellungsankündigung.

“Bei der Ausstellung geht es nicht um die ausgewogene Darstellung der in der Tat tragischen und schockierenden Ereignisse von Odessa. Das zeigt schon die völlig unangemessene Bezeichnung als ?Holocaust von Odessa?, die Volker Külow im russischen Begleittext auf seiner FB-Seite tagelang verbreitet und erst nach kritischen Kommentaren entfernt hat”, sagt Claudia Maicher, Landessprecherin von Bündnis 90/Die Grünen in Sachsen. “Dass er damit als deutscher Politiker allen Ernstes diesen schlimmen Brandanschlag mit dem industriell betriebenen Massenmord an sechs Millionen europäischen Juden gleichsetzte, ist absolut unerträglich. Auch wenn jedes der Opfer des Brandes in Odessa eines zu viel ist, betreibt Külow, der selbst Historiker ist, mit diesem Vergleich eine Geschichtsrelativierung, wie man sie sonst nur von rechts außen kennt.”

“Was dieses Thema im sächsischen Landtagswahlkampf zu suchen hat, ist mir ein Rätsel”, sagt Jürgen Kasek, Sprecher des Leipziger Kreisverbandes von Bündnis 90/Die Grünen. “Ein noch größeres Rätsel ist mir allerdings, wieso die Leipziger Linke, die sich weigert, mit Vertretern der rechtspopulistischen AfD auf Diskussionsveranstaltungen aufzutreten, im Ukrainekonflikt mit Organisationen kooperiert, die nationalistische, antisemitische und homophobe Positionen vertreten.”

Die Organisation, die Kasek anspricht, ist die kremlnahe Organisation CIS-EMO, die die Wanderausstellung gestaltet hat und ihre Interpretationslinie mitgegeben hat. Wie kritisch das zu sehen ist, darauf geht Julia Smirnowa in einem Beitrag der “Welt” ein, der auch deutlich macht, wie in Odessa die Staatsgewalt überfordert war und dass einfache Interpretationen zumeist falsch sind. Und ihr Beitrag zeigt auch, wie die Gewalt an diesem Tag eskalierte. Eine Tragödie, von der die gezeigten Bilder im Liebknecht-Haus natürlich erzählen. Nur muss man sich der komplexen Vorgänge an diesem Tag in Odessa bewusst sein.

Deutlich wird auch die Komplexität des Ereignisses in einem Beitrag des “Weltspiegel”: www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/weltspiegel/sendung/wdr/140511-weltspiegel-106.html

Der Beitrag von Julia Smirnowa in der “Welt”: www.welt.de/politik/ausland/article127870079/Was-geschah-in-Odessa-Protokoll-einer-Eskalation.html

Die Ausstellungseröffnung mit einem ukrainischen Augenzeugen des Anschlags auf das Gewerkschaftshaus findet am Freitag, 22. August, um 18 Uhr im Liebknecht-Haus (Braustraße 15) statt. Der Eintritt ist frei.

Die Ausstellung ist vom 25. August bis zum 3. September geöffnet. Montags und mittwochs von 9 – 16 Uhr, dienstags und donnerstags von 9 – 18 Uhr und freitags von 9 – 15 Uhr.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar