Jedes Jahr gibt eine Gruppe von Studierenden des Deutschen Literaturinstitut Leipzig (DLL) eine Anthologie mit den Texten der Studierenden heraus. Pünktlich zur Buchmesse wurde auch die diesjährige „Tippgemeinschaft“, liebevoll Tippi genannt, veröffentlicht. Im Interview erzählen Jona und Michèle aus dem Herausgeber*innenteam, wie sie trotz fehlender Förderungen ein Buch auf die Beine stellen konnten. Auch den großen Ruf des Leipziger Literaturinstituts entstauben sie ein wenig.

Ihr hattet in diesem Jahr, im Gegensatz zu den Jahren davor, gar keine Fördermittel. Wie habt ihr es geschafft, dass jetzt trotzdem die diesjährige Tippgemeinschaft in den Druck geht?

Michèle: Wir hatten das Glück, dass Geld von der vorigen Tippgemeinschaft übrig geblieben ist. Wir haben dann direkt mit dem Sommerfest am DLL und einem Flohmarkt im Herbst begonnen, Geld zu generieren. Und wir haben ein erstaunlich gutes Crowdfunding hingelegt.

Jona: Da haben sich Leute von uns aber auch krass reingelesen, wie das marketingtechnisch und in Verbindung mit Social Media geht. Nur deshalb sind über 3.000 Euro zusammengekommen.

Michèle: Der Verlag nimmt ja auch immer eine gewisse Zahl der Bücher ab, aber damit ist auch erst ein Viertel oder Fünftel von den Druckkosten wieder drin. Von der Uni beziehungsweise vom Institut selbst kommt nichts. Wenn man wirklich struggelt, helfen sie. Vielleicht haben wir einfach zu wenig gestruggelt. Einzelne Profs haben uns beim Crowdfunding unterstützt. Aber das Institut selbst hat keinen Fördertopf.

Dabei ist ja die Tippi nicht nur euer persönliches Projekt, sondern auch eine Art Aushängeschild des Instituts.

Michèle: Das DLL sitzt deutschlandweit auf seinem Ruf. Mittlerweile etablieren sich genug andere Institute, aber es ist nicht wie in den USA, wo jede größere Uni ein Schreibprogramm hat. Und dass es dann für die Tippi keine interne Förderung gibt, das hat mich fasziniert.

Jona: Die Tippgemeinschaft gehört ja nicht direkt zum Institut, aber das Institut erwartet, dass es sie jedes Jahr gibt. Gerade bei Förderanträgen werden Projekte, die zu Universitäten gehören, oft nicht gefördert. Das muss man dann schon gut argumentieren.

Michèle: Ganz viele Förderungen hängen daran, dass keine Einnahmen gemacht werden. Wir verdienen zwar Geld, weil wir die Bücher verkaufen, aber das geht alles in die nächste Tippgemeinschaft.

Das ist dann wahrscheinlich schonmal ein Vorgeschmack auf „den echten Literaturbetrieb“, wo es auch vor allem ums Geld geht?

Michèle: Ich bin seit ungefähr 15 Jahren als Fotografin selbstständig und zahle Steuern. Für mich ist das schon Alltag. Wir waren uns einfach immer sicher, dass wir die Tippi auf die Beine stellen werden. Der Videodreh für die Crowdfunding-Kampagne hat Lucia aus unserem Team und mir total Spaß gemacht.

Das merkt man den Videos an. Hat denn das Hundekostüm eine Bedeutung?

Michèle: Bei Lucias erster bezahlter Publikation hat ihr jemand aus dem Freundeskreis gesagt, dass sie sich damit etwas kaufen muss, worauf sie später zurückblickt und sagen kann: Das habe ich mir mit dem ersten von meiner Literatur verdienten Geld gekauft. Und da hat sie sich dieses Hundekostüm gekauft. Gemeinsam mit meinem Hund Nuage war das einfach perfekt.

Ihr habt ja schon Marketing und Finanzierung angesprochen. Welche Aufgaben fallen beim Herausgeben einer Anthologie wie der Tippgemeinschaft an?

Michèle Yves Pauty und Jona Rausch von der Tippgemeinschaft 2024 vor dem DLL in Leipzig, 19.02.2024

Michèle: Wir haben uns ungefähr im Juni als Team zusammengefunden. Dann haben wir direkt einen Open Call gemacht, wo wir eine Künstlerin von der HGB gefunden haben, die dann ein Zine, das wir für das DLL-Sommerfest gemacht haben, gestaltet hat. Für das Sommerfest, das die Tippgemeinschaft jedes Jahr ausrichtet, haben wir uns viel zu viel angetan, Bühne, Getränke, DJs und so weiter.

Jona: Es gibt einen eingetragenen Verein, der muss jedes Jahr vom neuen Tippgemeinschaft-Team übernommen werden, zusammen mit den Kontozugängen. Dann mussten die Open Calls für das Design erstellt und die Künstler*innen gesichtet werden. Ganz viel Kontakt mit den Künstler*innen, der Connewitzer Verlagsbuchhandlung und der Druckerei, kommt hinzu.

Michèle: Wir haben es da noch recht einfach, weil wir bei den eingereichten Texten der DLL- Studierenden nicht auswählen, sondern nehmen, was uns geschickt wird. In diesem Jahr waren wir nur zu fünft in der Tippgemeinschaft-Crew, da ist es für das Lektorat schon etwas eng geworden. Deshalb haben wir beim Open Call für die Texte auch gesagt, dass wir lieber Texte haben möchten, die schon weit bearbeitet sind.

Das Schreiben von Förderanträgen war auch viel Arbeit. Dann das Betreuen von Social Media- und E-Mail-Accounts. Party- und Flohmarktorganisation, Getränke kaufen, Barschichten, Sachen ausleihen, mit dem Auto herumfahren, Foto- und Videoproduktion, …

Die Tippgemeinschaft soll vor allem den DLL-Studis eine Plattform bieten, deshalb nehmt ihr auch alle zugesandten Texte mit rein. Habt ihr dann eigentlich noch einen künstlerischen Anspruch an die Tippgemeinschaft?

Michèle: Uns war bei der künstlerischen Gestaltung wichtig, dass das Grafiker*innenteam Spaß hat und sich richtig mit einer Idee verwirklichen kann. Wir haben geschaut, dass das Konzept mit dem sie kommen, stark vertreten ist. Sie haben uns mehrere sehr gut ausgearbeitete Konzepte vorgelegt, die eine rote Linie für das gesamte Buch vorgeben. Wir haben dann demokratisch im Team abgestimmt, welches Konzept wir wollen. Das hat gut funktioniert.

Jona: Nur bei der Farbwahl waren wir uns nicht einig. Alle wollten lila, nur du, Michèle nicht.

Michèle: Ja, da habe ich alle dominiert. (beide lachen) Nein, ich hätte mich auch mit lila arrangiert. Aber am Ende ist die Wahl auf das Papier gefallen, das wir uns leisten können.

Jona: Unsere Einstimmigkeiten lagen auch daran, dass wir so ein kleines Team waren.

Und gerade wenn bei Leuten auch mal was anderes los war und sie nicht so viel Zeit für die Tippgemeinschaft hatten, saßen wir ein paar Mal zu zweit oder zu dritt da. Die wichtigste Entscheidung am Anfang haben wir schon alle zusammen getroffen. Aber später hat eben mitentschieden, wer da war. Da hat auch die Zeit gedrängt.

Die Tippgemeinschaft lebt ja auch davon, dass Menschen mit ganz unterschiedlichen Vorwissen und Fähigkeiten zusammenkommen. Wo liegt die Stärke der Tippgemeinschaft dieses Jahr?

Jona: Das Social Media-Game ist auf jeden Fall next level im Vergleich zu den Jahren davor. Die Crowdfunding-Kampagne fand ich auch sehr stark. Und auch die Idee, Fotos von den Autor*innen zu posten, um mehr Content für Insta zu haben, fand ich super. Was würdest du sagen, Michèle?

Michèle: Ich kann mich natürlich nicht selbst loben … Das Videomachen zusammen mit Lucia hat wirklich am meisten Spaß gemacht. Und Lucia hat das Video sehr gut geschnitten. Es war wirklich eine tolle Zusammenarbeit. Wir haben schon gescherzt, ob wir nicht eine Social Media-Agentur aufmachen.

Was würdet ihr sagen, ist es eher ein Vollzeit- oder Teilzeitjob, bei der Tippi mitzumachen?

Jona: Das Lektorat hat viel Zeit gekostet. Für das Erstlektorat haben wir uns Kommiliton*innen dazugeholt. Die zweite Runde haben wir nur mit Tippi-Leuten gemacht. Die Texte zu kommentieren, es den Leuten zurückzuschicken, dann auf Antworten zu warten, hat viel Zeit gekostet.

Michèle: Es ist vielleicht so, als würde man ein aufwendiges Uni-Seminar dazunehmen. Es gibt ja durchaus Seminare am DLL, wo person viel Lesen, viel Schreiben, einmal die Woche anwesend sein muss. Wir hatten auch Unterstützung. Als wir die Zines gefaltet haben, sind Freund*innen und ehemalige DLLer in den Garten vom Institut gekommen und wir haben zusammen gefaltet und gebunden.

Und person ist eben auch nie mit einer Aufgabe allein. Beim Finanzantrag schreiben waren wir meistens zu zweit. Das macht die Sache deutlich angenehmer.

Was habt ihr aus dem ganzen Prozess gelernt?

Michèle: Alle haben ein Leben und können nicht immer anwesend sein. Es geht dann vor allem darum, viel zu kommunizieren, Bescheid zu sagen, wer gerade kann und wer nicht. Das hat sich gut eingespielt. Die anderen haben dann die Aufgaben übernommen, das war sehr organisch.

Jona: Ich neige auch dazu, 10.000 Projekte auf einmal anzufangen. Am Anfang ist jedes für sich noch nicht so viel Arbeit, aber es wird dann doch schnell zu viel. Es hat mir gezeigt, dass ich Prioritäten in meinen Projekten setzen muss und dann eben nur eine oder zwei Sachen mache.

Und wie man eine Crowdfunding-Kampagne macht, habe ich auch gelernt. Das ist super gutes Wissen, das ich jetzt auch für andere Projekte gebrauchen kann.

Am DLL liest man ja die ganze Zeit Texte von Kommiliton*innen und spricht darüber. Die konkrete Arbeit mit dem*der Autor*in am Text ist dann oft trotzdem nochmal etwas anderes. Habt ihr den Eindruck, dadurch einen anderen Zugang zu literarischen Texten gefunden zu haben?

Michèle: Für die Vorworte haben wir Martina Hefter und Sandra Gugić gewinnen können. Deren Texte habe ich lektoriert. Zu Beginn war ich mir kurz unsicher, wie ich an die Texte herangehen soll, ob es nicht seltsam für die beiden als etablierte Autor*innen ist, wenn ich da ganz viele Anmerkungen reinschreibe.  Aber beide haben sich dann für das Lektorat bedankt.

Cover Leipziger Zeitung Nr. 122, VÖ 08.03.2024. Foto: LZ
Cover Leipziger Zeitung Nr. 122, VÖ 08.03.2024. Foto: LZ

Bei den Vorworten habe ich aber auch gemerkt, wie viel noch mitzubedenken ist. Die Tippgemeinschaft vertritt auf eine Art uns als herausgebende Personen und unsere politischen Ansichten. Dann aber auch alle Studierenden. Und dann steht noch ein ganzes Institut dahinter. Da hatten wir natürlich einen politisch genaueren Blick: Worauf deutet ein bestimmtes Wort oder eine Formulierung hin, was hat es für einen politischen Hintergrund, wie kann man es ersetzen.

Jona: Ich hatte schon letztes Jahr bei Juan Guse einen Text, wo wir auch Texte detailliert kommentiert haben. Ich habe das Gefühl, dass diese Detailarbeit den Autor*innen auf einer anderen Ebene etwas bringt und vielen fehlt. Das hat mir am Lektorat für die Tippgemeinschaft gefallen. Zu manchen Texten hatte ich aber gar keinen Zugang. Da wusste ich gar nicht, was ich schreiben soll. Das waren vor allem lyrische Texte. Die Texte habe ich dann abgegeben.

Zur Politik: Ich habe mich mehrmals gefragt, ob wir Texte rauskicken, wenn sie bestimmten politischen Werten nicht entsprechen. Das ist aber nicht passiert, bei den Texten, die ich lektoriert habe.

Michèle: Wir hatten uns darüber im Vorhinein unterhalten. Es war zum Glück kein solcher Text dabei.

Das ist ja auch ein krasser Druck, dann auch politisch-künstlerisch ein Institut mit so einem großen Ruf zu repräsentieren.

Michèle: Wir hatten Glück, dass wir im Team nicht sehr abweichende Meinungen hatten. Ich würde sagen, dass unser Team auf jeden Fall politischer ist, als das DLL an sich. Am DLL steht der Text über allem, manchmal erscheint der Inhalt nur Mittel zum Zweck. So kommt es manchmal zu Texten, die misogyn oder rassistisch sind und die hegemonialen Bedingungen einfach nur perpetuieren.  Darüber wird am Institut viel zu wenig gesprochen.

Inzwischen gibt viel mehr Studierende, die intersektional politisch denken, die eine Migrationsgeschichte oder Arbeiter*innenhintergrund haben. Im Bachelor merkt person es mehr, da positionieren sich die Leute meiner Erfahrung nach deutlich schneller, als im Master.

Jona: Mein Jahrgang ist schon eher politisiert. Voll oft, wenn es um politische Sachen in den Texten geht, halten sich die Dozierenden eher zurück und fragen eher: Was will der Text? Aber von den Studierenden kommt da zumindest in meinem Jahrgang viel Gutes. Da haben viele Leute eine Haltung.

