Mit „Drunter + drüber. Das Magazin für Endlichkeitskultur“ gibt die Funus Stiftung ein Heft heraus, in dem sich die Autor/-innen immer wieder mit neuen Aspekten menschlicher Endlichkeit beschäftigen. Was bitter nötig ist in einer Zeit, in der unsere Sterblichkeit verdrängt wird. Oder als Thriller inszeniert, jeden Abend auf fast allen Kanälen zu erleben. Gern mit hübschen Frauen, die vom Vampir gebissen werden. Oder von finsteren Bösewichten hingemeuchelt.

Es ist ein uraltes Motiv, durchzieht praktisch die Kunst seit Jahrtausenden. Nicht immer so dramatisch inszeniert wie in Bram Stokers „Drakula“ oder Legionen von Splatter- und Horrorfilmen. Man findet das Motiv auch in vielen Liedern, Gedichten und Romanen der Romantik. Auch die großen deutschen Balladendichter spielten damit.

Es liegt so nah, weil es der größtmögliche Gegensatz ist: Hier pulsiert das blühende Leben – dort der Tod mit seiner Sense. Im Heft übrigens wieder in einem jenen schönen völlig offenen Dialoge von Herrn Tod und Frau Leben von Schwarwel auf den Punkt gebracht.

Vanitas

Sex spielt zwar in vielen dieser „Kunstwerke“ eine Rolle, mit denen dieser größtmögliche Konflikt in uns dramatisiert wird. Aber Sex steht dabei eigentlich immer für das Leben und seine immer neue Zeugung. Deswegen junge Frauen. Wer sonst sollte die Kinder kriegen? Und dann sterben sie einfach. Früher noch viel früher. Das vermisst man in der Themenbreite dieses Heftes völlig.

Ein Motiv, das auch mit der Grafik „Das Mädchen und der Tod“ von Hans Baldung Grien von 1548 zwar ins Bild gesetzt wird – aber die hohe Frauensterblichkeit im Kindbett, die dahinter steckt, wird nicht benannt. Schade.

Ebenso wenig die hohe Sterblichkeit damals, die ganz alltäglich junge Menschen aus dem „blühenden Leben“ riss. Für Bewohner der Städte Europas damals war dieser latente Schrecken jederzeit erlebbar. Die jungen, nackten Frauengestalten in den vielen Bildvariationen „Der Tod und das Mädchen“ erzählen eine andere Geschichte als die heute bis zum Exzess betriebene Inszenierung von Sex und Tod.

Am ehesten trifft noch ein Beitrag wie „Libido und Trauer“ diese Kluft in unserem Gefühlsleben.

Und natürlich kann man sich Gedanken darüber machen, warum Typen wie Haarmann oder Dahmer derart mediale Sensationen erzeugten, als wären ganze Gesellschaften von diesen Verbrechen und ihren sexuellen Konnotationen berauscht.

Was fehlt den Monstern?

Natürlich gibt es auch nüchterne Beiträge im Heft – wie von Lydia Benecke, die „Sexuelle Tötungsphantasien aus kriminalpsychologischer Sicht“ betrachtet – und unter anderem feststellt, das zwar eine Menge Leute solche Tötungsphantasien haben (im Vergleich mit der Gesamtgesellschaft aber wohl auch wieder nur eine Minderheit, die sich dann in bestimmten Foren trifft), aber nur eine kleine Anzahl von Leuten dann auch zu Mördern wird.

Und das hat weniger mit den Fantasien zu tun, sondern mit ihrer Unfähigkeit, sich in andere Menschen hineinzuversetzen, also gefühlsmäßig zu erfassen, was sie da tun. Oft sind es höchst rational agierende Personen, denen aber das Elementarste fehlt: das ganz normale menschliche Mitgefühl.

Was möglicherweise sogar noch besser erklärt, warum solche Morde soviel Publikumsaufmerksamkeit bekommen. Es ist nicht die Faszination, sondern das Entsetzen darüber, dass Menschen zu solchen Dingen fähig sind.

Wobei man im Heft durchaus auch – ganz nebenbei – erfährt, wie aus Menschen Soldaten gemacht werden, die keine Hemmungen mehr haben beim Töten. Aber eben nur ganz nebenbei. Dagegen fallen Themen wie Nekrophilie, Vampirismus, Autoerotische Selbsttötungen oder gar „Die erschreckliche Sünde der Selbstbefleckung“ ziemlich ab. Obwohl sie natürlich Zündstoff bieten.

Denn der verbissene Kampf der Kirche gegen die Onanie hat ja eine Menge mit Macht und Disziplinierung zu tun – und mit einer Verdammung von Liebe und Sex. Und natürlich der Lust am Leben.

Lebenslust und Tod

Da wird es nämlich wirklich spannend, wenn man sich überlegt, wie sehr die heutige Inszenierung von Mord und Grauen das Gegenstück zu dieser religiösen Verdammung der Lebenslust ist – und am Ende fast dieselbe Rolle erfüllt, nämlich das Entsetzen wach zu halten. Das nicht zur Sprache kommen darf.

Denn dann müssten wir über unsere Endlichkeit reden und unsere Verletzlichkeit. Und die nur zu begründete Angst, nie genug Liebe zu bekommen, bevor Herr Tod mit der Sense kommt und sagt: Jetzt ist Schluss.

Ein Moment, bei dem eigentlich die Gothic-Szene ins Bild kommen müsste, mit ihrer „Faszination für Themen wie Tod und Vergänglichkeit“. Kommt sie aber erstaunlicherweise nicht.

Denn die Typen, die irgendwie aus sexuellen Motiven andere Leute umbringen, sind nicht wirklich spannend. Auch wenn die Presse sie gern zu „Monstern“ stilisiert. Spannend ist das Leben, das Frau Leben so schön impulsiv gegen Herrn Tod verteidigt. Mit all seinen Konflikten, die in unserem Schädel permanent ausgetragen werden – auch dem Konflikt zwischen Lebenslust und Tod und Trauer.

Und während die religiöse Version der Vanitas dazu da ist, die Menschen abzuhalten, im Leben zu sündigen, weil sie sonst nicht in den stinklangweiligen Himmel kommen, haben Künstler das Vanitas-Motiv eben doch lieber als Mahnung gestaltet – sinnlich aufgeladen. Denn was ist sinnlicher als eine schöne Frau? Leben ist hier. Und wenn du es nicht lebst, gehst du mit leeren Händen raus aus diesem Leben. Hinterher gibt’s nichts mehr. Auch keine Belohnung. Nicht mal ein Eis.

Aber diese Abzweigung in der Themengestaltung hat das Autorenkollektiv leider nicht genutzt. Ich finde das schade. Aber vielleicht bin ich der einzige, der das so sieht. Grusel ich mich nicht genug? Aber da fällt mir doch glattweg ein altes Grimm-Märchen ein …

Drunter + drüber „Sex und Tod“, Funus Stiftung, Kabelsketal 2024, 11 Euro.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar