Denis Larisch spielt jetzt Herrn K. in Franz Kafkas "Prozess" in der Bühnenfassung von Christina Rast im Oldenburger Schauspiels. Anfang der 1990er war er in Leipzig junges Talent im Theater der Kinder, dann in der Medienwerkstatt der "Villa" an der Karl-Tauchnitz-Straße, im Theaterjugendclub des Schauspiels Leipzig, und da spielte er tonlos Geige im "Wienerwald"und schleppte als Statist Koffer über die Bühne. Petra Siegel und Burkhard Damrau ließen ihn "machen".

Nach dem Studium an Leipzigs Theaterhochschule und im Studio in Weimar spielte er allein in seiner ersten Saison in Quedlinburg, Halberstadt und Thale Woyzeck, Hamlet, Jesus in “Don Camillo” und den “Feuerzangenbowlen-Pfeiffer”. Es folgten Engagements in Erlangen und Oldenburg, dort auch Leonce, und diverse Herren in etlichen Kostümen in “Arturo Ui”. Kommenden Sommer geht Denis Larisch nach Mainz.

Wirre Situationen an Anfängen und Enden von Theaterstücken sind Denis Larisch nur ein Lächeln wert, Hamlet und Woyzeck hatte er schon intus, als die slapstickhaft-clownesk-artistische Zugfahrt “Kraut und Käse” in Oldenburg herauskam, in der sich vier vornehme Gauner begegnen, und das Publikum zu Lach- und Beifallsstürmen hinrissen. Kafkaesk war das allemal. Nun also Josef K.

Kohltourhauptstadt

Oldenburg treibt mit dem Grünkohl mannigfaltiges Marketing, “Grünkohltouren”, “Kohltourhauptstadt”, die Tourist-Information nennt sich “Schlauhaus”, die neuen “Schlosshöfe” sehen genauso aus wie Einkaufs-Center landauf landab aussehen und ansonsten ist Oldenburg “das Übermorgenland”. “Weil man doch an die Zukunft denkt, in der Universität zum Beispiel”, erklärt die Frau in der Tourist-Information. Und in den Fußgängerzonen ist das Fahrradfahren verboten. “Würde sich kaum einer trauen”, sagt eine Oldenburgerin, “da wird kontrolliert und das wird teuer!” Guten Über-Morgen!

Theater und Schule

Drei Schulklassen kommen abends ins Theater, schon zur “Einführung” mit Dramaturgin Catharina Hartmann im Foyer, Kafka ist Abiturstoff. Wo gibt’s Prosa vielschichtiger, als im Theater. Fragmente machen immer noch neugierig auf ihre Autoren. Zum Glück listet die Theaterwissenschaftlerin nicht die Regieeinfälle auf. In pädagogisch vorstellbare Aufgaben zur Entdeckung und Diskussion mischt sie sich nicht ein.

Man hängt die Jacken in die Theatergarderobe, Rucksäcke wollen mit in den Saal. Ohne Getränkeflaschen in Reichweite geht es nicht. Oldenburgs Publikum erlebt Kafka schon in Fortsetzungen, denn die “Verwandlung” gibt es bereits als Tanztheater im Repertoire.

Josef K. schleicht sich auf offener Bühne in sein Bett, wie Schatten drapieren sich die grauen Eminenzen um ihn herum. Mit dem Rampenlicht wird es Tag und Herr K. verhaftet. Ohne Angabe von Gründen. Die Antworten sind die Fragen.

Ein Bett, auswechselbare Wände, die mit Druckschrift tapeziert sind wie der Fußboden, und sich immer wieder neu und anders in den Weg stellende Türen genügen, wie in alten Zeiten der Salonkulissen auf der Bühne, gestaltet von Franziska Rast, der Schwester der Regisseurin und Autorin der Stückfassung. Wie im Fluge vergeht die Zeit, die Uhr tickt laut aus dem Off, zum Ende hin als Spieluhr, nervig und ermüdend, aufsaugend, das Spiel zerspielend.

Sieben Spieler in vielen Rollen

Weiß geschminkte Gesichter, alle anderen mehr, als Josef K., Personen in weiß, oder schwarz gekleidet, lange Mäntel in diversen Modellen des gleichen Schwarz-Tons, dazu die Hüte – das muss irgendwie so aussehen, stellt man sich Kafkas jüdisches Prag vor.

Keine Anklage, keine Verhandlung, keine Verteidigung: “Aus dem Prozess erwächst das Urteil”. Herr K. zweifelt und zweifelt an den Zweifeln. Aber Denis Larisch lässt ihn nicht verzweifeln. In immer neuen Auftritten, wie in Spielrunden, stellen sich neue Personen, Situationen, Fragwürdigkeiten ein, unterschiedlich ernst oder heiter oder offensichtlich falsch, von hintergründig bis hinterhältig. Schauspieler Rüdiger Hauffe zeigt in vertrauter Freundlichkeit normal-menschliche Züge in der Figur des Malers, in einer anderen Kunst zu Hause als in Schranken der Justiz.

Denis Larisch schwebt durch die Szenen, mal wie ein Conférencier, als gäbe es für Herrn Josef K. ein Publikum, mal mit körperlich-magischen Kräften inmitten der Traube aus Menschen oder Schatten um ihn.

Männer in Ballerinen-Kleidern, Schneeflocken von oben, blutrote Farbe auf Akteure und Wände geschmiert, erinnern an Konstanze Lauterbachs Bühnen-Bilder, lange ist es her, und immer wieder gern gezeigt. Da haben sich die szenisch-interpretatorischen Moden einmal im Kreis gedreht. Es wechseln die Zeiten, auch wenn die Zeitansagen sich ähneln.

Bis dahin hat Josef K. die Szene um sich herum zwar nicht im Griff, aber er gibt nie auf. Erst wenn er gefesselt und erstochen in Richtung Himmel entschwebt, sind alle Hoffnungen verflogen. Nach einem Moment von Stille und Anteilnahme schwingt sich ein lang anhaltende Publikumsapplaus auf.
Realität ist die Satire

Videosequenzen gibt es schauspielerfreundlicherweise nicht, Aktualitäten schweben außerhalb des Theaters genug herum, der Wulff-Prozess, der ihn einst als Bundespräsident aus dem Amt vertrieb, löste sich in Wohlgefallen auf. Das Verfahren um einen Handlanger, der Sponsorengelder für politische Events einsammelte und dafür Reisen genoss, geht weiter. Ist es nun statthaft, und keineswegs unehrenhaft, von Zeit zu Zeit dieses oder jenes einzelne Geschenk anzunehmen, wenn es sich doch um Freundschaften handelte.

Kafkaesk-Aktuelles: In der metrosexuellen Grundsatzdiskussion schreibt die “ZEIT”: ” Die gesellschaftliche Mitte ist verunsichert und fürchtet das eigene Verschwinden.” Was für ein Satz! Staatsanwälten und Richtern räumt eine Tagezeitung ein, dass “aufgestachelte Öffentlichkeit zu juristischen Fehlern führen könne …” Winterspiele in Sotschi bedeuteten nicht das Ende militärischer Gewalt. Leipziger Bürger müssen ihren Stadtrat verklagen, weil der ihnen ein Bürgerbegehren verwehrt. Und Leipziger Bürger schreiben an die Bundesregierung, weil sie ein stadtverwaltetes Freiheits- und Einheitsdenkmal nicht wollen … Die Handelnden suchen Urteil und Beurteilung.

Dichter-Legende

Seit 1973 steht “kafkaesk” im Duden, Wikipedia zitiert den Ausdruck als “bildungssprachlich”, gebraucht meistens für unheimliche Vorgänge zwischenmenschlicher Natur.

Kafkas große Zeit der Rezeption begann 20 Jahre nach seinem Tod. Nicht rätselhaft aber unheimlich erscheinen die Auktionspreise für Kafka-Handschriften. 2012 spielte ein vierseitiger Brief 96.000 Euro ein, ein Jahr später wurden für acht Seiten 125.000 Euro aufgerufen. Kafkas Freund Max Brod hatte die Schriften nicht vernichtet, wie gewünscht war. Um Franz Kafka, den im Leben manches einholte, was er literarisch anderen andichtete, soll es einst so übel bestellt gewesen sein, dass er Manuskripte verbrannte, um sich daran zu wärmen.

Es bleibt kafkaesk: “Richtiges Auffassen einer Sache und Missverstehen dergleichen Sache schließen einander nicht vollständig aus.”

Kein Aufstieg für Arturo Ui – diesmal

Zwei Tage später stand im Staatstheater Oldenburg “Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui” auf dem Spielplan. Doch krankheitsbedingt fiel die Vorstellung aus. Was tun an diesem Abend in Oldenburg? Die abendliche Stadtführung “Absolut Solera” mit der Dragqueen Gina Solera ist ausverkauft, wie auch überhaupt alle ihre Termine zwei mal monatlich bis November 2014 ausgebucht sind.

Bremer Stadtmusikanten

Vom THEATER LABORATORIUM hört man zuerst nur, dass dort Menschen und Puppen spielen. Am Freitagabend ist der Andrang auf die 182 Plätze groß, ein paar Leute sitzen auf der Treppe. Man weiß hier also gut, was beim Stücktitel “Die Bremer Stadtmusikanten” stattfinden kann. Es wird eine Serie von Überraschungen sein.