Wir hatten zum Beispiel „Kenntnis exemplarischer Werke“ bei Deniz Utlu. Wir haben iranische und türkische Literatur besprochen. Da hatten wir eine sehr gute Diskussion über „Kassandra“ und inwiefern das feministisch ist oder nicht. Da war viel Haltung im Raum.

Als ich am DLL studiert habe, war das Seminar damals noch Michael Haslinger. Da haben wir einen ganz anderen Kanon besprochen. Insgesamt hat sich meinem Eindruck nach schon sehr gewandelt in den letzten Jahren, oder?

Michèle: Ja, Josef Haslinger, das waren andere Zeiten. Mein Beileid.

Ich finde, dass Kerstin Preiwuß unglaublich gute und detaillierte Textarbeit macht. Ulrike Draesner hat ein großes Bewusstsein für feministische Themen. Aber auf intersektionaler Ebene könnte das DLL stärker sein.

Weil wir auch so viel übers Geld geredet haben: Ich habe auch den Eindruck, dass Menschen, die nebenbei viel arbeiten müssen, weil sie das Geld brauchen oder die aus anderen Gründen nicht viel da sein können, krass ausgeschlossen werden. Und das ist am DLL eben nochmal anders als in anderen Studiengängen, weil hier viele vorher etwas anderes gemacht oder studiert haben, schon ein anderes Leben haben.

Jona: Ich fände es super wichtig, mit unseren Noten transparent umzugehen, genauso wie später mit Geld. Sonst weiß man einfach nicht, ob man gerade fair behandelt wird oder nicht.

Michèle: Bei uns im Master ist das im ersten Semester passiert, dass wir draufgekommen sind, dass es Ungleichbehandlung gibt. Manche Leute haben sich davon so sehr runtergzogen gefühlt, dass sie aufgehört haben, ihre Noten zu teilen. Das beginnt bereits die Selbstzensur.

Das ist krass, schließlich ist es schon nur ein kleiner Studiengang mit einem krassen Auswahlverfahren. Das studiert niemand, weil ihm*ihr nichts Besseres eingefallen ist.

Michèle: Ich muss gerade an Hannah K Bründl denken, die gerade Mother_s veröffentlicht hat. Sie hat heute gepostet, dass das durchschnittliche Jahreseinkommen einer Regisseurin am Theater 20 000 Euro ausmacht, ein Regisseur aber 33.000 Euro Gehalt bekommt.

Jona: Deshalb brauchen wir Transparenz! Das hat mich beim Hans-Gratzer-Stipendium, das ich vor kurzem bekommen habe, traurig gemacht. Dort hat eine Person auch gesagt, dass sie nicht über ihr Einkommen sprechen würde. Daraufhin kam der Satz: „Das liegt daran, weil du das doppelte bekommst wie die Leute um dich herum.“

Aber zurück zur Tippgemeinschaft: Was steht denn jetzt bei euch als Nächstes an?

Michèle: Das Buch ist gerade im Druck. Dann bekommen wir das fertige Teil in die Hand und entdecken hoffentlich keine dramatischen Fehler. Am 23.03. ist die Release-Party am DLL und am 24.03. die Lesung auf der Buchmesse.

Und dann kommt der Versand vom Crowdfunding. Die Kunstwerke, die uns von Leon Friederichs, Jared Cooper Cobain, Franziska Dathe und Felix Lorenz gespendet worden sind, müssen jetzt so verschickt werden, dass sie ohne Schaden ankommen. Dann kommen die Finanzen, vor allem die Steuererklärung. Das wird nochmal lustig. Und dann übernimmt schon die nächste Tippi.

Jona Rausch studiert seit 2022 im Bachelor am Literaturinstitut und schreibt, seitdem sie 15 Jahre alt ist. Mit einem Stück über Klassismus und Architektur gehört sie zu den Stipendiat*innen des Hans-Gratzer-Stipendiums 2023/24. Bei der Tippgemeinschaft konnte sie wegen Bafög-Problemen eher kleinere Aufgaben übernehmen und das Lektorat koordinieren.

Michèle Yves Pauty hat in Wien Fotografie, deutsche Philosphie und Gender Studies, sowie Literarisches Schreiben in Hildesheim studiert. Am Leipziger Literaturinstitut studiert Michèle seit 2022  im Master. Für die Tippgemeinschaft macht Michèle vor allem das Bild- und Videomaterial.

„Ein Institut, zwei Hunde und dreitausend Euro: „Tippgemeinschaft“-Herausgeber*innen im Interview“ erschien erstmals im am 08.03.2024 fertiggestellten ePaper LZ 122 der LEIPZIGER ZEITUNG.

Sie wollen zukünftig einmal im Monat unser neues ePaper erhalten? Hier können Sie es buchen

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar