"Ich bin nicht Hamlet. Ich spiele keine Rolle mehr. Mein Drama findet nicht mehr statt." 1977 entwickelte Heiner Müller in "Die Hamletmaschine" eine dekonstruierende Interpretation des bekannten Shakespeare-Dramas. Der Text, gerade einmal neun Seiten lang, reflektierte die Situation der Intellektuellen in der damaligen DDR. Dass Regisseur Thomas Dannemann seinen Leipziger "Hamlet" mit einem Exzerpt aus Müllers Stück eröffnet, ist kein Zufall. Die Inszenierung ist der Versuch einer Standortbestimmung einer Nachwendegeneration.

Shakespeares “Hamlet” handelt von politischer Umwälzung, von Transformation, von Veränderung. Dannemanns Dreieinhalbstünder ist gespickt mit Anspielungen auf die Wende-Ära. Claudius (Andreas Keller), mal SED-Führer in Nadel und Zwirn, mal Faschingsclown, verliest noch im ersten Akt eine programmatische Regierungserklärung. Hamlet, großartig gespielt von Felix Kramer, tut sich schwer, mit der neuen Administration warm zu werden.

Nachdem ihm sein Vater als Geist einflüstert, Claudius habe ihn ermordet, verwandelt sich der Prinz zu einem desillusionierten Neurotiker, der sich mit dem neuen Ist-Zustand nicht anzufreunden vermag. Erst rezitiert er mit Salafisten-Bart das Fernsehprogramm, dann dreht er im Ballerina-Dress Pirouetten. Weder Ophelia (Runa Pernoda Schäfer), die im Achtziger-Look Wolf Biermann trällert, noch Mutter Gertrud (Bettina Schmidt), eine gelungene Parodie auf Margot Honecker, bringen Hamlet zur Vernunft. Oder handelt der Prinz im Revolutionswirrwarr doch völlig rational, während die Welt um ihn herum dem Wahnsinn verfällt?

Das Finale fällt mehr als blutig aus. In einer Videoprojektion, ästhetisch an Stanley Kubricks “Clockwork Orange” und den Horror-Klassiker “Saw” angelehnt, fließt das Blut in Strömen. Aus den Körpern derer, die sich bis dahin auf der Bühne in einem stilisierten Leichenhaus bekriegt haben, quellen die Innereien hervor. Ein brillanter Schlussakkord, der freilich nicht allen Zuschauern schmeckt. Einzelne verlassen voreilig den Saal. Hamlet-Darsteller Kramer und Regisseur Thomas Dannemann müssen sich trotz hervorstechender Leistung einige Buh-Rufe gefallen lassen. Völlig zu Unrecht, denn der Abend zählt neben der “Dreigroschenoper” und “Rechnitz” zu den bisherigen Highlights der Intendanz Enrico Lübbes.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar