Mit Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) nimmt ein Mitglied der Bundesregierung am Festakt zum Völkerschlachtjubiläum teil. Das habe er dem Leipziger Oberbürgermeister im März 2012 mitgeteilt, so de Maizière. Ein L-IZ-Interview zum Traditionsverständnis der Bundeswehr und Leipzig als neuem "Herz" der militärischen Schullandschaft.

Herr Minister, die Bundeswehr ist jetzt Freiwilligenarmee. Melden sich denn genügend junge Frauen und Männer zum Dienst beim Bund?

Unsere bisherigen Erfahrungen sind positiv. Einen tiefen Einbruch hat es nach Aussetzung der Wehrpflicht nicht gegeben. Bei der Gewinnung von Zeitsoldaten hatten wir 2012 auf knapp 16.000 freie Stellen 40.000 Bewerber. Und die Bewerber bringen eine gute schulische Bildung mit: Über 80 Prozent derjenigen, die sich für die Laufbahnen der Unteroffiziere und Mannschaften bewerben, haben Abitur oder Mittlere Reife.

Bei den Freiwillig Wehrdienst Leistenden, kurz FWDL, hatten wir zuletzt allerdings ein Drittel Abbrecher. Auch wenn diese Quote denen ziviler Ausbildungsberufe entspricht und zu einem nicht geringen Teil dadurch begründet ist, dass sich die jungen Leute doppelt bewerben oder einfach die Zeit bis zum Studienbeginn überbrücken wollen, sind wir natürlich nicht zufrieden – unseren Bedarf haben wir aber auch dort gedeckt. Wir konkurrieren im Wettbewerb um die besten Köpfe ja nicht nur mit der Wirtschaft, sondern auch mit Länderpolizeien, Bundespolizei, Zoll und anderen Behörden.

Von Leipzig aus sollen künftig alle Ausbildungsaktivitäten des Heeres koordiniert werden. Zugleich dient der Flughafen dem Transport von Personal und Material in Einsatzgebiete. Welche Bedeutung messen Sie dem Standort Leipzig künftig bei?

Mit der Aufstellung des Ausbildungskommandos in Leipzig geht das Heer einen neuen Weg. Die truppendienstliche und fachliche Führung sämtlicher Ausbildungseinrichtungen des Heeres wird dort einem Kommando unterstellt. Hier schlägt sozusagen das “Herz” der Schullandschaft des Heeres. Und die professionelle Ausbildung der Soldatinnen und Soldaten des Heeres legt die Grundlagen für den Erfolg im Einsatz.

In den Einsatz fliegen diese Soldatinnen und Soldaten nach ihrer Ausbildung in der Regel über den militärischen Teil des Flughafens Köln/Bonn. Der Flughafen Leipzig/Halle dient dagegen als Basis für den multinational organisierten Hin- und Rücktransport von übergroßem und überschwerem Gerät in die Einsatzgebiete mit angemieteten Großraumtransportflugzeugen vom Typ Antonov.

Leipzig behält damit eine herausgehobene Bedeutung für das Heer und die Bundeswehr insgesamt.

Leipzig erinnert sich in diesem Jahr an das Doppeljubiläum von Völkerschlacht 1813 und Einweihung des Völkerschlachtdenkmals 1913. Neben dem militärischen Widerstand gegen die NS-Herrschaft und der Geschichte der Bundeswehr seit 1955 ist Jubiläum Nummer 1 als Teil der Befreiungskriege eine der drei Traditionsstränge der Bundeswehr. Wie werden sich die Streitkräfte vor Ort diesem Teil des Doppeljubiläums nähern?

Nicht die Völkerschlacht, in der auch Deutsche gegen Deutsche gekämpft haben, begründet Tradition für die Bundeswehr! Wichtig für unser Traditionsverständnis sind vielmehr die preußischen Reformen ab 1807, mit denen die Grundlagen für ein modernes Verständnis von Staat und Militär geschaffen wurden. Die Erinnerung an diese Schlacht ist mehr etwas für Historiker als für die Bundeswehr.

