Die Kaffeesachsen, so scheint es, haben ein kleines Problem: Sie sind in irgendeiner Statistik beim innerdeutschen Kaffeegenuss auf dem letzten Platz gelandet. Die Zahl wird kolportiert, wo immer es geht. Aber sie passt nicht. Nicht zum gesamtdeutschen Kaffeeverbrauch und nicht zu den Verbrauchszahlen in Ost und West. Und schon gar nicht zu den Gaffeesachsen.

Zur Bürgerstadt Leipzig, in der Kaffeehäuser seit über 300 Jahren Tradition haben, wohl auch nicht. “Auf welche Weise ist Leipzigs Kaffeetradition heute erlebbar?”, fragte am Mittwochmorgen, 25. Januar, das nunmehr 173. Leipziger Tourismusfrühstück. Ganz locker und ohne Krampf. Denn anders als Messe, Musik, Sport oder Buch versucht der Kaffee nicht, es derzeit auf den Podestplatz im Stadtmarketing zu schaffen. Dafür sorgte schon zum Auftakt der Diskussion Wolfgang U. Schütte, als Mitherausgeber der Lene-Voigt-Werkausgabe einer, der es wissen muss. Der Leipziger lutscht seinen Kaffee, nimmt die Sache mit Gemütlichkeit, lässt sich nicht hetzen. Nicht, wenn es um Kaffee geht.

Die Zahlen zum Kaffeeverbrauch wurden erwähnt. Auch Leipzigs forsche Gästeführerin Christa Schwarz hatte die Zahlen parat. Aber so recht belastbar sind sie nicht. Bei den Kaffeeimporten, die das Bundesamt für Statistik immer wieder präsentiert, gibt es keine Analyse nach Bundesländern. Nur den nationalen Gesamtimport. Über 600.000 Tonnen Rohkaffee sind es im Jahr. Mehr oder weniger viel davon landet als Bohne oder geröstet und gemahlen im Laden oder im Café. Nicht alles wirklich genießbar, wie Christa Schwarz erklärt. Für einen feinen sächsischen Gaumen schon gar nicht. Denn: “Anders als für Bier gibt es für Kaffee kein Reinheitsgebot. Kaffee darf bis zu 25 Prozent Zusatzstoffe beinhalten”, weiß sie.

Natürlich schmeckt man das. Und man merkt’s am Preis. Mancher fühlt sich, wenn er die Billigtüte aus dem Discounter geöffnet hat, an selige DDR-Zeiten erinnert, als der “Kaffee-Mix” mit 49 Prozent Zusatzstoffen die Sachsen empörte. Und beinah zur Rebellion trieb. Damals genügte noch die kollektive Trinkverweigerung, um das Zentralkomitee der kaffeemixenden Partei zur Einsicht zu bekehren. Man wusste in Berlin sehr wohl, dass man einiges riskierte, wenn man die Sachsen erst mal – wie einst Friedrich II. von Preußen – zur Aussage zwang: “Ohne Gaffee gönn mer nich gämpfn.” Da hätte der Laden schon 1977 still gestanden.

Leipzig, Dresden und Karl-Marx-Stadt (in dieser Reihenfolge) gehörten schon in der DDR zu den Städten, wo der meiste Bohnenkaffee getrunken wurde – etwas über 1 kg pro Jahr und Nase um 1950, etwas über 4 Kilogramm Ende der 1980er Jahre. Heute liegt der Bundesdurchschnitt beim Kaffeeverbrauch bei 6,7 Kilogramm, was etwa 4 Tassen pro Bundesbürger pro Tag bedeutet. Wikipedia rechnet das auf 2,8 Tassen um. Was schon einmal einen schönen Lichtblitz auf die Problematik wirft. Es macht einen Unterschied, ob man die kolportierten 2,7 Tassen, mit denen die Sachsen am Ende der bundesdeutschen Kaffeetrinkliste rangieren, mit einem 4-Tassen-Durchschnitt oder einem von 2,8 Tassen vergleicht. Wie groß sind da die Tassen? Wie stark ist gebrüht worden?Denn aus dem Herbst 2011 gibt es auch eine Untersuchung der GfK GeoMarketing zum Kaffeeverbrauch. Danach geben die Deutschen im Durchschnitt 60 Euro pro Jahr für Kaffee aus. “Die größten Kaffeetrinker sind definitiv in den neuen Bundesländern angesiedelt: Sie weisen fast alle überdurchschnittliche Pro-Kopf-Ausgabepotenziale aus. Spitzenreiter ist Brandenburg, wo die Kaufkraft für Kaffee gut elf Prozent über dem Bundesdurchschnitt liegt.”

Damit wären nicht die Saarländer – wie von Wikipedia kolportiert – sondern die Brandenburger die größten Kaffeetrinker.

Was am Ende sowieso egal ist. Denn mit den 6,7 Kilogramm liegt Deutschland sowieso schon auf Platz 7 unter den Viel-Kaffee-Trinkern der Welt. Nur die Finnen mit über 11 Kilogramm und die Luxemburger mit rund 24 Kilogramm sind uneinholbar weit entfernt. Das Beispiel Luxemburg wirft natürlich auch die Frage auf: Trinken die den alle selbst?

Es ging also am Mittwochmorgen nur beiläufig um Masse. Viel saufen kann jeder. Richtig genießen muss man können. Und damit vielleicht ein bisschen Werbung machen. Die Wiener tun’s ja. Gleich nach Musik ist die Kaffeehauskultur im Wiener Stadtmarketing die Nummer 2. Kann sich Leipzig damit vergleichen? Eigentlich schon. Denn in der Landschaft der Leipziger Cafés hat sich seit dem 18. Jahrhundert, als acht renommierte Kaffeehaus-Wirte um die Gunst der diskutierfreudigen Bürger rangelten, ja einiges verändert. Aber nicht alles. Mit dem “Coffe Baum” besitzt Leipzig heute das älteste durchgängig betriebene Kaffeehaus Deutschlands. “Seit 1711 wird hier nachweislich Kaffee ausgeschenkt”, schreibt Wikipedia. Das Thema zum Tourismusfrühstück kam also einen ganzen Monat zu spät.

Und im Stadtmarketing hat man’s völlig vertrieft. Manches noch vor Jahren berühmte Kaffeehaus ging verloren. Dem Café Kather wurde ein Tränchen nachgeweint, dem Café Corso. Manches wurde auch wieder gewonnen – wie das Café Maitre oder das Café Grundmann. Und mit dem Riquet und den Cafés am Thomaskirchhof wurde auch traditionelle Leipziger Café-Kultur bewahrt. Das wissen die Gäste der Stadt durchaus zu genießen. Samt Eierschecke, Torte oder Leipziger Lerche. Sofern es sie gibt.Der Bundesfinanzminister verdient immer mit. Das vergessen Kaffeetrinker gern. Anders als Zigarettenraucher, die mit jeder zerfetzten Banderole daran erinnert werden, dass die Glimmstengel dem Staat helfen, Geld zu scheffeln. 2,19 Euro zahlt man in Deutschland fürs Kilogramm Röstkaffee an Kaffeesteuer. Macht für Wolfgang Schäuble jährlich über 1 Milliarde Euro an Einnahmen.

“Auch dann, wenn Sie den billigen Kaffee mit den Zusatzstoffen kaufen”, warnt Christa Schwarz. “Das ist echte Verschwendung.” Deswegen hätte man beinah noch ein paar Leipziger Vorkämpfer für die unverfälschte Kaffeekultur im Podium erwartet. Eine ließ sich entschuldigen: Ulla Heise, die Leipziger Kaffee-Expertin, weilt derzeit in einer anderen Kaffeestadt – Wien natürlich.

Weshalb Wien freilich noch längst nicht das älteste Kaffeehaus Europas hat. Das ist das Procope in Paris, seit 1686 betrieben – heuer, wie man hört, ein Fischrestaurant. Hat aber eine leckere Website. Siehe unten.

Susanne Schulz saß mit im Podium, eingeladen auch, weil sie im November ihre Souvenir-Kollektion zu den Kaffeesachsen in der Tourist-Info vorstellte. Und die kommt wohl insbesondere bei jungen Leuten gut an. Samt Bliemchen- und Gampfgaffee. Sie hatte solche Souvenirs in Leipzigs Angebot vermisst. Sie selbst ist in Hamburg aufgewachsen, einer Stadt, die natürlich dicht dran ist an den großen Röstereien. Aber der Ruf der sächsischen Kaffeekultur hat’s bis dahin geschafft.

Mit Inhalt füllen müssen ihn die Sachsen und Leipziger selbst. Die Leipziger auch, weil die Kaffeehauskultur fester Bestandteil der geistigen und politischen Traditionen in der immer wieder mal rebellischen Bürgerstadt ist. Deswegen trägt auch der fair gehandelte Kaffee aus Äthiopien zu recht seinen Namen “Der Leipziger”. Hier vereint sich der Sinn der Leipziger für guten, unverfälschten Kaffee mit der Partnerschaft zu Addis Abeba und dem Engagement für eine faire Bezahlung der Kaffeeproduzenten.

Bleibt also die Frage: Muss Leipzig mehr Werbung für seine Café-Kultur machen? Oder funktioniert die Botschaft von allein. Wahrscheinlich ist es so. Der Stadtrundgang “Ey, wie schmeckt der Coffee süße…”, der seinen Höhepunkt stets im Coffe Baum und im dortigen Kaffeemuseum findet, wird rege nachgefragt. Auch von Leipzigern selbst. Aber natürlich regt das Thema Kaffee dazu an, über das geistige Leben in Leipzig und seine Orte immer wieder nachzudenken. Manchmal mit Grollen im Bauch etwa beim Thema “Café Felsche”, das die Leipziger nur halb wiederbekommen haben – ohne Café. Manchmal mit der freundlichen Warnung einer Lene Voigt und eines Wolfgang U. Schütte, den Genuss von Kaffee nicht mit dem modernen Stress gleichzusetzen. Denn zum Nachdenken beim Kaffeetrinken kommt man ja nur, wenn man es ruhiger angehen lässt. Das Zauberwort heißt wohl Zeit. Auf sächsisch: Gemiedlichkeit.

Die Website des Café Procope: www.procope.com

Der Coffe Baum im Internet: www.coffe-baum.de

Der Leipziger im Netz: www.der-leipziger.de

Die Kaffeesachsen-Kollektion: www.diekaffeesachsen.de

Die DDR-Kaffeekrise bei Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Kaffeekrise_in_der_DDR

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