Sonntagabend in Deutschland. Belanglosigkeiten im TV und Kindergeschrei aus der Nachbarwohnung. Oder ein Besuch im Johannes Kirchbergs ganz privaten Kosmos, den Tom Reichel ihm in den Mund schrieb? Dann lieber Johannes. "Ich dagegen bin dafür" heißt sein neues Programm. Das Kabarett Sanftwut in der Mädlerpassage ist wunderbar ausverkauft.

Menschen in Abendgarderobe, für die ein Besuch im Kleinkunstuniversum Höhepunkt der Woche ist. Daneben hingeschmuddelte Journalisten, ein aufgeregter Texteschreiber und Regisseur Tom Reichel und Kirchbergs Ansage: “Willkommen Zukunft”. Unpolitisch korrektes Kabarett sollte es werden und wird es dann auch wirklich, Sprachfeinheiten werden hin- und hergeschüttelt, der schlaksige Johannes im feinen Zwirn und bestgelaunt, die Sangeskraft durchgängig im oberen qualitativen Bereich.

Immer wieder verweist der Protagonist darauf, dass das nicht politisch gemeint wäre, eher ästhetisch, was an Bissigkeiten durch den Raum fliegt und trifft. In Reichels Texten entworfen und von Kirchberg geschauspielert, entsteht so auf der Bühne eine absolut glaubwürdige Figur, hin- und hergerissen zwischen Wut und Melancholie, Witz und Wucht.

Da springen die Gedanken, da reist der Kulturbürger nach Italien und wünscht sich die Italiener weg, da beschwert sich der Sieger der Geschichte über seinen Wohlstand und sehnt sich das Verlieren im Luxus herbei. So wird Kirchberg zum biestigen Clown, inklusive rote Nase. Und durch das ganze Programm reist die Hauptfigur in die Beschränkungen der deutschen Seele und verschießt gleichzeitig Gift und Galle über alle imaginären Mauern, die so gern Sicherheit suggerieren.Seitenhiebe, gern mit dem Breitschwert verfochten – doch auch gekonnt mit dem Skalpell. Aktiver, passiver Widerstand, mehr Denkmäler – mehr Denken. Leichtfüßig hüpft Johannes durchs Themenportfolio, bleibt glücklicherweise nicht zu lange beim oft beschenkelklopften Frauen-Männer-Disput hängen, schafft es ebenso gekonnt, das große Globale ins Private zu zerren, damit es die Menschen betrifft, damit es die Menschen berührt. Ehekrise, Wirtschaftskrise, Euro-Krise – mein Parkplatz ist meine Volkswagenburg. Grandios geschrieben und perfekt interpretiert.

Die Kinderwagenschieberinnen werden Terroristenkriegerinnen und Serienmütter. Sie haben kleine Schläfer dabei. Mehr Sicherheit und das Denkmal der letzten unbekannten Überwachungskamera schreien förmlich danach, die Datensammler mit Datenfluten zu fluten. “Zuscheißen”, wie Kirchberg in Reichels Worten, koboldig und sogar etwas gemein herausschmunzelt. Der Abend hat Tempo, wird feinfühlig gedrosselt, wenn’s Zeit ist zu drosseln und Statements immer wieder, jeder Songtext so voll, dass Bands, wie The Subways, ganze Nächte daraus bestreiten könnten. Da zeigt sich wirklich Klasse. Die Fülle an Ideen so zu verpacken, dass die Aufmerksamkeit gehalten wird. Kleine theatralische Mittel formen den Bogen. Fein und konsequent.

Im zweiten Teil des Abends wird’s dann noch privater. Kirchberg ist nicht nur Kirchberg, sondern auch Jochen, der mit der coolen Brille und den noch intensiveren Problemen. So bleibt Kirchberg der Spötter und hinterfragt als Figur, die lieb gewordenen Slogans zu Ende gesungen, was wäre wenn, was wäre wenn Gott eine Frau wäre? Was wäre wirklich ganz zum Schluss?

Die Euro-Krise braucht dann auch nur zwei Minuten und schallenden Applaus. Der soziale Abwärtsvergleich, der die innere Ruhe so bitterböse wieder herstellt, ist zwar fies und finster, aber gern genommen im Selber-Erhöhen und andere niedermachen. Dazu Kirchbergs Gesang und immer wieder Chanson, so wie Chanson gemeint ist, Lieder mit Inhalt und festgezurrt in der Erden Feststellungen wie diese: Es wird ja nur homöopathisch schlechter.

Oder: Wir stellen jetzt die Ordnung wieder her – das ist unsere Bürgerwehr. Wo es doch nur ums Umräumen im Supermarkt geht, doch Sicherheit ist wichtig und Ängste vor jeder Veränderung geschürt und permanent. Oder: Ich kann nicht lügen, ich bin unpolitisch! Und zu guter Letzt die Frage aller Fragen: Was machen wir eigentlich, wenn die Welt nicht untergeht?

Hut ab vor Ihnen, Herr Reichel, Hut ab vor Ihnen, Herr Kirchberg! So gut wurde selten das Böse, das Infame so natürlich, so human, so immerdar im Menschlichen relativiert. Und ja, wir sind alle die Nachkommen von verdammten Feiglingen. Ein bisschen fehlt ein positiver Funken, ein Ausweg oder eine Idee am Ende der Wortkaskaden, der Negation der Negation der Negation der Negation. Nur eines, was doch lächeln lässt: Willkommen Gegenwart – und darauf, fast schon schüchtern: Dafür bin dagegen ich!

Johannes Kirchberg Online:
https://www.johannes-kirchberg.de/

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