Am 28. Februar hatte Sachsens Innenminister Markus Ullbig (CDU) die sächsische Kriminalstatistik 2011 vorgestellt. Unter anderem mit der auffälligen Feststellung: "Regional entwickelte sich das Fallaufkommen in Sachsen unterschiedlich. Mit Ausnahme von Dresden (+ 12,4 %) und Leipzig (+ 6,9 %) registrierten die Polizeidirektionen 2011 in ihren Zuständigkeitsbereichen weniger Fälle als im Vorjahr."

Im Ergebnis bewegte sich, so der Minister, die sächsische Kriminalitätserfassung “auf dem Niveau der Vorjahre”. Trotzdem landeten dann die üblichen Schlagzeilen von der “Kriminalitätshochburg Leipzig” und dem “Alarmierenden Anstieg der Drogenkriminalität” auf den Seiten diverser Zeitungen.

Am 6. März legte nun die Polizeidirektion Leipzig ihre Zahlen speziell für Leipzig noch einmal vor. Betitelt “Sicherheitslage 2011”. Es stehen noch einmal alle Zahlen drin, auch die, die die gesamtsächsische Statistik 2011 leicht in die Höhe getrieben haben. Vor allem Diebstähle, Ladendiebstähle vorneweg.

Für Sören Pellmann, Sprecher für Ordnung und Sicherheit der Leipziger Stadtratsfraktion Die Linke, nichts Neues. Und er fragt, was denn diese neue Kriminalstatistik nun wieder bringt.

“Leipzig ist eine Kriminalitätshochburg in Sachsen, keine neue Erkenntnis. Leipzig hat ein Problem mit illegalen Drogen, auch hier wiederholen sich die Ausführungen des Polizeipräsidenten”, stellt er fest. “Wenn man sich die Statistik zu den Drogendelikten anschaut, so weist diese einen Anteil von 2,3 Prozent an allen Straftaten aus. Über weitere Zusammenhänge von Straftaten und Drogen stellt Herr Wawrzynski ‘Vermutungen’ an. Nach unserer Auffassung nützen Vermutungen wenig, wenn sie nicht belegbar sind. Gerade ein Polizeipräsident sollte es unterlassen, damit Politik zu machen. Das führt nicht zur Senkung der Kriminalität, sondern vielmehr zu weiteren Spannungen in der Stadtgesellschaft.”

Denn in den Zahlen steckt ja nicht nur der erhöhte Druck der Leipziger Polizei gegen das Drogenmilieu in der Stadt und die dahinter steckenden Händlerstrukturen, die die Zahl der angezeigten Rauschgiftdelikte von 1.183 auf 1.448 hochschnellen ließen (627 davon allein in Zusammenhang mit Cannabis). Dahinter steckt auch die prekäre ökonomische Situation der Stadt, die sich auch in der Beschaffungskriminalität niederschlägt, bei Raubdelikten und Diebstählen. Auch wenn die hohe Leipziger Häufigkeitszahl von 12.379 Fällen je 100.000 Einwohner (Dresden: 10.182) nicht einmal explizit mit der Armut in Leipzig korrespondiert, sondern mit ihrer Rolle als Messestadt.

Denn vor allem Messen und Großveranstaltungen sind die Basis für hohe Diebstahlraten. Das Thema teilt die Messestadt Leipzig mit anderen Messestädten wie Frankfurt und Hannover.Was die Leipziger Polizeidirektion vorgelegt hat, ist wieder nur eine 08/15-Statistik, die weder den eigenen Aufklärungsanteil an den Zahlen analysiert noch die konkrete wirtschaftliche Situation und wirtschaftliche Rolle von Leipzig. Die auch für ihre Rolle als Drogenumschlagplatz wichtig ist.

Welche Augenklappen gehören eigentlich dazu, bei jeder Analyse von Wirtschaftsansiedlungen die gute verkehrliche Anbindung Leipzigs zu loben – und sie beim Thema Drogenhandel einfach zu negieren? Als würden die Drogen in einer anderen Stadt umgeschlagen, als die, in der die anständigen Unternehmer ihre Geschäfte machen? – Dass die sächsische Landesregierung genauso redet, ist nichts Neues.

“Wir hätten uns vielmehr auch einen kritischen Blick in Richtung Innenministerium gewünscht”, sagt Pellmann mit Blick auf die anstehende Polizeireform. Denn die beschert nicht nur eine Verschmelzung der jetzigen Polizeidirektionen Leipzig und Westsachse. Sie beschert auch eine drastische Personalkürzung von derzeit knapp 3.100 auf nur noch 2.440 Personalstellen bedeuten eine Streichung von ziemlich genau 700 Stellen – fast ein Viertel.

“Bereits Anfang vergangenen Jahres sah die Fraktion Die Linke in der Debatte der anstehenden Polizeistrukturreform den Optimismus von Polizeipräsident Wawrzynski kritisch”, stellt Pellmann fest. “Von der gesamten Reform sollten die Bürgerinnen und Bürger nichts merken. Wie das praktisch funktionieren soll, wenn Tausende Polizeistellen abgebaut und etliche Reviere geschlossen werden, bleibt leider das Geheimnis des Polizeipräsidenten.”

Wenn man sich die Gesamtkriminalität in Leipzig in den letzten zehn Jahren anschaue, sei diese nahezu konstant geblieben, meint Pellmann. Nur von 2003 bis 2005 war sie von 77.123 Fällen deutlich auf 64.187 gefallen. Was die Polizeistatistik in ihrer Lakonie ebenfalls nicht ausweist: 2003 hatte die rigide Anzeige-Politik der Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) zu einer Verdopplung der Betrugsfälle geführt – jeder “Schwarzfahrer” war sofort polizeilich angezeigt worden. Auch so etwas bringt Statistiken durcheinander. Weil die LVB diese Praxis danach sofort wieder zurückfuhren, zeigt sich tatsächlich ein über die Jahre einheitliches Bild von um die 65.000 Straftaten. Nur 2009 rutschte die Zahl kurz unter die 60.000.

Eine Zahl, die Horst Wawrzynski wichtig ist. Er würde die Zahl der angezeigten Straftaten in Leipzig gern unter diesen Wert drücken. Schaffen könnte er es – wenn er still hielte. Denn wie kein anderer weiß er genau, welche Auswirkungen der polizeiliche Druck auf die Drogenszene hat. Sie erhöht die Preise der Ware und erhöht im Folgeschritt die Beschaffungskriminalität.

Dafür weist die Kriminalstatistik eine ganze besondere Kurve zu den Wohnungseinbrüchen auf (1.429 an der Zahl). Mit dem erläuternden Satz: “Ergebnis einer Sonderauswertung von Ermittlungsvorgängen zu Wohnungseinbrüchen: Im Jahr 2011 waren 44 % (2010: 49 %) der ermittelten Wohnungseinbrecher Personen mit BtM-Bezug!” (Anm. d. Red.: Betäubungsmittel)

Den Druck auf die Drogenszene hat Leipzigs Polizei schon 2010 erhöht. Was im gleichen Jahr dazu führte, dass die Zahl der Wohnungseinbrüche von 1.162 (2009) auf 1.411 stieg.

Im Dezember 2010 wurde dann die Ermittlungsgruppe (EG) “Wohnung” mit sieben Sachbearbeitern eingerichtet, die 460 Verfahren mit 110 Tätern bearbeitete, von denen 38 in Haft kamen. Die Aufklärungsquote bei Wohnungseinbruch konnte mit diesem Extra-Aufwand von 14,2 % (2010) auf 22,5 % (2011) gesteigert werden.

Für Pellmann die klare Botschaft: “Ein weiterer Blick in die Statistik zeigt, dass der wachsende Anteil tatverdächtiger Kinder und Jugendlicher und die Zunahme in bestimmten Deliktgruppen, wie Diebstahl oder Einbrüche in Wohnungen und Gartenanlagen, ein Indiz dafür ist, dass in den Bereichen Prävention und Präsenz vor Ort keine Einsparungen mehr möglich sind. Ganz im Gegenteil, der Bereich der Prävention sollte im Zusammenwirken mit der Stadt gestärkt und ausgebaut werden.”

Wie die Probleme freilich zu lösen sind, da gingen wohl die Vorstellungen der Linksfraktion und die der Polizei deutlich auseinander. “In jedem Fall, und auch hier sollte sich der Polizeipräsident stark machen, darf es zu keinem weiteren Personalabbau bei der Polizei in Sachsen und damit auch in Leipzig kommen”, meint Pellmann. “Das Netz der Polizeireviere darf nicht weiter ausgedünnt werden. Denn wie sollen künftig weniger Beamte eine größere Zahl Straftaten erfassen und aufklären?”

Zerpflückt wird die Argumentation der Leipziger Polizei zur Drogenkriminalität nun ausgerechnet auch noch vom Innenminister Markus Ulbig selbst. Der beantwortete jetzt eine Kleine Anfrage des Linken-Abgeordneten Rico Gebhardt zu den nachweislichen Zusammenhängen von Straftaten und Drogenkonsum über die Jahre.

“Die Fakten sind”, so stellt Gebhardt nach Studium der ministeriellen Antworten fest, “dass im Jahre 2011 bei insgesamt 587 Raubstraftaten in Leipzig bei 131 ein Betäubungsmittelbezug und bei insgesamt 18.143 Einbruchsdiebstählen bei 1059. Zehn Jahre zuvor waren es 238 bzw. 1.321 entsprechende Delikte mit Betäubungsmittelbezug. Statt dem weiteren Abbau von Personal bei der sächsischen Polizei, auch in Leipzig, willenlos zu folgen, sollte sich der Polizeipräsident für mehr Personalstellen für Vollzugsbeamte in seinem Verantwortungsbereich einsetzen. Die zeitweilige Stationierung von Einheiten der Bereitschaftspolizei zur Wahrnahme von Polizeivollzugsaufgaben ist keine dauerhafte, sondern nur eine zeitweilige Variante, die Lage im Griff zu behalten.”

Niemand wolle einen weiteren Anstieg der Kriminalität in Leipzig, welches die Rauschgiftkriminalität einschließe. “Aber ich erwarte von einem Polizeipräsidenten keine politischen Statements, sondern Aussagen, die auf Fakten beruhen, und fachlich fundierte Vorschläge, die Lage zu verbessern”, betont Gebhardt. “Eine Aufklärungsquote von 8,3 Prozent bei Einbruchdiebstählen und von 47 Prozent bei Raubdelikten sollte ihn dazu bewegen, geeignete Maßnahmen einzuleiten, wozu sicher nicht verbale Schläge gegenüber Suchprävention, Suchberatung und städtische Engagement gehören. Die beste Art und Weise, Kriminalitätsvorbeugung und -bekämpfung zu betreiben, sind ausreichend Polizistinnen und Polizisten auf der Straße, eine aktive Präventionsarbeit und eine hohe Aufklärungsquote. Da gäbe es Gesprächsbedarf – mit dem Innenminister. Wenn Herr Wawrzynski Wahlkampf machen will, soll er seine Uniform ausziehen und sich selbst zur Wahl stellen.”

Die Antwort von Innenminister Markus Ulbig auf die Anfrage von Rico Gebhardt: http://edas.landtag.sachsen.de

Die Leipziger Statistik als PDF

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