Bei der russischen Präsidentschaftswahl gelang Wladimir Putin am Sonntag mit knapp 64 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang ein glatter Durchmarsch. Die aktuellen Demonstrationen seien gut für Russland, denn sie zeigen den Grad der Meinungsfreiheit im Land, sagt der in Markkleeberg lebende Autor Viktor Timtschenko im L-IZ-Gespräch. 2003 hat er das Buch "Putin und das neue Russland" veröffentlicht.

Russland hat gewählt. Der neue Präsident ist mit Wladimir Putin der alte. Nachdem er, der Verfassungsregel der unmittelbaren Amtszeitbegrenzung folgend, eine politische Nicht-Auszeit als Ministerpräsident nahm.

In der Berichterstattung in den deutschen Medien rücken die Demonstrationen der Opposition vor und nach dem Wahltag sowie der Vorwurf der Wahlmanipulation in den Vordergrund. Auch die OSZE kritisiert mangelnde Fairness gegenüber Putins Mitbewerbern und weist auf Verstöße hin. Doch das Wahlergebnis zieht sie nicht in Zweifel, der Wahlablauf sei insgesamt positiv gewesen. “Besser, aber noch nicht gut”, kommentierte denn auch die Moskauer ARD-Hörfunkkorrespondentin Christina Nagel die Abstimmung.

Für den in Markkleeberg lebenden Journalisten und Buchautoren Viktor Timtschenko (59) ist das Wahlergebnis keine Überraschung. Putin habe schon seit langem in Umfragen bei gut 60 Prozent Zustimmung gelegen. Er wie seine Mitbewerber hätten am Sonntag in etwa die Stimmenanteile eingefahren, die ihnen über Monate prognostiziert wurden, so Timtschenko im L-IZ-Gespräch.Überhaupt sei die Demokratieentwicklung in Russland vorangegangen in den Putin-Jahren, findet Timtschenko. Die Zeit unter Jelzin sei hingegen eine sehr undemokratische Zeit gewesen. “Denn unter einer Oligarchie kann keine Demokratie entstehen”, betont der Russland-Beobachter. Diese Einschätzung gehört im Übrigen zur theoretischen Grundausstattung westlicher Politikwissenschaftler. Doch offenbar wird ihr nicht bei jedem Land die gleiche Erklärungsmacht zugesprochen.

“Indem es Putin gelang, die Oligarchen zurückzudrängen, entstand die Mittelschicht, die jetzt auf die Straße geht”, analysiert Timtschenko. Seine Erklärung für die gegenwärtigen russischen Zustände lautet deshalb: “Die entstehende obere Mittelschicht verlangt nun nach ihrer größeren Rolle in der Gesellschaft.” Putin sei laut Timtschenko jetzt klug beraten, Russland so zu führen, dass die Mittelschicht zur Geltung kommt.

Die bisherigen Putin-Jahre bewertet Timtschenko “eher positiv, als negativ”. Auf der Haben-Seite stehen für ihn vor allem die politische Stabilität des Landes und die wirtschaftliche Entwicklung. Russland sei nicht nur der Öl- und Gasexporteur, als der es oft dargestellt wird. Das Riesenreich habe ein großes Potenzial in der Wirtschaft, bei Bildung und Wissenschaft. Timtschenko verweist auf Forschungen in der Nano- und Solartechnologie, die schon lange betrieben würden. Und nicht zu vergessen: die Raumfahrt. “Man kann nicht sagen, dass Russland nur von Öl und Gas lebt”, so sein Fazit.Der gebürtige Ukrainer Timtschenko kam 1990 nach Deutschland. Der Journalist verantwortete anfangs das Wirtschaftsressort des nachrevolutionären Leipziger Zeitungs-Startup “Die Andere Zeitung”.

Später schrieb er Bücher. Spezifische Bücher, wie er sagt. Damit meint Timtschenko “Bücher über Russland und die Ukraine für Deutsche”. Sein Leben in Markkleeberg helfe ihm dabei, die deutsche Seite zu verstehen. Das verbindet er mit der Erfahrung, die er aus Russland und der Ukraine mitgebracht habe.

Timtschenkos aktuelles Buch heißt “Chodorkowskij. Legenden, Mythen und andere Wahrheiten”. Es erscheint am Vorabend der diesjährigen Buchmesse. “Chordorkowskij ist ein Wirtschaftskrimineller, der im Gefängnis sitzt”, sagt der Autor über den Mann, der im Westen gemeinhin als Opfer des Kreml gilt. “Er ist das Opfer eigener Taten”, findet hingegen Timtschenko. Chodorkowskij sei ein enger Vertrauter des ersten russischen Präsidenten Boris Jelzin gewesen. Er hätte sich Jelzin besonders angedient, als er ihm seine 1996er Präsidentenkampagne finanziert hat.

Danach gab es zum Dank die Unternehmensgruppe JUKOS als Hauptgeschenk. Die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen Chordorkowskij fingen schon unter Jelzin an, betont Timtschenko. Doch mit dem Amtsantritt Putins 2000 kam die Zäsur, da war die schützende Hand weg.

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Chodorkowskij
Viktor Timtschenko, Herbig, F A Verlag 2012, 19,99 Euro

Dass Vorurteile und Urteile mitunter zwei ganz verschiedene Schuhe sein können, durchzieht Timtschenkos neuestes Werk wie ein roter Faden. Und am Ende liefert Timtschenko noch einen Russland-Europa-Vergleich, der nachdenklich machen könnte. Russlands Wachstumsraten lägen seit Jahren über denen der EU-Wachstumslokomotive Deutschland. Die öffentliche Schuldenlast in Russland tendiere gegen Null. Im Gegensatz zu den EU-Sorgenkindern Griechenland, Portugal und Italien: Aber auch im Gegensatz zu Deutschland mit der Zusatzlast der schuldenfinanzierten Wiedervereinigung.

Am 15. März um 21 Uhr stellt Viktor Timtschenko sein neues Buch in der Alten Nikolaischule vor.

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