Pavel Möller-Lück hat sein THEATER LABORATORIUM bereits 1979 gegründet, vor ein paar Jahren erst zog es aus einer kleinen Behausung in eine ehemalige Turmhalle, deren Holzbalkendecke jetzt ganz anderes Interieur überspannt. Im Foyer-Café finden sich Ladenausstattungen und Möbel, die wahrlich gesammelt und erlesen sind. Diese Bühne lässt sich sommers bis in den Hof öffnen. Spartanisch getrennt in steile Zuschauertribüne und die Bühne ist der Theatersaal.

An der Grenze

Eine Grenzpostenstation ist auf der Szene zu sehen, weites Land auf den Prospekt gemalt. Postenhäuschen und Wachstube, Telefondrähte. Nach der Sprache der Mannschaft wähnt man sich irgendwo auf dem Balkan.

Alarm im Postenbereich! Ein Eindringling wird dingfest gemacht. Es ist ein Esel der einen Wagen zieht, der “nur mal gucken” wollte. Von der Gesundheit verlassen hat er Lust und Hoffnung verloren, eine jämmerliche Tiergestalt, dem abgeklapperten Hund, den er im Gepäck hat, geht es nicht besser, der sollte von seinem Jäger erschossen werden. Doch die Katze und Esel werden noch die Liebe finden, und der Hahn wird wie alle das Maul aufreißen, denn sie gründen eine Band und singen schon mal ihre Lieder…

Zwei Stunden geben drei Darsteller der uniformierten Wachmannschaft und zugleich die Puppenspieler Vollgas. Mit Temperament, Tempo, leisen Momenten und sauber ausgespielten Pointen. Und voll Stimme! Ganz ohne Elektroakustik. Besonders vielstimmig ist Pavel Möller-Lück in unzähligen Verwandlungen vom kroatisch-tümelnden Grenzer bis zu den Tieren.

Es stellt sich schnell die Magie des Figurentheaters ein, so dass die Puppen die Konzentration und das Mitgefühl auf sich ziehen. Aus dem Spiel geht das Sehen durch den Kopf, dem Spiel laufen dann nicht die Köpfe davon.

Lange dauert es bis man erfährt, dass dieser Posten am Ende der Welt die Grenze zwischen Leben und Tod bedeutet. (Man sollte nicht zu viel Theaterstück-Werbung schon vorher lesen wollen.)

Bei den Räubern

“Etwas Besseres als den Tod finden wir überall”, sagen sich die tierischen Freunde. Sie haben die Räuber gesehen, in ihrer Hütte… – klar, wen sie gesehen haben, die Superverdiener und erwischten Steuerhinterzieher. Ach ja, das Ziel der Truppe – Bremen – ist natürlich das “Altbundesland der unbegrenzten Möglichkeiten … die Stadt der zweiten Chance … das Paradies für Senioren.”

Schon vor der Inszenierung dieser Bremer Stadtmusikanten gab es ein ebenso unikates Rotkäppchen-Spiel, das nach wie vor im Repertoire ist. Von Leipzig aus fährt man mit dem Zug ohne Umsteigen nach Oldenburg. Schließlich könnte man in Oldenburg auch noch “Boßel-Kohlpetenz” erwerben beim City-Boßeln und ein “Kohloquium an der Grünkohlakademie” vergrünkohlen lassen….

Voraus-Schau

Dieser Tage startet ein neues Projekt gemeinsamen Denkens in der sogenannten “Theaterlandschaft Nordwest”. Die vier großen Bühnen des Nordwestens, Theater Bremen, Oldenburgisches Staatstheater, Landesbühne Niedersachsen Nord Wilhelmshaven und Stadttheater Bremerhaven, “haben ein bisher einmaliges Netzwerk gegründet und sich für eine Marketingkampagne zusammengeschlossen, die ein wichtiges gemeinsames Ziel verfolgt”, so beschreibt es die Oldenburger Intendanz, ” noch mehr Menschen aus der Region für die reiche Theaterlandschaft im Nordwesten zu begeistern.” Es geht um Leinwände, Plakatflächen und Postkarten in Zügen im Territorium “von Wangerooge bis Vechta und von Emden bis Hemelingen”.

Mehr zum Thema Franz Kafka:

Aktuell zur Leipziger Buchmesse – 15. März 2014, 19:30 Uhr
Vortrag: Kafka zum 1. August 1914
Über Krieg und die existentielle Entscheidung im Roman “Der Prozeß”
Mitwirkender: Prof. Dr. Günter Hartung
Moderation: Dr. Gerald Diesener
Ort: Universitätsarchiv Leipzig (Prager Straße 6, 04103 Leipzig) 19:30 Uhr

Vorstellugnen “Der Prozess” am 22. März., 04., 05. und 23. April 2014.
Letzte Vorstellung “Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui” am 20. März 2014.

Die Deutsche Nationalbibliothek Leipzig zeigt demnächst Buchillustrationen zu Frank Kafka.

www.staatstheater.de

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