In einen größeren Kontext eingeordnet: Tradition verbindet die Bundeswehr in einem positiven Auswahlprozess mit der Vergangenheit. Und zugleich soll sie unseren Soldaten geistige Orientierung für das Heute und das Morgen geben. Dazu fragt sie immer wieder aufs Neue, welche Ereignisse und welche Haltungen aus der deutschen Militärgeschichte für unsere Soldaten als Staatsbürger in Uniform gegenwärtig noch beispielgebend und handlungsleitend sein können. Die genannten drei Traditionsstränge sind als solche nirgendwo festgeschrieben, freilich inzwischen weithin akzeptiert und innerlich angenommen. Aber Traditionsbildung, das ist mir wichtig, ist nicht darauf festgelegt. Sie kann auch andere Taten und Personen umfassen, die noch heute für uns vorbildlich sind.
Die Völkerschlacht selbst würdigen die Streitkräfte vor allem aus einer wissenschaftlichen Perspektive heraus, und zwar mit einer großen Internationalen Tagung des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr im Sommer 2013. Und das Militärhistorische Museum in Dresden zeigt die Sonderausstellung “Blutige Romantik. Zweihundert Jahre Befreiungskriege”, die ich Ihren Lesern empfehlen möchte.

Es sind namentlich die preußischen Militärreformen der napoleonischen Zeit, auf die sich das Traditionsverständnis der Bundeswehr gründet: personifiziert in Carl von Clausewitz (1780 – 1831), Gerhard von Scharnhorst (1755 – 1813) und August Graf von Gneisenau (1760 – 1831). Da die von den Genannten begründete allgemeine Wehrpflicht nicht mehr gilt, welche Bedeutung haben die preußischen Reformen jener Zeit für die Bundeswehr heute dann?

Die preußischen Reformen lassen sich nicht auf die Einführung der Allgemeinen Wehrpflicht reduzieren. Sie umfassten etliche andere Maßnahmen, wie die Vereinheitlichung und Kodifizierung des Militärrechts mit der Abschaffung harter Körperstrafen wie dem berühmten “Spießrutenlaufen”. Die Mannschaften und Unteroffiziere wurden rechtlich besser gestellt, und mit der Einführung des Leistungsprinzips im Offizierkorps wurden die alten Standesschranken durchlässiger. Die Militärverwaltung wurde gestrafft, mit einem Ministerium an der Spitze, und die Ausbildung gerade der Offiziere professionalisiert.

Das alles schuf Grundlagen für eine moderne Armee und auch für die Befreiung von der Fremdherrschaft Napoleons, die zugleich mentale Grundlagen für ein neuerwecktes deutsches Zusammengehörigkeitsgefühl schuf. Das ist der bleibende Wert dieser Reformen! Und wir lernen daraus heute in Zeiten der Neuausrichtung der Bundeswehr: Mutige Änderungen in Struktur und Ausbildung sind unvermeidlich, wenn wir unsere Streitkräfte leistungsfähig halten wollen.

Beim Lesen des Leipziger Jubiläumsprogramms 1813 – 1913 – 2013 fällt auf, dass neben dem Präsidenten des Europaparlaments, dem sächsischen Ministerpräsidenten und dem Leipziger Oberbürgermeister kein Regierungsvertreter der Bundesrepublik zu finden ist. Welche Gründe für diese Abstinenz sehen Sie als Regierungsmitglied?

Es gibt eine solche vermeintliche Abstinenz nicht. Einer Einladung von Oberbürgermeister Jung für den zentralen Festakt am 18. Oktober 2013 habe ich schon Anfang März des vergangenen Jahres zugesagt.

Vielen Dank für das Gespräch.

Terminhinweis: Leipzig, Altes Rathaus, 25. bis 27. September 2013. Internationale wissenschaftliche Konferenz zum 200. Jahrestag der Völkerschlacht des Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig und des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes Potsdam.

www.voelkerschlacht-jubilaeum.de

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