Am 5. März findet die traditionelle Jahresvorlesung des Leibniz-Instituts für Geschichte und Kultur des östlichen Europa (GWZO) in Leipzig statt. Festrednerin der diesjährigen Oskar-Halecki-Vorlesung ist die Literaturwissenschaftlerin und Mitteleuropa-Expertin Prof. Dr. Alfrun Kliems. In ihrem Vortrag untersucht sie das Konzept „Mitteleuropa“ als literaturwissenschaftliche Kategorie und analysiert dessen Bedeutung für die ästhetische Selbstreflexion des Raumes seit den 1990er Jahren.

Die Bezeichnung (Ost-) Mitteleuropa ist ein zentraler Begriff für das GWZO, der immer wieder für anregende Debatten sorgt. In der Regel werden dabei primär historische und historiografische Argumente diskutiert.

Das historische (Ost-)Mitteleuropa bietet keine einheitliche Sammlung von Literaturen, und es gibt nur wenige Versuche, eine Literaturgeschichte Mitteleuropas zu verfassen. Jedoch ist der Begriff „Mitteleuropa“ möglicherweise in literarischer und politischer Hinsicht prominenter als in geschichtsregionalem Kontext. Die Festrednerin fragt, ob und wie es möglich ist, ein mitteleuropäisches literarisches Profil zu beschreiben.

Potenzieller Ausgangspunkt hierfür ist die lebendige und poetisch reflektierte Selbstverortung der Literaturen in einem „imperialen Interferenzraum“, in dem sich historisch die Machtansprüche und Einflüsse zweier politisch-kultureller „Großreiche“, nämlich des russischen und des deutschen, überlagern. Ergänzend dazu kommt die intensive Fernwirkung und Rezeption eines „Westens“, der als durchaus kohärent vorgestellt wird.

Die Vorlesung wird in literarischen Mikroanalysen versuchen, verschiedene Aspekte einer „Makrodeutung“ der literarischen Transformation Mitteleuropas seit 1990 zu ergründen, insbesondere seit der Wiedererlangung politischer Souveränität und gesellschaftlicher Freiheit – wozu auch die Freiheit des literarischen Erinnerns zählt. | Programm: https://leibniz-gwzo.de/sites/default/files/dateien/24_ZV_Halecki-Vorlesung%20Doppelseiten.pdf

Die Festrednerin des Abends Prof. Dr. Alfrun Kliems ist Literaturwissenschaftlerin und seit 2012 Professorin an der Humboldt-Universität zu Berlin. Nach ihrem Studium der Russistik und Bohemistik promovierte sie 2000 über deutschschreibende tschechische Autor*innen. 1998 bis 2001 arbeitete sie als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am GWZO und forschte unter anderem zu Fragen des Literaturexils.

Von 2001 bis 2003 wechselte sie an die Humboldt-Universität zu Berlin und kehrte dann 2004 als Fachkoordinatorin für Literaturwissenschaft Ostmitteleuropas an das GWZO zurück. Seit dem Wintersemester 2012/13 lehrt sie als Professorin für Westslawische Literaturen und Kulturen an der Humboldt-Universität zu Berlin. Zu ihren jüngsten Buchveröffentlichungen gehört Underground Modernity: Urban Poetics in East-Central Europe, Pre- and Post-1989 (2021).

Alfrun Kliems ist dem GWZO zudem seit 2016 als Beiratsmitglied verbunden, von 2016-2023 hatte sie die Funktion der stellvertretenden Vorsitzenden des Beirats inne, seit April 2023 ist sie dessen Vorsitzende. Sie scheidet im Juni 2024 nach zwei Amtszeiten aus dem Gremium aus. Mit der diesjährigen Oskar-Halecki-Vorlesung wird sie feierlich verabschiedet. Zusammen mit ihr verabschiedet das GWZO auch Prof. Dr. Karin Friedrich, ebenfalls seit 2016 Beiratsmitglied und seit April 2023 stellvertretende Beiratsvorsitzende.

Musikalisch begleitet wird der Abend von Alexander Pehlemann, ehemaliger Gastwissenschaftler am GWZO und aktivistischer Experte für Subkulturen. Er rahmt die Vorlesung mit ausgewählten Sounds aus dem Ost(Mittel)europa-Underground, die sich der Verschränkung von Poesie und Klang widmen, von Prager Psychedelic über polnischen Punk bis zum Post Punk der Prenzlauer Berg-Connection.

Oskar-Halecki-Vorlesung

Zur jährlichen Oskar-Halecki-Vorlesung lädt das GWZO führende Forschende, aber auch Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens aus dem In- und Ausland ein, die zu einem mit der Untersuchungsregion und dem Forschungsspektrum des Instituts verbundenen aktuellen Thema referieren. Die Festvorträge werden anschließend publiziert und im Open Access der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt.

Prominente Referent*innen waren etwa der ehemalige Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher, die Schriftstellerin und Historikerin Dr. Olesya Khromeychuk und der renommierte ungarische Historiker Prof. Dr. Attila Pók | https://leibniz-gwzo.de/de/wissenstransfer/oskar-halecki-vorlesung  

Das GWZO

Das Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa (GWZO) erforscht historische und kulturelle Entwicklungsprozesse in der Region zwischen Ostsee, Schwarzem Meer und Adria. Grundlegend für das GWZO sind der breite zeitliche Rahmen seiner epochenübergreifenden Forschungen, der am Übergang von der Spätantike zum frühen Mittelalter ansetzt und bis in die Gegenwart reicht, sowie die ausgeprägte Interdisziplinarität.

In der Grundlagenforschung des GWZO werden Methoden und Konzepte aus den Disziplinen und Fächern der Archäologie, Mediävistik, Literaturwissenschaft, der Osteuropastudien, der Geschichtswissenschaft, der Kunstgeschichte und Architekturgeschichte als auch der interdisziplinären Kulturwissenschaften miteinander verknüpft. Es kommen zudem naturwissenschaftliche Ansätze zum Tragen.

Sein konstant breites Fächerspektrum bildet ein Alleinstellungsmerkmal des GWZO, nicht nur im Hinblick auf Deutschland, sondern auch im weltweiten internationalen Vergleich. Es trägt universitäts-komplementär damit zu einem elaborierten Verständnis der historischen und heutigen Entwicklungen in den Staaten, Gesellschaften und Kulturen des östlichen Europas bei.

Das Institut ist eng mit der Universität Leipzig verbunden. Es gibt gemeinsame Berufungen und eine enge Zusammenarbeit in Forschung, Lehre und Karriereausbildung. Vielfältige Kooperationsbeziehungen bestehen ebenfalls mit zahlreichen wissenschaftlichen Einrichtungen im östlichen Europa. | www.leibniz-gwzo.de

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